Speisepilze als innovatives Fleischersatzprodukt – eine nachhaltige und gesunde Alternative

Fischbach (nd) – Nachhaltigkeit, bewusste und gesunde Ernährung auch ohne den Genuss von Fleischwaren – diese Themen standen bei den „Kelkheimer Gesprächen“ in der St. Johannes Gemeinde in Fischbach im Fokus. Am vergangenen Freitag wurde die regelmäßig stattfindende Veranstaltung vom Vorsitzenden des Vereins zur Förderung der Kinder-, Jugend- und Gemeindearbeit der ev. Kirchengemeinde St. Johannes Fischbach e.V., Dr. Klaus P. Meier, mit der Begrüßung der zahlreichen Gäste eröffnet. Die „Kelkheimer Gespräche“ geben Bürgern nicht nur die Möglichkeit, sich über ein vielfältiges Themenspektrum, meist in Form einer Präsentation, zu informieren, sondern auch in der anschließenden Diskussionsrunde Fragen zu stellen und sich einzubringen. An diesem Abend ging es um Lebensmittel aus Pilzmyzel der Firma Infinite Roots GmbH.

Ressourcenbedarf der Menschheit ist groß

Nachhaltigkeit und das Schonen der Ressourcen unseres Planeten, gerade in Bezug auf Nahrungsmittel, waren schon immer ein elementares Thema, wurden aber in den vergangenen Jahrzehnten noch wesentlich wichtiger. In der Zukunft wird dieses Thema an Bedeutung noch deutlich zunehmen. Die Tatsache, dass die Menschheit Berechnungen zufolge schon heute 1,8 Erden bräuchte, um den Ressourcenbedarf der Weltbevölkerung zu decken, ist alarmierend. Der Aspekt, dass die weltweite Lebensmittelproduktion laut Studien der zweitgrößte Treiber für den Klimawandel ist, lässt den zunehmenden Bedarf von Projekten, wie jene von Infinite Roots, nur erahnen.

Philip Tigges, Referent an diesem Abend und Geschäftsführer von Infinite Roots, betonte, dass man Lebensmittelsysteme umdenken müsse. So könne man nicht nur in Bezug auf den Klimawandel neue Wege beschreiten. Zur weltweiten Bekämpfung des Hungerproblems könne man einen immensen Beitrag leisten, indem man Lebensmittel aus Myzel herstellt. Als Myzel bezeichnet man die wurzelartigen Fadengeflechte von Pilzen. „Infinite Roots geht es nicht darum, Fleisch abzuschaffen, sondern eine Alternative anzubieten“, so Tigges. Der Fleischkonsum könne so auf ein Normalmaß reduziert werden, ohne Geschmackseinbußen hinnehmen oder viele Zusatzstoffe verwenden zu müssen. Fleischersatzprodukte aus Soja oder Erbsenprotein enthalten oft viele Zusatzstoffe und lange Inhaltsstofflisten, um die Konsistenz und den Geschmack von Fleisch zu imitieren.

Kleine Hackbällchen erobern die Welt

In Südkorea sind sie schon erhältlich – in Deutschland gestaltet sich die Zulassung etwas schwieriger. Ein Fleischersatzprodukt, das aussieht und schmeckt wie eine Frikadelle oder Hackbällchen. Allerdings besteht es zu vierzig Prozent aus Pilzmyzel und enthält keine unnatürlichen Inhaltsstoffe. Der Rest des Hackbällchens besteht aus Wasser, da Pilze natürlicherweise viel Wasser binden, Gewürzen und Salz. Zusätzlich enthält es Weizen- und Milcheiweiß, welches man zurzeit noch als Bindemittel benötigt. Natürlich ist das Produkt in seiner jetzigen Form noch nicht komplett vegan. Philip Tigges versicherte den Zuschauern, dass man mit Hochdruck daran forsche, den tierischen Proteinanteil vollständig aus den Produkten zu eliminieren. So könne es dann auch Veganern angeboten werden.

Ein weiterer Vorteil ist, dass die fünfzig von Infinite Roots untersuchten Speisepilzarten schon die natürlichen Geschmacksprofile mitbringen. Die Zugabe von Aromen wird dadurch unnötig. Gerade die Geschmacksnote „Umami“ ist in sehr vielen Pilzen reichlich vorhanden. Umami macht einen Großteil der Geschmacksempfindung bei Fleischersatzprodukten aus. Bei geschätzten 12.000 Pilzarten weltweit ergibt sich eine große Vielfalt an natürlichen Aromen.

Allerdings kann nicht nur der herzhafte Gaumen von Lebensmitteln aus Myzel verwöhnt werden. Im Entwicklungsprogramm der hanseatischen Firma finden sich auch Pralinen. In diesen ist ebenfalls Pilzmyzel enthalten – das wird die Liebhaber der süßen Küche sicherlich interessieren. Zu den Sponsoren zählen Haribo und Rewe.

Wie produziert man Pilzmyzel

Als Ausgangsstoff verwendet Infinite Roots Treber – ein Nebenprodukt, das bei der Bierproduktion anfällt und aus den Resten des Braugetreides besteht. Seit zwei Jahren arbeitet Infinite Roots unter anderem mit Bitburger zusammen, da die Brauerei über ausreichend große Fermenter verfügt. Im Fermenter wird normalerweise die Alkoholgärung des Bieres unter perfekt kontrollierten Bedingungen durchgeführt. Die Fermenter können aber auch genutzt werden, um das Pilzmyzel zu züchten und wachsen zu lassen. Infinite Roots impft mit Pilzbrut des Austern-Seitlings (Pleurotus ostreatus) den vorher sterilisierten Treber. Das Myzel wächst und fermentiert nach nur zwei bis drei Tagen das gesamte Substrat. Ein Vorteil dieser Methode ist, dass man standortunabhängig ist und nachhaltig sowie energieeffizient arbeiten kann. Zusätzlich nutzt man ein Lebewesen, das auch in der Natur für die Rückführung von Nährstoffen in den natürlichen Kreislauf verantwortlich ist. Die unterschiedlichsten Pilze können auf diese Art mit verschiedenen Nährstoffen gezüchtet werden – nicht nur mit Treber. Klaus P. Meier sieht ebenfalls großes Potenzial und Zukunftsfähigkeit zum Thema Welthunger. „Brauereien gibt es auf der ganzen Welt“, so Meier.

Kleine Kostprobe

Die Besucher zeigten großes Interesse am Thema Pilzmyzel und Ernährung. Sie hatten viele Fragen an Philip Tigges und eine angeregte Diskussion entstand. Tigges hatte Hackbällchen und Pralinen zum Probieren mitgebracht – die Gäste waren von Geschmack und Konsistenz positiv überrascht. Zum Glück hatte der Geschäftsführer von Infinite Roots genug dabei, und so konnte sich jeder einen Nachschlag holen.

„Kelkheimer Gespräche“

Die „Kelkheimer Gespräche“ finden jeden zweiten Freitag im Monat mit neuen spannenden Themen im Gemeindehaus der St. Johannes Gemeinde Fischbach statt.

Sieht aus wie Fleisch, schmeckt wie Fleisch und fühlt sich an wie Fleisch – ist aber keins.

Philip Tigges (li.) und Klaus P. Meier können sich beide für Nahrung aus Pilzmyzel begeistern. Fotos: Natalie Diehl

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