„Warum haben wir das nicht schon früher gemacht?“

Wie sieht es aus in einer Synagoge und wie im Leben der jüdischen Gemeinde? Oberbürgermeister Alexander Hetjes (2.v. l.) freut sich mit Rabbiner Shalom Rabinovitz, Evgeniy Sternberg und Arthur Iliyav (v. l.) über die vielen Besucher am Tag der offenen Synagoge im Jüdischen Zentrum Bad Homburg. Foto: a.ber

Bad Homburg (a.ber). „Toda lecha“, Danke! Moderne hebräische Lieder wie der Song von Benny Friedman und jede Menge bunte Luftballons am Zaun empfingen die Besucher beim Tag der offenen Synagoge: Das Jüdische Zentrum Bad Homburg hatte am Sonntag die Bürger der Kurstadt und alle Interessierten eingeladen. Viele waren gekommen, um einen Blick in die Synagoge am Töpferweg zu werfen, die vor zwei Jahren eröffnete neue Mikwe anzuschauen und den Kindergarten im Jüdischen Zentrum mit seinen schönen Räumen kennenzulernen. Doch das Wichtigste waren die Gespräche über jüdisches Leben und jüdischen Alltag, über Glauben und Riten – Rabbiner Shalom Rabinovitz und Mitglieder der Jüdischen Gemeinde beantworteten in drei Führungen nicht nur Fragen der Teilnehmer, sondern hatten auch in großer Gastfreundschaft zu Musik und traditionellen Speisen eingeladen.

„Wenn wir etwas das erste Mal machen, und es ist gut, dann fragen wir uns immer: Warum haben wir das nicht schon früher gemacht?“, sagte Rabbiner Rabinovitz bei der Begrüßung der Gäste, die im Gestühl des Synagogenraums Platz genommen hatten. Der Tag der offenen Synagoge war eine Premiere im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus in der Kurstadt. Das Jüdische Zentrum Bad Homburg, im Jahr 2011 gegründet und der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main zugehörig, ist schon oft in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten, zuletzt im Dezember 2023 mit einer gut besuchten Chanukka-Feier auf dem Bad Homburger Marktplatz. Nun war Gelegenheit, einen Blick in das Zentrum des jüdischen Lebens hier zu werfen. Vor dem Zaun am Töpferweg, wo derzeit sonst Polizei für die Sicherheit der Gemeinde sorgt, wurden Kopfbedeckungen an Männer und Frauen verteilt, dann ging es in die Synagoge. Auch Oberbürgermeister Alexander Hetjes war gekommen. „Es geht um Toleranz. In Bad Homburg, das schon immer eine internationale Stadt war, leben inzwischen Menschen aus mehr als 130 verschiedenen Nationen friedlich miteinander. Dazu gehört auch die jüdische Gemeinde. Seit eurer Gründung“, wandte sich der Oberbürgermeister an die Gemeindevertreter, „verbindet uns eine feste und intensive Freundschaft mit euch, für die ich dankbar bin.“

Leidvolle Geschichte

Seit der ersten Gründung einer jüdischen Gemeinde im Jahr 1335 in Homburg haben die Juden hier eine wechselvolle und auch leidvolle Geschichte erlebt. Der Vorstand des „Vereins der Freunde und Förderer der jüdischen Kultur und Religion Bad Homburg“, Arthur Iliyav, ließ die Jahre in großen Schritten Revue passieren. Dass in einer Blütezeit um 1865, als in Homburg eine große neue Synagoge an der Elisabethenstraße erbaut und der jüdische Friedhof am Gluckensteinweg eingeweiht wurde, zehn Prozent der etwa 6000 Einwohner Homburgs jüdischen Glaubens waren, hörten die Besucher mit Staunen. Heute zählt die jüdische Gemeinde etwa 550 Mitglieder; viele kamen Ende der 1980er Jahre aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion und in jüngster Zeit wurden in der Kurstadt und im Hochtaunuskreis noch einmal mehr als 130 ukrainische Flüchtlinge jüdischen Glaubens aufgenommen, die vom Jüdischen Zentrum aufopferungsvoll betreut und integriert werden. Zwei von ihnen, der Violinist Feliks Shuster und der Sänger Vyacheslav Bereznyakov, beeindruckten an diesem Tag mit jüdischer Musik und Liedern wie „Yerushalayim shel Zahav – Jerusalem aus Gold“. In einer Videoshow wurden Ereignisse der vergangenen 13 Jahre gezeigt und das religiöse Leben und soziale Engagement der Bad Homburger Gemeinde dargestellt.

Rabbiner Shalom Rabinovitz und Evgeniy Sternberg vom Verein öffneten den Toraschrein der Synagoge, in dem drei kostbare pergamentene Torarollen mit den von Hand geschriebenen fünf Büchern Mose stehen. Die Tora werde jedes Jahr von Anfang bis Ende in 50 Abschnitten gelesen und erinnere den Juden an seine Aufgabe in der Welt, so der Rabbiner. Auch der Menora-Leuchter und der glitzernde Davidstern an der Wand gaben Anlass zu neugierigen Fragen. Eine humorvolle Antwort gab es auf die Frage, warum die goldene Wanduhr neben dem Eingang, eine Replik der Uhr aus der alten Synagoge Prags, andersherum laufe: „Es ist wie mit der hebräischen Schrift: die wird auch verkehrt herum von rechts nach links gelesen.“ Wer wollte, konnte die Tischklappen im Gestühl öffnen: hier liegen Gebetsriemen für die Gottesdienste, deren Funktion erklärt wurde, ebenso wie die Bedeutung der Kopfbedeckung. Nur die Männer im Judentum haben die Pflicht Bibel zu lesen, und tun dies mehrmals in der Woche gemeinsam, und der Shabbat ist heilig – weswegen die jüdische Gemeinde zum Beispiel nicht an städtischen Kulturveranstaltungen samstags teilnehmen kann: all dies war manchem neu. Ganz besonders war der Einblick in die 2022 eröffnete Mikwe, das rituelle Tauchbad für jüdische Frauen, und dessen Bedeutung. Hier ließ ein Gemeindemitglied immer wieder kleine Gruppen eintreten.

Kinderschuhchen standen paarweise am Eingang, drinnen tat sich für junge und ältere Besucher eine bunte fantasievolle Spielwelt mit liebevoll gestalteten Räumen auf: Auch die drei Tagesmütter des vor neun Jahren gegründeten jüdischen Kindergartens „Menora“ im Jüdischen Zentrum luden ein. Sylvia Sahlmann, Claudia Neumann und die Auszubildende Jennifer Würl betreuen hier mittlerweile zehn Kinder im Alter von null bis drei Jahren in Kindertagespflege. „Ältere Kinder besuchen den jüdischen Kindergarten oder die jüdische Schule in Frankfurt. Für 26 jüdische Flüchtlingskinder aus dem Kreis haben wir einen täglichen Transport dorthin organisiert“, erzählte Evgeniy Sternberg, der Vorsitzende der Gemeinde. In der Synagoge hatten sich inzwischen immer mehr Besucher versammelt – und der einladenden Geste der jüdischen Mitbürger, jüdische Speisen und koscheren Wein zu probieren, folgten viele gern.

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