Leserbrief Kräthenbach-Biotop

Die Koalition hat mit ihrer Mehrheit im Stadtparlament im November 2022 den äußerst umstrittenen Bebauungsplan für eine Teilfläche des Kräthenbach-Biotops durchgedrückt. Vom ehemaligen CDU-Bürgermeister wurde seinerzeit die Notwendigkeit einer Bebauung mit ausschließlich Doppelhaushälften damit gerechtfertigt, dass es mit den Häusern am Gagernring, in der Frankfurter Straße und den in Planung befindlichen Gebieten auf dem ehemaligen Buchsbaumgelände und bei der Firma Fritz bereits unglaublich viel Geschosswohnungsbau in Kelkheim gebe und dass man ja auch an Zuzug und die organische Weiterentwicklung der Stadt denken müsse.

Ganz andere Töne waren einige Monate zuvor im Streit um die Erweiterungsfläche im Schlämmer zu hören. Da wurde von den Koalitionsvertretern heftig gegen die Unterstützer des Bürgerbegehrens polemisiert, sie würden mit ihrer „not in my backyard“-Mentalität dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum in Kelkheim verhindern. In ähnlichem Sinn hat kürzlich auch die Kelkheimer SPD in einer internen Analyse zur Wohnsituation argumentiert und die Zahl von knapp 100 geförderten Wohnungen, die im Eigentum der Städtebaulichen Entwicklungsgesellschaft (StEG) sind bzw. von dieser verwaltet werden, als erschreckend niedrig bezeichnet.

Angesichts solch widersprechender Positionen muss man fragen, was für die Koalition in der Wohnungsbaupolitik eigentlich gilt. Je nach Interessenlage wird argumentiert, wie es gerade passt, um heftig umstrittene Bauvorhaben wie das Kräthenbach-Projekt zu rechtfertigen. Die Hintergründe zur geplanten Bebauung bleiben bis heute intransparent. Das gilt im Hinblick auf mögliche Eigeninteressen von kommunalen Mandatsträgern, aber auch bei der Frage, warum in diesem Fall keine Sozialquote für bezahlbare Wohneinheiten vorgesehen war wie beim Buchsbaum-Areal, dem ehemaligen Bauhof Fritz oder aktuell beim Dichmann-Projekt. Das Argument, mit den Doppelhäusern werde dringend notwendiger Wohnraum für Kelkheim geschaffen, geht angesichts des dramatischen Mangels auf dem Mietwohnungsmarkt, insbesondere im bezahlbaren Segment, an der Realität vorbei.

Die massive Kritik zahlreicher Bürger im Vorfeld an dem Eingriff in die Natur wurde nach Gutsherrenart ignoriert, weil die Koalitionäre das kontroverse Vorhaben ohne zeitaufwendige und lästige Diskussionen über die Bühne bringen wollten. Wenn aber Politik bei solchen umstrittenen Projekten nur Mindeststandards für die Beteiligung der Öffentlichen erfüllt, ist die Akzeptanz bei vielen Menschen nicht mehr gegeben.

Das Kräthenbach-Projekt ist primär von wirtschaftlichen Interessen getrieben. Für Renditeinteressen des privaten Bauherrn ist die Koalition bereit, gewachsene Natur zu opfern und den Bebauungsplan so hinzubiegen, dass dem Investor keine Steine im Weg liegen, um ausschließlich lukrativen hochpreisigen Wohnraum realisieren zu können. Vom Wertzuwachs des Bodens durch die Schaffung von Baurecht profitiert allein der Eigentümer, ohne dass die Stadt eine adäquate Gegenleistung dafür erhält.

Dieser Zuwachs ist beträchtlich. Bauland im Gebiet um die Rhönstraße ist im Geoportal Hessen mit 700 Euro als Quadratmeter-Bodenrichtwert taxiert, als forst- bzw. landwirtschaftliche Fläche dagegen nur mit 1 bis 4 Euro.

Die Vorgehensweise, mit der Kettensäge schon mal vorab Fakten auf der Naturfläche zu schaffen, ist schon dreist und erinnert an Wildwest. Dies geschieht aber mit Kalkül, um im Bebauungsplanverfahren später bei der Öffentlichkeitsbeteiligung und der Umweltprüfung untermauern zu können, dass es sich hier nicht mehr um ein schützenswertes Biotop handelt.

Günter Knoll, Kelkheim



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