Kelkheim – Schauspieler wollte ich praktisch schon immer werden, zumindest war das nach Zauberer die realistische Option, wenn auch fast genauso extravagant. Als ich nach der 10. Klasse von der Gesamtschule Fischbach auf eine andere Schule wechseln musste, es wurde dann am Ende die Eichendorffschule, hatte ich zwar von ihrer doch ziemlich bekannten Theater-AG gehört, jedoch wusste ich noch nicht, ob ich ihr beitreten sollte. Nach einigen nervösen E-Mails schaffte ich es endlich, meine Furcht zu überwinden und auf ein erstes Treffen zu gehen. Unser AG-Leiter Maximillian Rübner (Maxi, wie wir ihn gerne nennen) hieß mich schnell willkommen, ohne ihn wäre das ganze ohnehin nicht denkbar. Und auch wenn ich in meinem ersten Stück, dem „Diener zweier Herren“, nur eine kleine Rolle spielte, war ich trotzdem begeistert, mit welchem Talent man zu tun hatte, nicht nur ausgehend von den Schauspielern, sondern auch von den Leuten hinter der Bühne: Kostüme, Bühnenbilder, Requisiten, Make-up, natürlich auch die Regie – solch eine Liebe zur Kunst war mir vorher noch nicht begegnet. Vor allem aber auch, wie wundervoll es ist, auf der Bühne zu spielen, dem Publikum eine Geschichte anzuvertrauen, sie einzuweihen, mit ihnen zu lachen und zu weinen.
Ein neues Stück
Traurig war ich, als sich die Vorstellungen dem Ende neigten und man sich erst im nächsten Schuljahr sehen würde. Vorher erzählte man uns noch ein wenig über das nächste Stück: Ein Zusammenspiel zwischen Schauspiel und Orchester sollte es sein und ich muss zugeben, dass ich anfangs etwas misstrauisch war, „ein Drittel Schauspiel, zwei Drittel Musik“, so hat man uns Henrik Ibsens „Peer Gynt“ vorgestellt, mit der Musik von Edvard Grieg. Trotzdem war ich gerne dabei und als mir dann noch die Hauptrolle des Peer angeboten wurde, sagte ich sofort zu, auch wenn dieser frech-faule Frauenheld wenig mit mir zu tun hatte. Gerade solche Figuren machen jedoch am meisten Spaß darzustellen, weil man durch sie die seltene Freiheit erhält, aus den Konventionen auszubrechen. Auch die Kostüme, zu denen ein purpurner Mantel aus dem Orient mitsamt Turban gehörten, waren aufregend, wie auch die Kostüme der Bergtrolle, mitsamt Buckel, welche in diesem märchenhaften Norwegen Peer auf ihre Seite ziehen und vor denen er flüchten muss, wofür er sogar seine große Liebe Solvejg verlässt.
Probenmarathon
Wir probten monatelang und da ich in fast allen Szenen vorkam, gab es nur wenig Zeit zum Verschnaufen, auch wenn es für die Anderen kaum anders war. Auch mit Erzählern und Orchester zu spielen war nicht immer einfach, manchmal fehlt einem die Kontrolle oder der Freiraum. Peer zu verstehen war anfangs auch nicht einfach. Wer war dieser teils wirklich unmoralische Mensch? Hatte ihn der Verlust des Vaters negativ beeinflusst? Wollte er nur Aufmerksamkeit? Verdiente er Mitleid oder Höhne?
Gelernt habe ich, dass sich solche Dinge am besten beim Proben beantworten lassen, vor allem wenn man wunderbar lustige, hilfsbereite Kollegen neben sich hat, so wie es bei mir war. Und ich hatte das Glück, einen Regisseur zu haben, der das Stück geradezu verinnerlicht hat.
Und doch hat man erst nach einigen Aufführungen das Gefühl, alles im Griff zu haben, kurz bevor alles zu Ende geht. Vielleicht soll man es auch vermeiden, eine Routine zu entwickeln, damit es nicht zu Eintönigkeit oder sogar Langeweile führt und doch ist es immer schade.
Was man mitnimmt
Die Erfahrungen, die ich gemacht habe, die Erinnerungen, die ich gesammelt habe, sind mir wertvoll – das, was wir gemeinsam erschaffen haben, macht mich stolz, füllt mich mit Dankbarkeit und weckt eine noch größere Lust auf Neues. Selbst die für den zweiten Akt grau gefärbten Haare, für die ich am nächsten Schultag einige verwunderte Blicke wegsteckte, waren es wert. Hat man eine Gruppe von Leuten, die mit Liebe und Lust an eine Sache rangehen, fühlt es sich nicht wie Arbeit an, auch wenn es das unbestritten ist. Man denkt nicht mehr an die langen Tage, die Wochenenden, die man beschäftigt in der Schule verbrachte – das ist es nicht, was man von der Sache mitnimmt.
Leo Pawlik (zukünftiger Schülerpraktikant)