Hochtaunus (HB). Eine derart miese Saison hat sie noch nicht erlebt. Dabei ist Hilde Ries seit 50 Jahren auf Volksfesten und Juxplätzen unterwegs. Doch in diesem Jahr wurden bis heute keine Mandeln gebrannt und kein Popcorn prduziert. Corona verordnte den Schaustellern eine Zwangspause, die mittlerweile an die Substanz geht. Die Branche braucht die Weihnachtsmärkte, sonst gehen die Betriebe reihenweise insolvent.
Am vergangenen Wochenende wollte die Firma Ries eigentlich am Frankfurter Mainfest präsent sein. Doch der traditionelle Rummel wurde längst abgesagt. Davor musste die Stadt die Frühjahrs-Dippemess und den Wäldchestag auf dem Veranstaltungskalender streichen. Deshalb ist die Halle auf dem Betriebsgelände im Kronberger Gewerbegebiet in diesen Tagen mit neun Verkaufswagen pickepackevoll. 2020 ist die Ries-Flotte noch kein einziges Mal ausgelaufen. Ein wirtschaftliches Desaster. Der 74 Jahre alten Patronin fehlt das Fluidum, die vertrauten Schaustellerkollegen, die wohltuende Begrüßung: „Schön, dass du wieder da bist.“ Im September wollte Hilde Ries ihren Wohnwagen auf dem Canstatter Wasen in Stuttgart parken. Nächstes Jahr wird das wieder klappen, hofft sie.
Während die Steinbacher Schausteller-Dynastie Ries so schnell nicht untergeht, macht sich der Oberurseler Sascha Schickler große Sorgen um die Zukunft. Der 38-Jährige setzt eine Familientradition fort, die seit 1880 gepflegt wird. Das Oberurseler Brunnen- und das Bad Homburger Laternenfest sind als Umsatzgaranten schon weggebrochen. Immerhin dreht sich sein nostalgisches Karussell im Biergarten am Urselbach. Es steht neben dem Getränkestand. An der Drei-Minuten-Fahrt etwa im rosa Elefanten, dürfen statt 20 nur zehn Kinder teilnehmen. Mit dem Fahrgeschäft macht er gerade mal fünf Prozent seines normalen Umsatzes. .
Schickler sagt, er sei der einzige Schausteller aus Oberursel und könne deshalb Entgegenkommen erwarten. Doch sein Antrag auf Genehmigung seines Crêpe-Stands am Avertinplatz in Steinbach wurde abgelehnet. Aus dem Rathaus verlautete, dafür seien „,stadtgestalterische Aspekte, Hygiene, aber auch die Konkurrenz zur ansässigen Gastronomie“ entscheidend. Schickler findet das zynisch.
Die Stadt Gießen zeigt, dass es auch anders geht. Sie hat am Rande der Fußgängerzone Seltersweg mehrere Standgenehmigungen erteilt, damit Umsatzchancen für Kleinstunternehmer geschaffen, die sich nach Darstellung von Holger Wambold seit Jahresbeginn in einer „sehr angespannten Lage“ befinden und Spezialhilfe in Anspruch nehmen müssen. Der Vorsitzende des mittelhessischen Schaustellerverbands sieht bei den 50 Mitgliedern 70 Arbeitsplätze in Gefahr.
Nur wenige können ihre Belegschaft während der Durststrecke weiterbeschäftigen und mit Instandsetzungsarbeiten beschäftigen. Dazu zählt die Ries GmbH, die sieben Kroaten als Aufbaukommando beschäftigt „Wir haben Leute, die sind schon 16 Jahre bei uns. Die wollen wir halten,“ sagt Hilde Ries. Sie ist auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt eine feste Größe und hat sich mit Verkaufsaktionen für die Altenhilfe der Frankfurter Rundschau Reputation erworben. Zuletzt habe man dem Sozialwerk 5000 Euro überwiesen. Ries will demnächst im Römer ausloten, wo sie ihre spanischen Mandeln außer der Reihe verkaufen darf.
Positive Signale für die Ausrichtung von Weihnachtsmärkten kommen derzeit auch aus dem Vordertaunus. Bad Homburg hat für die Adventswochenenden 60 Stände vergeben. In Oberursel werden mehrere Szenarien vorbereitet, die sich an den von der Landesregierung verfügten Corona-Regeln orientieren müssen. Bislang gilt, dass Veranstaltungen mit mehr als 250 Besuchern einer Ausnahmegenehmigung bedürfen. Im Oberurseler Rathaus wird nicht ausgeschlossen, dass Schausteller bereits im Herbst zum Zuge kommen werden.
Beim derzeit laufenden „Sommer auf dem Rathausplatz“ haben sie allerdings nichts zu melden. Thomas Fiehler, einer der Mitveranstalter, argumentiert, es sei einfach kein Platz für die Branche. Die 180 Sitzplätze brauche man für einen rentablen Gastronomiebetrieb. Jetzt hoffen die Schausteller, dass nach dem Ende des „Sommers“ am 5. September eine vergleichbareVeranstaltung mit ihrer Beteiligung organisiert werde.