„Der Störenfried Tod kann uns Wichtiges lehren“

Wünschen sich, dass sich auch folgende Generationen für „die Würde im Sterben“ einsetzen: die Mitgründerin und frühere Vorsitzende des „Bad Homburger Hospiz-Dienstes“, Pfarrerin i. R. Helgard Kündiger, und der Vereinsvorsitzende Dr. Hans-Jörg Todt bei der Jubiläumsfeier des Hospiz-Dienstes in der Englischen Kirche. Foto: a.ber

Bad Homburg (a.ber). „Bei der Begleitung von Sterbenden wird der abstrakte Begriff der ‚Würde des Menschen‘ aus Artikel 1 des Grundgesetzes besonders greifbar: Denn dann ist der Mensch sehr verletzlich und muss besonders geschützt werden.“ Was Dr. Frank Ausbüttel, ehrenamtlicher Kreisbeigeordneter, den vielen Gästen bei der Feier zum 20-jährigen Bestehen des Bad Homburger Hospiz-Dienstes in der Englischen Kirche vor Augen führte, war ein Aspekt der vielschichtigen Arbeit, die der Verein seit langer Zeit für Sterbende und deren Angehörige tut.

Besonders die Ansprache von Gründungsmitglied Helgard Kündiger, Pfarrerin im Ruhestand, legte den Anwesenden aus Bürgerschaft, Ärztestand, Stadtpolitik und den vielen ehrenamtlichen Hospiz-Helfern ans Herz, was Hospizarbeit bedeutet: Sie ist ein Liebesdienst emotionaler und praktischer Art.

Heute verzeichnet der Bad Homburger Hospiz-Dienst, der in der Kurstadt sowie im Usinger Land mit 40 Helfern tätig ist, mehr als 100 abgeschlossene Begleitungen Jahr für Jahr. Mit dem 2015 vom Hospiz-Dienst zusätzlich gegründeten Hospiz- und Palliativnetzwerk Hochtaunus ermöglicht der Verein sterbenskranken Menschen einen Abschied in Würde – in Krankenhäusern und Pflegeheimen, auf Palliativstationen, in Hospizen und, wenn möglich, in der vertrauten Umgebung. Er begleitet auch die Angehörigen, und alles kostenfrei für die Betroffenen. „Meine Liebe zu dieser Arbeit, zu diesem Bad Homburger Hospiz-Dienst, mündet in großem Dank. Ich bin bewegt, was aus dem Anfang im Jahr 1995 geworden ist“, sagte Helgard Kündiger. Damals hatte sie eine kleine Gruppe Ehrenamtlicher mit ihrer Vision begeistert, „dem Menschen im Sterben seine Würde zu geben und den Tod als Teil des Lebens anzunehmen“. Man begann mit Sterbebegleitungen auf Modellstationen des Homburger Kreiskrankenhauses; der Name „Hospizarbeit“ war 1995 in Deutschland noch nicht bekannt.

Der Kreis konzipierte Schulungen für die Hospizbegleiter und baute systematisch eine ambulante Hospizarbeit in der Region auf. Im Januar 2004 wurde der Verein „Bad Homburger Hospiz-Dienst“ von Helgard Kündiger und Ingrid Rochlus gegründet. Die Hospiz- und Palliativ-Kraft Sabine Nagel, heute Leiterin der Fachstelle des Vereins im Gluckensteinweg 50, war ebenfalls „Frau der ersten Stunde“. Der Verein sieht sich auch den beiden christlichen Kirchen in ökumenischem Geiste verbunden.

Dr. Hans-Jörg Todt, der Helgard Kündiger 2013 als Vereinsvorsitzender ablöste, betonte bei der Feierstunde die verlässliche ideelle und finanzielle Unterstützung, die der Hospiz-Dienst über Jahre durch Stadt, Landkreis, Ärzteschaft und auch durch die Mitglieder, die Taunus Sparkasse und weitere Geldgeber erfahren habe. Oberbürgermeister Alexander Hetjes wandte sich an die ehemaligen und aktiven Hospizhelfer: „Sie hören zu, spenden Trost, unterstützen. Wir können kaum ermessen, wie belastend es auch ist, die Emotionen und Schicksale der Menschen und Familien mitzuerleben und auszuhalten – dafür gebührt Ihnen großes Lob!“ Für die Rind’sche Bürgerstiftung, langjährige Unterstützerin, überreichte Vorstand Hans-Dieter Homberg einen großen Scheck zum Jubiläum. Dr. Frank Ausbüttel bezeichnete den Bad Homburger Hospiz-Dienst „als wichtigen Akteur auch in Schulen, der sich dafür engagiert, Tod und Sterben in der Gesellschaft nicht zu tabuisieren“.

Der bewegenden Rede von Gründerin und Theologin Helgard Kündiger, die all denen dankte, „die sich uns in größter Not anvertraut haben und mit denen wir erleben durften, dass Leben im Sterben keine Fata Morgana ist und dass die Würde im Sterben im Annehmen des Fragmentarischen besteht“, folgte ein Festvortrag. Susanne Conrad, Autorin und Journalistin, sprach über „Toleranz – von der Kunst ‚auszuhalten‘“. Die Rednerin, nach eigenen Worten selbst bereits zweimal durch eine Krebserkrankung mit dem Sterben konfrontiert, machte eindringlich deutlich, dass Toleranz Grundprinzip unseres Lebens sei: „Im eigentlichen Wortsinn heißt das: aushalten, erdulden, ertragen. Wir gehen als Spaß- und Konsumgesellschaft unangenehmen Situationen eher aus dem Weg – ja, Toleranz ist eine Zumutung.“

Das gehe von der Tatsache, Menschen und Meinungen zu ertragen, mit denen wir lieber nichts zu tun haben wollten, über das Ertragen von Fremdem und Fremden, Obdachlosen und Behinderten bis hin zum Leiden der Sterbenden. All das könne Angst und Stress bedeuten. „Ich habe das Gefühl, alles ist so unerbittlich geworden. Man wird in eine Ecke gestellt, abgestempelt und gemieden“, so Conrad. Dabei gehe es darum, auszuhalten, „ein Mensch zu sein“. Die Autorin des Buches „Sterben für Anfänger“ sagte: „Lange haben Mediziner den Tod als Niederlage empfunden. Aber am Punkt ‚Wir können nichts mehr für Sie tun‘ ist in Wahrheit noch viel zu tun!“ Die letzte Lebensstrecke sei eine „Achterbahnfahrt durch ein Meer von Abschied und Schmerz“; es erfordere Kraft und sei aufwühlend für Helfer, dabei zu begleiten, das Leid des anderen mit zu tragen und zu ertragen. „Aber der Störenfried Tod kann uns Wichtiges lehren.“ Zeiten ernsthafter Erkrankung zum Tod hin sehe sie „auch als Weckruf und Chance, sich mit ganz existenziellen Fragen zu beschäftigen“ und in Verzweiflung und Angst die große Nähe von Angehörigen und Helfern zu spüren. Und dann seien Gespräche über Gott und die Welt und alles, was wirklich zählt im Leben, große Geschenke.

„Nähe ist die größte Sehnsucht am Ende des Lebens“, sagte Susanne Conrad. „Ich ziehe den Hut vor Ihrem Engagement!“ Nicht nur ein ukrainisches Liebenslied und Leonard Cohens „Halleluja“, vorgetragen von dem ukrainischen Musiker-Duo Natalia Cherniaieva (Sopran) und Viacheslav Zahorodniev (Klavier), auch eine Lesung von Gedichten und Texten berührten die Festgäste, die sich am Ende angeregt austauschten.

!Mehr Informationen über den Bad Homburger Hospiz-Dienst, Gluckensteinweg 50, gibt es unter Telefon 06172-8686868 sowie im Internet unter www.hospizdienst-bad-homburg.de.

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