„Demomasochismus“ mit dem Trecker

In seiner Büttenpredigt als „Treckerfahrer von Staabach“ schaute Pfarrer Herbert Lüdtke genau hin, und strafte braune Fremdenhasser, Gleichgültige und untätige Nörgler verbal ab, ohne dabei mit der Landmaschine aus der Humor-Kurve geschleudert zu werden.Foto: csc

Steinbach (csc). Als um 10 Uhr am Sonntagmorgen das Glockengeläut von St. Georg durch die Gassen schallte,war in der kleinen Kirche schon so gut wie kein Platz mehr frei. Auf dem Altar lag ganz unschuldig ein kleines rotes Bällchen. Es war eine Clowsnase, und dieses so unscheinbare, aber doch wichtige Accessoire kündigte an, dass dieser Gottesdienst nicht wie jeder andere im Jahr ablaufen würde.

Nicht nur die Kreppel, die es anschließend geben sollte, lockten die Kirchgänger an, sondern vor allem fragten sich die Steinbacher, wer hier bei der Büttenpredigt sein Fett wegbekommen sollte. Pfarrer Herbert Lüdtke als „De Treckerfahrer von Staabach“ hatte bereits angekündigt, dass es in diesem Jahr mit der humorvollen Zurückhaltung vorbei sein solle und diesmal ordentlich von Leder gezogen würde. Themen gab es leider genug, über die sich der „Treckerfahrer“ von der Kanzel herab echauffieren konnte. Zu viel braune Gesinnung und zu wenig Aufbegehren gegen Rechts im Land, Missbrauch in der Kirche, Krieg in Nahost, die Christen werden immer weniger und der neue Gott heißt Konsum und Geld, so die traurige Bilanz. „Isch hab mer Gedanke gemacht, wie isch wirksam werd in dieser Welt, und isch habe a Lösung gefunne, die mir gefällt“, teilte Lüdtke mit und erzählte, dass jetzt ein Trecker auf seinem Hof stehe. „Mit dem krie isch alles, was ich brauch: Wertschätzung, Respekt un zu mir auf gucke se auch.“ Demomasochismus heiße das heute, so Lüdtke.

„Bei die normale Leut ärgert misch am meisten, wann die sich so oberfläschlisch dumm erdreisten. Die saache dann, ‚des is ja alles nur weesche der blöd Ampel‘, un labern dann so a rechtes Oberflächlichkeitsgebambel. Da hört mer dann was von ‚Mainstream‘ und ganz viel ‚ja aber‘, dann kommt noch des ‚mer kann ja gar net mehr alles saache‘-Gelaber.“ Zu allem Überfluss, so stellt der „Treckerfahrer“ fest, haben wir einen Kanzler, „der sich stumm geniert“, ein Vize „der das Einfachste hochphilosofiert“ und dann noch Christian Lindner, der „aus’m Porsche heraus, gibt fürs Volk Sparpläne aus“, das kann nicht nur einen Treckerfahrer richtig wütend machen. Eine Lösung für das Schlamassel hatte der gewitzte Steinbacher eventuell von Sahra Wagenknecht abgekupfert – eine neue Partei muss her. „Partei für Schlaue“ könnt sie sich nennen, denn in der Rischtung gibt’s noch nix, was isch kenne. Die PfS, die würden bestimmt viele wähle, weil sich die Dumme gern zu de Schlaue zähle.“ Ein anderes prekäres Thema, das sich der Treckerfahrer nicht scheute, auf den Tisch zu bringen, waren die Missbrauchsvorfälle in der evangelischen Kirche. „Da hammer gedacht, in unserm Lade gäb’s sowas nicht, awwer des war dann wohl die ganz falsche Sicht. Un besonders schlimm isses, wann der Missbrauch wird verschwiege, des tut am System und den Strukturen zu liege. Es darf doch nix getan wern, was dem Missbrauch nützt, und am End noch die Täter schützt“, mahnte Lüdtke. Und setzte gleich nach. „Für heut war’s vielleicht die letzte Büttenpredigt gewese, im kommende Jahr werd ich die Predigt vielleicht schon im Nachbarschaftsraum lese“, mutmaßte er und spielte damit auf die Zusammenlegung von Gemeinden an, in denen ein Pfarrer oder eine Pfarrerin für 3000 bis 6000 Gemeindemitglieder zuständig sein soll.

Nach der närrischen Büttenpredigt gab es Applaus für den „Treckerfahrer“, der sich selbst die Frage stellte, ob ein Pfarrer so reden darf. „Was darf man eigentlich sagen?“, sinnierte Lüdtke, da kam ein Ruf aus dem Kirchenraum: „Helau!“ Das ließ alle Anwesenden laut auflachen, und Herbert Lüdtke gab den Gottesdienstbesuchern noch mit auf den Weg: „Wir können uns immer alles sagen, nicht nur an Fasching.“



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