In einem Land vor unserer Zeit

Hannelore Schneider vor den Schülerinnen der AbschlussjahrgängeFoto: Röhl

Königstein (kw) – Vor Jahren stellte einmal eine Schülerin der St. Angela Schule erstaunt fest, dass die Menschen, die den Mauerfall im November 1989 erlebt haben, doch tatsächlich noch leben. „Ja, und wie!“, antwortete ihre Lehrerin Heike Röhl damals.

Wie lebendig die Zeitzeugen und ihre Erinnerungen sind, konnten die Schülerinnen der Abschlussjahrgänge der St. Angela-Schule am vergangenen Dienstag bei dem erneuten Zeitzeugengespräch mit Hannelore Schneider erleben. In ihrer sehr authentischen und reflektierten Art erzählte sie von ihrem Leben als Kind katholischer Eltern in der Oberlausitz, die versuchten, ihren Glauben trotz aller staatlichen Repressalien zu leben.

Sie berichtete von ihren Erfahrungen als Englischstudentin, die als Dolmetscherin in Berlin mit Menschen aus vielen Ländern zusammentraf und gerade in dieser Stadt auch wortwörtlich immer wieder an Mauern stieß, die die Gäste aus dem „nichtsozialistischen Ausland“ häufig gar nicht wahrnahmen. Spätestens während dieser Jahre begann ihre große Sehnsucht nach der Welt, nach Offenheit und Freiheit.

Und sie schilderte Erlebnisse aus ihrem Berufsleben als Lehrerin für Deutsch und Englisch in der DDR, die ihren Arbeitsort nicht frei wählen durfte, das englischsprachige Ausland nie besuchen durfte und die ihren Beruf nur unter permanenter Beobachtung ausüben konnte und auf diese Weise auch eine ständige Gratwanderung zwischen dem Willen, ihre Schülerinnen und Schüler zu (kritisch) denkenden und eigenverantwortlich handelnden Menschen zu erziehen, und einem einigermaßen systemkonformen Verhalten absolvieren musste, wenn sie Lehrerin bleiben wollte. Schon das Weigern, eine Fahne bei der staatlich verordneten Demonstration zum 1. Mai, dem „Kampftag der Arbeiter und Bauern“, zu tragen, bedurfte einer guten Begründung. Hannelore Schneider fand sie und trug keine Fahne. Ihre Stasi-Akte, aus der sie vorlas, charakterisierte sie demzufolge auch als nicht kommunistisch genug.

Ausreise über Nacht

Die aufmerksam zuhörenden Schülerinnen erfuhren auch von ihrer Arbeit in der Umweltgruppe in Cottbus und deren späterer Aktivität bei den Kommunalwahlen im Mai 1989, bei denen die Gruppe als Wahlbeobachter den Wahlbetrug des Wahlkomitees nachweisen konnte und dieses vor Gericht anklagte. Dieser Schritt hatte zur Folge, dass Schneiders zuvor gestellter Ausreiseantrag plötzlich genehmigt wurde und sie die DDR mit ihrer Familie über Nacht verlassen musste.

Danach begann ein neues, freieres Leben. Einfacher aber war es nicht unbedingt, denn sie musste der Bundesrepublik erst beweisen, dass sie eine fähige Lehrerin war. Wie so viele Ostdeutsche wurden ihr Berufsabschluss und der ihres Mannes nicht automatisch anerkannt. Dies und der Verlust der Heimat, ihres Eigentums wie auch die Trennung von Freunden wogen schwer, aber sie betonte, dass die neu gewonnene Freiheit all das wert gewesen sei und sie sich im November 1989 sehr darüber gefreut habe, dass nun alle Menschen der DDR diese Freiheit erhielten.

Die lebendigen Schilderungen Hannelore Schneiders beeindruckten die Schülerinnen der St. Angela-Schule sehr, und sie stellten ihr immer wieder interessierte Fragen, die einerseits zeigten, wie nah ihnen die Darstellungen der Zeitzeugin gingen, die andererseits aber auch offenbarten, wie fern ihnen dieser Teil der deutschen Geschichte ist. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie wichtig Veranstaltungen wie diese sind, damit dieses Land vor der Zeit der heutigen Schuljahrgänge in Erinnerung bleibt und mahnt, wie wertvoll unsere Demokratie mit all ihren Pflichten und Freiheiten ist.



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