Oberursel (sem). „Hinter eines Baumes Rinde wohnt die Made mit dem Kinde. Sie ist Witwe, denn der Gatte, den sie hatte, fiel vom Blatte. Diente so auf diese Weise einer Ameise als Speise.“ Die erste Strophe des Gedichts „Die Made“ ist vielen Menschen − vor allem eingefleischten Heinz-Erhardt-Fans − bekannt. Und so spricht der Großteil des Publikums im Hof der Straßwirtschaft Alt Orschel die Zeilen auch mit, als Hans-Joachim „Hajo“ Heist den Text zum Besten gibt. In „Noch’n Gedicht − Der große Heinz-Erhardt-Abend“ rezitiert und imitiert Heist den unvergesslichen Humoristen.
Wie bei jeder Veranstaltung dieser Saison, sind die Tische im Alt Orschel voll besetzt. Unter den Zuschauern ist Maren mit ihrer Familie, die erklärt: „Mein Bruder Roman ist Heinz-Erhardt-Fan, und wir haben ihm die Karte zum Geburtstag geschenkt. Wir sind extra aus Höchst gekommen.“ Roman erwartet sich von dem Abend „viel Spaß. Ich habe ihn schon einmal gesehen. Man meint, Heinz Erhardt würde wirklich auf der Bühne stehen.“
Als Heist die Bühne betritt, ist von Heinz Erhardt noch nichts zu erkennen, abgesehen von der Frisur, doch dies ist kein großer Unterschied zu sonst. Heist begrüßt die Zuschauer und erklärt: „Ich bin zum ersten Mal in Oberursel. Und auch zum ersten Mal im Alt Orschel. Ich muss sagen, es ist schön hier. Als echter Hesse bin ich gern dort, wo es Ebbelwoi gibt.“ „Warum warst du dann noch nicht hier?“, tönt eine Stimme aus dem Publikum. Es folgt ein heiterer Schlagabtausch.
Heist beherrscht und beherzigt, was auf seiner Internetseite hinsichtlich der Kunst des Schauspiels zu lesen ist: „Durch den unmittelbaren Kontakt zu Schauspielern und zum Bühnengeschehen schafft es für den Zuschauer eine greifbare Wirklichkeit und eröffnet andere lebendige Welten...“ Lebendig wird in diesem Falle Heinz Erhardt. Dafür bedarf es lediglich einer Drehung von Heist – und schon steht er mit Hornbrille und typischen Erhardt-Lachen auf der Bühne. „Ich heiße nicht nur Heinz Erhardt, sondern Sie auch herzlich willkommen! Lassen Sie uns den Abend genießen, Genossen…“ Kurze Pause. „…Komma, genossen wir doch selten einen so schönen“. Und einen solch amüsanten dazu.
Die thematischen Übergänge fließen wie hier und da die Lachtränen. Er komme aus dem Urlaub, erzählt Heist − nein Erhardt. Bei seinem Aufenthalt in Cannes sowie Nizza, „kann auch Pizza gewesen sein“, hätten dicke Rohre bis ins Meer geragt. „Wenn du dort schwimmst, triffst du alte Bekannte… nein, nein, pfui.“ Die Region heiße daher wohl „Côte d’Azur“. Zwischen seinen Ausführungen blickt er einen Zuschauer an: „Wenn du deine Hände suchst, die hast du unter den Achseln.“ Nachdem das Gelächter des Publikums abebbt, meint Heist nonchalant: „Ich bitte Sie, ich helfe doch gern.“
Hilfreich ist Heist auch, als er bemerkt, dass eine Dame scheinbar Kreislaufprobleme hat. Von der Bühne aus winkt er Unterstützung herbei. Teammitglieder vom Alt Orschel sowie Angehörige bringen die Frau rasch in ein Separee. „Machen Sie sich keine Sorgen“, wendet sich Heist an die Zuschauer. „Eine Ärztin ist bei ihr.“ Souverän setzt Heist sein Programm fort.
Verblüffend ist die Aktualität, die Erhardts Texte bisweilen aufweisen. „Da wurde es selbst Zeus ganz klar, wie uneinig Europa war! Und es ist gar nicht übertrieben, zu sagen, es sei so geblieben!“ Auf diese Zeilen folgen Raunen, ungläubiges Gelächter sowie Kopfschütteln. Zeitlos sind auch die Wortspiele, voller Geist und Witz, die weiterhin das Publikum erfreuen, obgleich man einiges schon mehrfach gehört hat. Wie Heist schon zur Begrüßung sagte: „Heinz Erhardt ist Kult.“
„Ich bin wieder ein Schelm heute.“
Doch nicht nur dem Meister saß der Schelm im Nacken. Als Heist mit einem Gast anstößt und dieser verdutzt ins geleerte Glas blickt, lacht Heist auf: „Ha, ich hab‘ dich dran gekriegt. Da war Wasser drin. So reich ist der Veranstalter nicht, dass ich eine ganze Flasche Korn hingestellt bekomme.“ Die Buh-Rufe weichen lautstarker Begeisterung, als eine strahlende Tini Steden mit einer Flasche Traubenbrand in Richtung Bühne läuft. „Toll, jetzt habt Ihr meinen nächsten Gag kaputt gemacht“, empört sich Heist in Richtung Theke. Doch ganz der Profi gelingt es ihm, den Bogen zu schlagen und die Nummer fortzusetzen. Ganz im Sinne des Programmtitels folgt „Noch’n Gedicht“ und „Noch’n Gedicht“ und − siehe da! − „Noch’n Gedicht“. Bis in die Nacht hätte das Publikum sicherlich den Gedichten und Liedern lauschen können. Kein Wunder, dass Heist/Erhardt nicht ohne Zugabe von der Bühne gelassen wird. So heißt es irgendwann „Noch’n Abschied“.