„Auch nach Jahrzehnten sind seelische Wunden nicht verheilt“

Beyza Rodoslu hat das Anti-Mobbing-Netzwerk gegründet und bietet Mobbingopfern Hilfe an. Foto: privat

Bad Homburg (fch). Seit drei Wochen hat Bad Homburg mit dem „Anti-Mobbing-Netzwerk“ einen neuen Verein. Er ist regional aktiv, arbeitet präventiv, klärt auf und ist als Netzwerk Anlaufstelle für Mobbing-Opfer, deren Angehörige und Bindeglied zwischen Schulen und Organisationen. Die derzeit acht Gründungsmitglieder bieten den Betroffenen kompetente Beratung und Hilfe an. „Unsere Hilfe erfolgt nicht nach Schema F, sondern individuell“, betont die Vorsitzende Beyza Rodoslu.

Auf das Thema Mobbing aufmerksam wurde sie durch einen Fall im Freundeskreis. „Die Tochter meiner Freundin wurde in der Schule gemobbt. Die Mutter, die als Kind selbst gemobbt wurde, konnte nicht damit umgehen. Ich habe mich eingeklinkt und schnell festgestellt, dass Eltern und Schulen bei dem Thema oft überfordert sind. Schulen fehlt es meist an Zeit und Personal, um schnell und gezielt zu reagieren und zu helfen.“ Bei ihrer Recherche stellte Beyza Rodoslu fest, dass es in der Kurstadt bisher keine Anlaufstelle für die Betroffenen gibt. Sie recherchierte, las unter anderem das Buch „Unsichtbare Wunden“ von Autorin und Mobbingexpertin Astrid Frank, führte viele Gespräche und bildete sich zur Mediatorin in Erziehung und Bildung mit Schwerpunkt Schule fort.

„Ich habe diese Ausbildung für unsere Vereinsarbeit gemacht, beschäftige mich seit zwei Jahren intensiv mit dem Thema Mobbing. Mobbing ist nichts anderes als Terror. Es ist kein Konflikt und kein Streit. Die Opfer sind auf Hilfe angewiesen.“ Schnell erkannte sie, dass man aufklären muss, um zu wissen, womit man es beim Mobbing zu tun hat. „Deshalb wollte ich interessierte Bürger zu einer Aufklärungsveranstaltung einladen. Hilfe muss für jeden unabhängig von seiner wirtschaftlichen Situation oder der der Eltern zugänglich sein.“

Beyza Rodoslu wandte sich mit der Bitte um Unterstützung an Oberbürgermeister Alexander Hetjes. Er sagte ihr sofort Hilfe zu, regte die Bildung eines Vereins an und übernahm die Schirmherrschaft. Durch die Pandemie wurde die Veranstaltung auf das kommende Jahr verschoben. Anerkennung und die Eintragung als gemeinnütziger Verein beim Amtsgericht dauerten ebenfalls länger als erwartet. „Heute habe ich ein Schreiben von der Staatsanwaltschaft Frankfurt erhalten, dass unser ‚Anti-Mobbing-Netzwerk‘ in die offizielle Spendenliste des Justizministeriums eingetragen wurde“, freut sich die Vorsitzende. Sollte der Verein durch Richter und Staatsanwälte zugesprochene Geldzuweisungen erhalten, werde er diese wie alle anderen Spenden für die Publikation von Unterlagen für Klassen und Informationsveranstaltungen verwenden. „Mobbing trifft ganz viele Kinder und Erwachsene. Es gibt keine Eigenschaft, die jemandem Sicherheit gibt. Betroffene sind der Willkür des Mobbers ausgesetzt. Opfer vergessen Mobbing nicht, auch nach Jahrzehnten sind die seelischen Wunden noch nicht verheilt. Wichtig ist es, dass die Opfer wissen, dass sie nie Schuld am Mobben haben. Erschreckend für mich ist, dass ich noch nie jemanden getroffen habe, der Mobbing nicht kennt. Und dass es in jeder Stadt gemobbte Kinder gibt, die Selbstmord begehen.“

Wichtig für alle Betroffene ist es, sich Hilfe zu holen. Weit verbreitet sei das Totschweigen oder Bagatellisieren von Mobbing in vielen Schulen und Kommunen. „Es gibt weltweit keine einzige Schule ohne Mobbing. Laut Pisa-Studie ist jedes sechste Kind von Mobbing betroffen. In Hessen haben wir laut Schulstatistik im Schuljahr 2019/20 insgesamt 634 300 Schüler, in Deutschland ungefähr 8,33 Millionen.“ Legt man diese Zahlen zugrunde, dann gab es im vergangenen Schuljahr in Hessen 105 666 Kinder und in Deutschland knapp 1,4 Millionen Schüler, die von Mobbing betroffen waren. Schulwechsel sei kein Allheilmittel.

Wie gefragt kompetente Hilfe ist, erkannten die späteren Vereinsgründer, als sie ihre Veranstaltungsseite online stellten. „Wir wurden mit Anfragen überschüttet.“ Die Mitglieder sehen sich als Vermittler und Begleiter auf dem Lösungsweg. „Wir arbeiten an einer möglichst friedlichen Lösung mit dem gemobbten Kind, der ganzen Gruppe oder Klasse zusammen, die zugesehen und nichts unternommen haben, sowie mit dem Täter, die oft selbst Opfer sind und/oder große Probleme haben.“ Der Verein unterstützt ferner Lehrer und Schulleiter bei Organisation und Durchführung von Projekten und Veranstaltungen zum Thema Mobbing, stellt den Kontakt zu Experten in ganz Deutschland her.

„Unser Verein hilft Lehrern bei der Realisierung von individuellen Projekten zu den Themen Mobbing, Cybermobbing und Medienkompetenz. Arbeiten wir präventiv, erreichen wir viele Menschen.“ Eltern bietet der Verein an, ausgestattet mit einer Vollmacht, Kontakt mit der Schule aufzunehmen und um ein Gespräch zu bitten. „Bisher haben alle Schulen auf unsere Gesprächsanfrage umgehend reagiert.“ Die Dauer der Begleitung der Mobbingopfer durch die heuteigen Vereinsmitglieder reichte bisher von drei Wochen bis zu acht Monaten. Der Verein kooperiert mit der Stadt Bad Homburg, mit der Diakonie und dem Weißen Ring. Gesucht werden weitere engagierte Mitglieder und Sponsoren. Die erste öffentliche Veranstaltung „Schau hin“ findet am 10. September 2021 bei freiem Eintritt in der Englischen Kirche statt.

!Anti-Mobbing-Netzwerk, Vorsitzende Beyza Rodoslu, Telefon 0152-34707038, E-Mail: mail[at]anti-mobbing-netzwerk[dot]de, Website: www.anti-mobbing-netzwerk.de.



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