Kelkheim (ju) – Sprache spielt eine zentrale Rolle bei der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund. Gute Sprachkenntnisse sind die Grundlage für Bildungserfolg und gesellschaftliche Teilhabe. Sie ermöglichen es Menschen, sich in ihrer neuen Umgebung zurechtzufinden, soziale Kontakte zu knüpfen und berufliche Chancen zu nutzen.
Zwei Wochen nur Deutsch
Dessen sind sich auch die Schulleitung und die Lehrer der Eichendorffschule bewusst und bieten darum immer in den letzten zwei Ferienwochen ein Sprachcamp für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung und Migrationshintergrund an. Die EDS, die bekannt ist für ihre vielfältigen Projekte zur Sprachförderung aber auch zur Integration, hat die Erfahrung gemacht, dass die sechs Wochen Ferien für Schülerinnen und Schüler, die die deutsche Sprache erlernen, sehr ungünstig sind. „Sechs Wochen nur zu Hause in der Muttersprache sprechen ist schlecht für den deutschen Spracherwerb“, weiß Schulleiter Stefan Haid, der bei einem Vor-Ort-Termin das diesjährige, inzwischen achte, Sprachcamp vorstellte. Ina Schindler, Lehrerin an der EDS, und leitender Kopf und leitendes Herz des Camps, ist seit Jahren dabei und stieß diesmal auf Herausforderungen und Erfahrungen, die sie vorher so noch nicht gemacht hatte. Wie jedes Jahr besteht das Camp aus einem sprachlichen und einem künstlerischen Part. Auf dem Programm „stand eigentlich ein sehr einfaches und phantasievolles Buch, aber irgendwie entpuppte es sich doch als schwer für unsere Schüler“, stellte Schindler schon während des Camps fest. Mit „Die unendliche Geschichte“, einem Fantasiemärchen, das fast jedem bekannt sein sollte, wollten Schindler und Kunstlehrerin Julia Vogel das Interesse an der deutschen Sprache wecken. „Wir hätten nie gedacht, dass es so schwierig wird“, gestehen beide. Das Problem ist ein einfaches, wie aber auch erschreckendes: „Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung haben nicht viel Phantasie. Sie haben zu viel schreckliches gesehen. Und wenn sie Phantasie haben, dann eine andere, als wir sie uns vorstellen“, fasst Schindler die Erfahrung, die sie bei diesem Camp gemacht hat, zusammen. „Sie können sich nicht vorstellen, dass Bastian auf dem Dachboden der Schule liegt, ein Buch liest und dabei in eine andere Welt abtaucht. Das ist völlig abstrakt für sie.“ Nach ihrer Ansicht sind viele auf der Flucht erwachsen geworden, mussten erwachsen werden. Bei manchen hat sie graue Haare entdeckt. Und manchmal erzählen sie im geschützten Rahmen von Dingen, die einen erschüttert zurücklassen.
Trotzdem haben sich die 22 Schülerinnen und Schüler zwischen neun und 16 Jahren der Herausforderung gestellt, „auch wenn einige dabei sind, die ein großes Päckchen zu tragen haben“, so Schindler. Und noch etwas ist diese Jahr ganz anders: Vier Analphabeten waren mit dabei, denn seit dem neuen Schuljahr wird es an der EDS eine „Alphaklasse“ geben mit 12 Schülerinnen und Schülern jenseits der Grundschule, die lesen und schreiben lernen müssen.
Kunst und Sprache
Auch an der Pünktlichkeit der 22 haperte es gelegentlich, doch schon nach einer Woche zeigten sich erste Ergebnisse. Das Vorlesen wurde flüssiger und im Kunstraum entstanden wahre Meisterwerke in Form von Daumenkinos in Guckkästen. „Die äußere Hülle des Kastens sollten die Kids mit Motiven aus dem Buch gestalten, innen drin, im Daumenkino, konnten sie ihre Geschichte in Bildern festhalten“, erklärt Julia Vogel die künstlerische Arbeit. Hilfreich war dabei auch der gerade eingerichtete Makerspace in der Schule. Dort entstanden zur Freude aller mehrere Glücksdrachen Fuchur (der Drache aus dem Buch und Bastians Freund) im 3D-Drucker. Mehr Inspiration geht ja schon fast nicht mehr.
Wichtig und richtig auch die Pausen: Bewusst sollten die Kids die Handies weglassen und zusammen spielen. Und siehe da, es funktionierte. Das, womit sich einige Erwachsene in diesem Land so schwer tun, ging selbst mit Sprachbarrieren und den verschiedensten Herkünften. „Das war auch gewinnbringend für die Analphabeten, denn sie bekamen ein Gefühl von Zugehörigkeit. Sie sind keine Außenseiter, sie brauchen nur etwas Zeit“, verrät Schindler, der man immer wieder anmerkt, wie viel Freude ihr diese Sprachcamps bereiten.
Mehr Geld, mehr Unterstützung
Inzwischen hat auch die Politik bemerkt, dass es wichtig ist, Integrationsprojekte, gerade an Schulen, zu unterstützen. Daniela Georgi vom hessischen Kultusministerium, die sich an diesem Tag einen Eindruck vom Sprachcamp in der EDS machte, berichtete, dass das Land inzwischen mehr Geld für Projekte zur Sprachförderung beisteuere. „Die Camps sind eine gute Investition in die Bildung. Außerdem, wenn ich hier vor Ort sehe, was möglich gemacht wird, dann bin ich davon überzeugt, dass so Integration funktioniert und zwar gewinnbringend für alle.“ Doch finanzielle Unterstützung kommt nicht nur vom Land. Auch die Rotarier unterstützen das Camp, die EDS, immer wieder bei Projekten oder Fördermaßnahmen. Jürgen Machalett, amtierender Präsident des Rotary Clubs Kelkheim, zeigt sich angetan und freut sich über die gute Investition in die Zukunft. „Gut ausgebildete Jungen und Mädchen mit Migrationshintergrund sollten die gleichen Möglichkeiten an Teilhabe haben, wie alle anderen. Und das wird hier vorbildlich gelebt.“