Karl der Große oder Charlemagne: Der (Groß-)Vater Europas

In der Ära Karls des Großen gab es weder Königstein noch eine Burg – wenn überhaupt besaß Falkenstein so etwas Ähnliches. Auf dem Burgberg jedoch gibt es Reste wesentlich älterer Besiedlung und der Weg von Frankfurt nach Köln über Limburg ist auch schon lange in Benutzung. Möglicherweise lag hier zu Karls Zeiten ein kleiner Ort namens Helbigshain – nicht mehr als eine Raststation auf dem Fernweg mit einigen Gewerbetreibenden – nach dem die Wiesen oberhalb des Opel-Zoos noch heute benannt sind. Da man dort aber weder Wasser noch ebenen Boden zum Abstellen von Karren findet und das „Tal“ unterhalb des Königsteiner Burgberges wettergeschützt alles das bietet, direkt am Verlauf der Straße, darf man mit Fug und Recht in diese Richtung weiter spekulieren – und vor allem forschen. Foto: Friedel

Falkenstein (kw/hhf) – Zur Vorbereitung auf den Tagesausflug nach Aachen, der aus bekannten Gründen aktuell nicht stattfinden konnte, haben die Organisatoren vom Partnerschaftskomitee Falkenstein einen „kleinen historischen Abriss“ zusammengestellt, der dank hoher Qualität gewiss erst einmal als Ersatz der Reise im Wohnzimmer taugt – und auch, wie ursprünglich angedacht, als Vorbereitung der Teilnehmer für die Zeit, wenn sich die Türen wieder öffnen, dient.

Wir empfehlen diese gelungene (und redaktionell etwas erweiterte) Auffrischung der Schulkenntnisse insbesondere auch Schüler*innen im Home-Office ... am besten zusammen mit den Eltern. Das Thema eignet sich als grundlegendes Allgemeinwissen bis in die Wurzeln der EU außerordentlich dazu, gemeinsam auf die Suche nach weiteren Details zu gehen – bietet es doch neben Geschichte und Politik sogar Fantasy-Fans, Kampfsportlern oder Kunstliebhabern etwas.

Untergang Roms

Das Fränkische Reich oder Frankenreich, das zwischen dem 5. und 9. Jahrhundert bestand und sich im Wesentlichen aus dem römischen Gallien und angrenzenden rechtsrheinisch-germanischen Siedlungsgebieten gebildet hatte, war der bedeutendste Nachfolgestaat des 476, spätestens aber 554 untergegangenen Weströmischen Reiches und die historisch wichtigste Reichsbildung in Europa seit der Antike.

Das Reich der Franken ging auf mehrere westgermanische Kriegerverbände der Völkerwanderungszeit zurück. Nach langen erfolglosen Zeiten als einzelne Stämme mit einem Zwischenspiel unter Arminius oder Hermann dem Cherusker hatten die Germanen verstanden, dass sie nur siegreich agieren können, wenn sie sich zu großen Verbänden zusammenschließen. In dem süddeutschen Namen „Alemannen“ ist das sogar noch zu erkennen, die „Franken“ fühlten sich im nördlichen Gebiet „frei“.

Merowinger und Karolinger

Nach dem Untergang des Weströmischen Reiches stieg das Frankenreich im Frühmittelalter unter den Dynastien der Merowinger und der Karolinger in drei Jahrhunderten zu einer Großmacht auf, die weite Teile West-, Mittel- und Südeuropas beherrschte. Als Hausmeier (entspricht eher hohen Staatssekretären als „Verwaltern“) der merowingischen Könige übten die Karolinger bereits seit dem späten 7. Jahrhundert die tatsächliche politische Macht aus, bevor sie im Jahr 751 selbst die Königswürde übernahmen.

In einer Reihe grausamer Kriege gelang es Karl dem Großen (768 – 814), das Frankenreich zu einigen und zu vergrößern – es sei beispielsweise an die äußerst gewaltsame Unterwerfung der Sachsen in den „Sachsenkriegen“ erinnert und an das Blutgericht von Verden an der Aller 782, bei dem Karl über 4000 Sachsen umbringen ließ.

Wieder ein Kaiser

Unter der Herrschaft Karls des Großen und infolge dieser Kriege und Unterwerfungen, aber auch durch Zusammenarbeit mit dem Papst, vor allem Leo III, erreichte das Fränkische oder Franken-Reich den Höhepunkt seiner Macht und Ausdehnung. Das Ergebnis: Karl der Große wurde am 25. Dezember 800 zum Römischen Kaiser gekrönt.

Warum „Römischer Kaiser“? – Karl sah sich als Nachfolger der Herrscher des Weströmischen Reiches, das spätestens 554 mit der Abschaffung des weströmischen „Hofes“ unter Justinian untergegangen war. Den leeren Thron im Palast in Rom nahm übrigens bald darauf der Papst als Oberhaupt der Christen in Beschlag – ein Amt mit durchaus weltlichen Seiten. So war die Krönung pikanterweise ein Gunstbeweis seitens des Papstes Leo III. für dessen Errettung vor den Nachstellungen der Anhänger und Familienmitglieder seines Amtsvorgängers Papst Hadrian I. durch Karl den Großen.

Das geeinte Reich ...

Wie erfreulich wäre es beim Blick auf all die später folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen in und um Europa gewesen, wenn es in den kommenden Jahrhunderten bei diesem EINEN Reich geblieben wäre, nachdem Karl der Große es (zugegebenermaßen sehr gewaltsam) geeinigt hatte !?

Es blieb aber – zumindest vorerst – nicht bei dem einem Reich, denn Karl der Große hatte testamentarisch verfügt, dass dieses unter seinen Söhnen Pippin, Ludwig dem Frommen und Karl dem Jüngeren aufgeteilt werden solle.

Da jedoch Pippin und Karl der Jüngere bereits 810 bzw. 811 und damit noch vor ihrem Vater verstarben, wurde dieser Plan zunächst aufgegeben und Ludwig der Fromme stattdessen 813 zum Mitkaiser erhoben, der so nun nach dem Tod seines Vaters 814 im Besitz aller kaiserlichen Rechte seine Nachfolge antreten konnte.

... wird wieder geteilt

Dann aber gab es bereits eine Generation später einen entscheidenden Familien-Krach, und so ging die Aufteilung des Fränkischen Reichs auf den – teils kriegerischen – Erbfolgestreit zurück, den Kaiser Ludwig I. „der Fromme“ mit seinen Söhnen führte.

Nach einer Palastrevolution und Gefangennahme wurde Kaiser Ludwig I. Anfang der 830er Jahre von seinen Söhnen entmachtet. Ab 831/832 verselbstständigten die Söhne zunehmend ihre Herrschaftsbereiche im Reichsverband und beließen ihren Vater in der Funktion eines Titularkaisers.

Drei Jahre nach dem Tod ihres Vaters leiteten Kaiser Lothar I., König Karl der Kahle und König Ludwig der Deutsche 843 im Vertrag von Verdun die Teilung und damit das Ende des Fränkischen Reiches ein; die Reichseinheit war nicht mehr zu gewährleisten und endete faktisch mit dem Vertrag von Verdun.

Durch die Teilung entstanden drei neue Reiche:

Das Westfrankenreich Karls des Kahlen – Ursprung des späteren Frankreich

Das Ostfrankenreich Ludwigs des Deutschen – Ursprung des späteren Heiligen Römischen Reiches (Deutscher Nation)

Das Lotharii Regnum („Mittelreich“) Lothars I. – Ursprung des späteren Lothringen

Das Mittelreich vergeht

Das mittlere Reich, also Lothringen, hatte keinen langen Bestand, denn 855 veranlasste Lothar I. in der Prümer Teilung die Aufteilung des Mittelreiches unter seinen Söhnen. Und nach deren Tod wurde es unter Karl dem Kahlen und Ludwig dem Deutschen im Vertrag von Meersen aufgeteilt und hörte damit auf, selbstständig zu existieren.

Zwar versuchte Karl der Kahle, das ganze Mittelreich zu erobern (Erste Schlacht bei Andernach 876), es gelang ihm aber nicht. Durch den Vertrag von Ribemont erhielt schließlich der ostfränkische König Ludwig III. die Westhälfte Lotharingiens. Damit war die Aufteilung des Frankenreiches vorläufig abgeschlossen, die Grenze zwischen dem West- und Ostteil blieb das ganze Mittelalter über nahezu unverändert.

Bis 888 gab es zwar noch titularisch einen Kaiser des Gesamtreichs – nämlich den ostfränkischen König Karl III. Aber der galt als schwach, war kränklich und litt überdies an Epilepsie, so dass es nach seinem Tod am 13. Januar 888 zwar noch den König von Frankreich, aber auf ost-fränkischer, also auf „deutscher“ Seite, eine Aufteilung, quasi eine Zersplitterung auf mehrere Könige (König des Ostfrankenreichs, König von Bayern, König von Italien), nicht aber den einen Römischen Kaiser, gab.

Warum Aachen?

Und was hat das jetzt alles mit Aachen oder Aix la Chapelle zu tun ? Nun, Karl der Große erbte nicht nur das Fränkische Reich, sondern auch den Aachener Hof. Schon von 768 auf 769 überwinterte er erstmals dort. Er hielt sich in seinen späten Jahren immer häufiger dort auf und baute ihn zu einer Kaiserpfalz mit Palast und Kapelle, der sogenannten Pfalzkapelle, aus. An der Stelle des Palastes befindet sich heute das Rathaus, die Kapelle – la Chapelle – wurde zum Aachener Dom.

Der bereits erwähnte Sohn Karls mit Namen Ludwig wurde 813 in Anwesenheit seines Vaters im Obergeschoss der Pfalzkapelle zum Mitkaiser gekrönt. Karl der Große wurde am 28. Januar 814 im Vorhof der Kapelle beigesetzt.

Eine weitere Krönung fand Mitte des 9. Jahrhunderts in der Aachener Pfalzkapelle statt. Lothar I., der älteste Enkel Karls des Großen, krönte sich hier selbst zum Kaiser. Mit Otto I. nahm die Nutzung der Pfalz wieder deutlich zu, und 600 Jahre lang war Aachen der Krönungsort der deutschen Könige („sedes regia“).

Und Königstein?

Gewählt wurden die Könige hingegen schon ab 1147 in Frankfurt am Main, das wesentlich zentraler lag als Aachen. Von hier aus begab sich die versammelte Fürstenschaft dann nach Aachen zur Krönung – höchstwahrscheinlich über die Reichsstraße und damit auch durch Königstein. Der Brauch endete, als man eines harten Winters nach der Wahl den weiten Weg scheute und die Krönung auch in Frankfurt vollzog.

Habsburg erbt

Bis 1531 wurden dennoch 31 deutsche Könige im Aachener Münster, dem heutigen Dom, gekrönt; der letzte war der Habsburger Ferdinand I., der dann von 1558 bis 1564 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war. Er war Bruder und Nachfolger Kaiser Karls V. (1520 in Aachen zum Kaiser gekrönt), der 1556 von seinen Herrscherämtern zurücktrat, sich in ein Kloster zurückzog (wo er 1558 starb) und zuvor seine heterogenen Herrschaftsgebiete aufteilte: Zwischen seinem ältesten Sohn Philipp II., der die spanischen Besitzungen erbte, und Ferdinand I., der die österreichischen Erblande bereits 1521 erhalten hatte und dem nun auch der Kaisertitel zufiel. Durch diese Teilung spaltete sich das Haus Habsburg in eine spanische (Casa de Austria) und eine österreichische Linie (Haus Habsburg-Österreich).

Aachen war also zumindest bis dahin der Mittelpunkt Europas bzw. später des Heiligen Römischen Reiches, wo bis 1531 die meisten Krönungen der römisch-deutschen Könige stattfanden.



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