Heilung hatte schon immer viel mit menschlicher Nähe zu tun

Es gibt viel zu sehen und viel zu lachen: Heinz Humpert vom Geschichtlichen Arbeitskreis Gonzenheim führt humorvoll durch die neue Sonderausstellung „Medizinische Versorgung in Gonzenheim heute und damals“ im Heimatmuseum am Kitzenhof. Foto: a.ber

Bad Homburg (a.ber). Vorsichtig wird eine geschundene Fußsohle abgetastet. Ein prüfend-besorgter Blick gilt dem Patienten auf der Krankenliege. Zwei Lazarett-Schwestern stehen mit blütenweißen Häubchen vor dem Dreikaiserhof, in dem sich verwundete Soldaten erholen: Zeugnisse menschlicher Zuwendung. Die brauchen wir besonders in Zeiten der Krankheit und der Gebrechlichkeit – so war es früher, so ist es heute. Das zeigt wie in einem Brennglas die neue Sonderausstellung „Medizinische Versorgung in Gonzenheim heute und damals“ im Gonzenheimer Heimatmuseum am Kitzenhof.

Was der Geschichtliche Arbeitskreis Gonzenheim (GAG) unter Federführung des Vorsitzenden Heinz Humpert und mit Hilfe von Gonzenheimer Bürgern zusammengetragen hat, ist gut verträgliche und wohldosierte Information in einem Themenfeld, das heute geprägt ist durch einander jagende medizintechnische Innovationen und deren mediale Verbreitung, durch unübersichtliche Werbung für noch bessere Tabletten, Ernährungstipps und Krankenkassen- wie Klinikangebote. Der medizinische Kosmos im Kleinen, den die Ausstellung in Fotos, Objekten und Personen aus dem Bereich ärztlicher, therapeutischer, pharmakologischer, sozialfürsorglicher und karitativer Angebote präsentiert, erdet überspannte Erwartungen ungemein. Der Fokus auf die unmittelbare Nähe zeigt: Wir sind gut versorgt – das belegt allein die überdurchschnittliche Zahl der Arztpraxen und therapeutischen Gesundheitseinrichtungen im Stadtteil Gonzenheim.

„Nein, ich habe grundsätzlich keine Angst, zum Arzt zu gehen, auch nicht zum Zahnarzt“, schmunzelt Ausstellungsmacher und Heimatforscher Heinz Humpert und greift beim Rundgang spontan zu einem Paar großer hölzerner Krücken aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Er lässt einen Gebissabdruck aus einer Ausstellungsvitrine klappern und demonstriert eine riesige Geburtszange aus Metall. Wer Berührungsängste mit Medizinern hat, dem sei die Sonderausstellung besonders empfohlen: Es hat etwas Berührendes, auf alten wie neuen Fotos an den Wänden des Ausstellungsraums im Kitzenhof – 130 an der Zahl in 16 großformatigen Rahmen – vor allem immer wieder eines zu sehen: Menschen, die sich mit all ihrem Fachwissen um Kranke in ihrem Stadtteil kümmern. Deshalb seien auch ohne Scheu stellvertretend Namen genannt: Sportorthopäde Jörg Balke beim Anpassen eines medizinischen Schuhs, Psychotherapeutin Dorothee Ditzen auf ihrem Gesprächs-Sessel, Apothekerin Eva Caroline Lipp im weißen Kittel oder Zahnarzt Dr. Mathias Geib und Hausarzt Dr. Heiko Sudermann in ihren Praxen. Nicht in jeden Behandlungsraum konnte Heinz Humpert, der ein Jahr an der Ausstellung arbeitete, hineinfotografieren; viele heute praktizierende Ärzte und Therapeuten stellten jedoch Bilder zur Verfügung. Auch Heinz Humperts Fotos zahlreicher Gebäude des medizinischen Sektors – so die heutigen Hochtaunus-Kliniken und die Vitos-Klinik auf Gonzenheimer Gemarkung, die Kurklinik Wingertsberg, das Seedammbad mit Sauna und Kneippbecken oder die neue Atlas-Energie-Praxis am Rathausplatz und das Tatjana-Gerdes-Haus für Altenpflege am Weinbergsweg – stehen mit ihren Fassaden für das, was hinter ihren Mauern für Menschen getan wird.

Die Idee für die Schau „Medizinische Versorgung in Gonzenheim heute und damals“ kam dem rührigen Vorsitzenden des Geschichtsvereins, als Stern-Apothekerin Lipp dem Verein drei wunderschöne Apotheker-Feinwaagen aus dem Nachlass ihres Vaters Dr. Ernst Lipp schenkte. Da begann Heinz Humpert, selbst alte Fotos und Zeugnisse der medizinischen Versorgung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zu sammeln. Der Besucher der Schau erfährt so vom „Wunderdoktor“ Müller-Czerny um 1920 und vom 1937 zwangsgeschlossenen jüdischen Sanatorium Dr. Goldschmidt. Die 1977 noch praktizierende Gonzenheimer evangelische Gemeindeschwester Ingrid, der für seine innovative „Elektro-Neuralmedizin“ in Hessen bekannte Mediziner Dr. Richard Croon, Hausärzte wie Dr. Robert Fritz und Dr. Klaus Ditzen und Orthopäde Professor Wilhelm Thomsen dürften manch altem Gonzenheimer aus der Nachkriegszeit noch in Erinnerung sein.

Ausgestellt sind auch viele Objekte der Heilpflege. Es werden aktuelle Angebote wie Thai-Massage, Fußpflege Himsl oder Hilfsangebote für Betreutes Wohnen in der Ortsmitte vorgestellt. Alte Bücher zur Heil- und Apothekerkunde zeigen, dass sich Heilungsmethoden weiterentwickelt haben. Geprellte Hände wurden einem handgeschriebenen Rezeptheft zufolge um das Jahr 1900 mit einer Mischung aus warmgemachtem Räucherspeck und Pferdedreck behandelt. Heute ist der Heilberufene natürlich „up to date“, so zeigen Flyer medizinischer Einrichtungen. Einer titelt: „Ängste haben Sie fest im Griff?“ Die Ausstellung regt an zum Nachdenken und Wahrnehmen: Wir haben in Sachen Gesundheit nicht alles im Griff – aber Heilung hatte immer schon viel mit menschlicher Nähe zu tun.

!Die Sonderausstellung „Medizinische Versorgung in Gonzenheim heute und damals“ des Geschichtlichen Arbeitskreises Gonzenheim im Heimatmuseum, Am Kitzenhof 4, ist ab sofort bis 22. Dezember zu sehen. Öffnungszeiten des Museums: sonntags von 15 bis 17 Uhr (außer in den hessischen Schulferien) sowie jederzeit nach Absprache mit Heinz Humpert (Telefon 06172-450134) oder Roman Janzen (Telefon 06172-1714877), hier können auch kostenfreie Einzel- und Gruppenführungen verabredet werden. Eintritt frei.

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