Ich heiße Günter Budelski und bin 1940 in Königsberg (Ostpreußen) geboren. Königsberg wurde 1255 vom Deutschen Orden gegründet und 1701 mit der Königskrönung Friedrichs III zum Königreich erhoben. Der Kurfürst Friedrich III krönte sich selbst als Friedrich I zum König von Preußen.
Heute gehört Königsberg zu Russland und heißt Kaliningrad.
In der Zeit des Nationalsozialismus war Königsberg Amtssitz des Gauleiters Erich Koch.
Als 1941 der Deutsch-Sowjetische Krieg begann gab es zwar einige Bombenangriffe. Danach blieb Königsberg bis 1944 einigermaßen von Kriegshandlungen verschont.
Ende August bombardierte die Royal Air Force (Engländer) Königsberg massiv mit zirka 800 Tonnen phosphorgefüllter Brand-und Sprengbomben.
Weite Teile Königsbergs brannten tagelang. Es gab viele Tote, zirka 200.000 Menschen wurden obdachlos.
Ich selbst kann mich an Nächte im Luftschutzkeller erinnern. Im Januar 1945 war Königsberg durch die Rote Armee eingeschlossen. Die militärische Führung hat Königsbergs Wehrmacht zur Festung erklärt.
Flucht war untersagt. Wer es dennoch wagte, wurde erschossen. Wir waren eingeschlossen.
Der Gauleiter weigerte sich hartnäckig den Räumungsbefehl zu erteilen.
Bis der Druck unter den 700.000 Menschen so groß war und eine Massenflucht einsetzte.
Das „Reich“ war auf dem Landweg nicht mehr zu erreichen.
Als einziger Fluchtweg blieb nur noch die Ostsee. Und das bei 21 Grad Minus. Man kann sich vorstellen, was das für meine Mutter bedeutete, mit drei kleinen Kindern (meine Schwestern waren drei und eineinhalb Jahre) inmitten von hunderttausenden Menschen ein Schiff zu ergattern.
Zigtausende starben oder erfroren schon in den ersten Tagen.
Ich erinnere mich an das Chaos, welches ich mit fünf Jahren natürlich nicht einordnen konnte. Alle zur verfügbaren Schiffe (Handels- und Marineschiffe) wurden eingesetzt. Jeder wollte aufs Schiff Richtung Westen. Trotz des Aufrufs Frauen und Kinder vorzulassen, versuchten Wehrmachtsangehörige sich als Frauen zu verkleiden. Es galt die eigne Haut zu retten. Wir hatten Glück und gelangten auf ein Handelsschiff.
Nach mehrtägiger Fahrt gelangten wir nach Schleswig-Holstein und wurden dann auf die umliegenden Städte verteilt. Die damalige Verteilung wurde in Deutschland mittels Zwangseinweisung geregelt.
Wir vier (meine Mutter mit drei kleinen Kinder) bekamen ein Zimmer in einem Bauernhaus.
Dass die Bauern über diese neuen „Mitbewohner“ nicht glücklich waren, kann man sich vorstellen. Ich habe die „Kalte Heimat“ zu spüren bekommen.
In der Schule wurden wir Flüchtlinge von Mitschülern gehänselt. Die Bauern wachten mit Argusaugen, dass wir nicht klauten.
Das Misstrauen gegen uns war sehr groß.
Frei nach dem Motto „wer weiß was für ein Gesindel sich da eingenistet hat.“
Der Integrationsprozess dauerte bis in die 50er-Jahre. Im Nachhinein ist mir bewusst geworden, was unsere Mütter geleistet haben. Weil die Männer tot oder in Gefangenschaft waren, lag auf ihren Schultern die Last des Wiederaufbaus.
Auch das kleinere Deutschland hat Unglaubliches geleistet. 10 Millionen Flüchtlinge mussten integriert werden. Das ist geschafft worden!
Das wiedervereinigte Deutschland stöhnt heute über 1 Million Flüchtlinge.
Auch wir Kinder mussten von Anfang an mithelfen. ADHS-Syndrom kannten wir nicht. Psychologischen Beistand hatte meine Generation nicht benötigt. Wir mussten funktionieren.
So war es für mich bis heute immer eine Selbstverständlichkeit, mich in vielfältiger Weise zu engagieren. Mich einzusetzen für die Benachteiligten. So auch jetzt in der Flüchtlingshilfe.
Günter Budelski