Der weite Weg zur Diagnose bei einer Seltenen Erkrankung

Sabine Pitschula-Brauer führt sich seit zwei Jahren humanes Immunglobin über eine Infusion in den Bauch zu. Foto: fch

Hochtaunus (fch). Sabine Pitschula-Brauer ist eine Kämpferin. Sie gehört zu den vier Millionen Deutschen, die von einer Seltenen Erkrankung betroffen sind. In Europa sind 30 Millionen Menschen, weltweit sogar 300 Millionen von einer „Orphan Disease“ betroffen. Weltweit bekannt sind rund 30 000 Krankheiten. Davon zählen etwa 8000 zu den Seltenen Erkrankungen.

Von diesen „seltenen“ Krankheiten gibt es viele, bekannt sind rund 6000, wie der Verein Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (Achse) informiert. „In Europa gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10 000 Menschen das spezifische Krankheitsbild aufweisen“, informiert Sabine Pitschula-Brauer. Etwa 80 Prozent der Seltenen Krankheiten sind genetisch bedingt. Viele dieser Krankheiten machen sich schon bei der Geburt oder im frühen Kindesalter bemerkbar, andere entwickeln sich erst im Erwachsenenalter. Zahlreiche sind lebensbedrohlich oder führen zu Invalidität. Die meisten verlaufen chronisch, sind nicht heilbar. Die Patienten sind dauerhaft auf ärztliche Behandlung angewiesen. Wirksame Therapien sind rar. Der Weg zu einer Diagnose ist oftmals weit wie bei Sabine Pitschula-Brauer, die seit vier Jahren mit ihrem Mann in Oberursel wohnt.

Späte Diagnose

„Hätte ich eher meine Diagnose erhalten, dann wäre mir viel Leid erspart geblieben“, sagt die 54-Jährige. „Ich hatte bereits als Kind viele Probleme, ich war schwächlich, oft krank und hatte Allergien. Kein Arzt hat je nach der Ursache gesucht. Die Beschwerden wurden immer nur abgetan.“ Als Teenager litt sie unter Darmentzündungen und Lungenproblemen. Erst 2013 untersuchte ein Arzt das Blut von ihr auf Antikörper. Er wies Antinukleäre Antikörper (ANA) nach. Die Autoantikörper zirkulieren und richten sich gegen Komponenten des Zellkerns. ANA sind ein charakteristisches Merkmal von systemischen Autoimmunerkrankungen. Daraufhin führte der Mediziner ein Thorax-CT durch und fand zwischen Lunge und Aorta einen Tumor. Ein Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) erklärte Sabine Pitschula-Brauer, dass so einen Thymom (Tumor des Thymus) „jeder hat“ und riet ihr zu einer psychosomatischen Kur. 2014 war sie bei einem Lungenfacharzt, weil sie sich impfen lassen wollte. Er überwies sie mit Verdacht auf einen bösartigen Tumor in die Thorax-Chirurgie. Sie wurde 2016 operiert. „Bei der pathologischen Untersuchung stellte sich heraus, dass es sich nicht um Krebs, sondern um die selten auftretende Nervenkrankheit Myasthenia gravis handelt, bei der die Signalübertragung zwischen Nervensystem und Muskeln gestört ist, wodurch es zu einer hochgradigen Ermüdbarkeit der Muskulatur kommt.“

Die Ursachen der Erkrankung, an der etwa 100 bis 200 von einer Million Menschen leiden, sind bisher unklar. Heilbar ist Myasthenia gravis nicht. Ein Neurologe behandelte Sabine Pitschula-Brauer unter anderem mit einer Chemotherapie. „Dadurch verschlimmerten sich meine Symptome.“ Worauf der Neurologe einen Gendefekt vermutete, der sich bestätigte. „2018 erhielt ich die Diagnose, dass ich einen ADA2-Defekt (Adenosindesaminase 2 – ADA2) habe.“ Seit 2019 erhält die in Bad Vilbel-Massenheim Geborene, die als Vierjährige mit ihren Eltern nach Frankfurt gezogen war, humanes Immunglobin. Zugeführt wird es einmal in der Woche jeweils über sechs Stunden als Infusion in den Bauch. „Seither bilden sich einige meiner Symptome wie das Sehen von Doppelbildern, Schluckbeschwerden, Sprach- und Hörstörungen zurück. Geblieben sind durch die OP Narben am Herzbeutel und an der Lunge, die eine Atemmuskelschwäche zur Folge haben. Dadurch kann ich nur kurze Strecken gehen, ich habe Muskelschwund an den Unterschenkeln, bin kurzatmig und benötige nachts eine Beatmung.“

Vor der OP war Sabine Pitschula Brauer schlank, sportlich – sie gab Kurse für Herzpatienten – und berufstätig. Trotz ihrer Beschwerden ist sie als ehrenamtliche Beraterin für Seltene Erkrankungen bei der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatungsstelle (EUTB) in Oberursel tätig. Als Lotsin bindet sie Betroffene an Selbsthilfevereine und Zentren an, gibt bis zu zehn Betroffenen monatlich Tipps für Ärzte und Vorgehensweisen. „Wichtig ist es, dass der Hausarzt mitzieht und unterstützt, genau hinhört und hinsieht. Mein Ziel ist es, dass die Betroffenen schnell eine Diagnose und Behandlung erhalten, damit keine wertvolle Zeit verlorengeht. Zeitverschwendung bedeutet für die Betroffenen oft Behinderung mit schweren Folgen“, sagt das Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke.

Abbau von Bürokratie

Inabhängig von den Beratungen bei EUTB (www.eutb-hochtaunus.de) hat sie für an einer neurologischen Erkrankung Leidende eine Yoga-Facebookgruppe aufgebaut. Sie lobt den kompetenten Einsatz vieler junger Ärzte im Hochtaunus- und Wetteraukreis wie im Kreis-krankenhaus in Friedberg. „Diese jungen Ärzte leisten detektivische Arbeit, blicken über den Tellerrand hinaus, überweisen ihre Patienten an Fachärzte.“ Oft würden Frauen in der Medizin benachteiligt. „Wir haben eine Gendermedizin.“ Viele Patienten und Behinderte hätten mit bürokratischen Hürden zu kämpfen etwa bei der Beantragung eines Parkausweises oder von Hilfsmitteln wie einem Rollstuhl. „Ich wünsche mir weniger Kämpfe mit der Bürokratie, eine bessere Ausbildung von Ärzten in Seltenen Erkrankungen, weniger Diskriminierung von übergewichtigen und kranken Frauen in der Öffentlichkeit. Statt Hilfe angeboten zu bekommen, reagieren viele Bürger bösartig und gemein.“



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