Schönberg (kb) – Unter dem Titel „Angst durch Terror von rechts in Hessen?“ hatte die SPD Kronberg am 8. November zu einer Veranstaltung mit Vortrag und Diskussion in die evangelische Markus-Gemeinde Schönberg eingeladen, wo Politikwissenschaftler über rechte Gewalt in Hessen informierten.In ihrer Studie „Rechter Terror in Hessen“ (erschienen 2023) stellen Yvonne Weyrauch und Sascha Schmidt drei Wellen rechter Gewalt in Hessen fest: Von der Nachkriegszeit bis 1970 war eine eher ruhige Phase, in der Gewalt sich hauptsächlich gegen Sachen richtete. Rechtsextremisten waren organisiert, etwa im „Technischen Dienst“, der sich Anfang der 1950er Jahre gegründet hatte, und in rechtsextremen Parteien. Es gab allerdings schon antisemitische Friedhofsschändungen und die Morddrohungen gegen den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer.
Die erste Hochphase rechten Terrors war Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre. Hauptmotive waren Antikommunismus, Antiamerikanismus und die Verhinderung der Aufarbeitung der NSDAP-Verbrechen in den NS-Prozessen.
Zunehmend kamen auch rassistische Motive hinzu, in deren Folge statt einer Solidarisierung mit den Gewaltopfern eine „Anti-Ausländer“-Stimmung wuchs.
Die zweite Hochphase verortet die Studie in der ersten Hälfte der 90er Jahre, den sog. „Baseballschlägerjahren“. 115 Brandanschläge in drei Jahren, Straßengewalt, erste Todesopfer. Die Täter waren eher nicht mehr organisiert. Im Vordergrund standen spontane Gewalttaten durch Einzeltäter. Rechts und gewalttätig zu sein war Lifestyle, mit Nazi-Skinheads und Rechtsrock.
Die aktuelle dritte Hochphase begann 2014/15. Der rechte Terror hat sich diversifiziert: Die Motive sind vielseitig, z.B. rassistisch, LGBTIQ-feindlich, politisch und liegen in Verschwörungsmythen. Auch die Tätergruppen haben sich diversifiziert: Von sehr jungen Menschen bis zu Älteren wie der Gruppe um den Frankfurter „Prinz Reuß“, die einen Umsturz konkret und bewaffnet geplant hatte. Terror hat immer die Botschaft: „Als nächstes könntest du dran sein.“ Die Diversifizierung rechten Terrors bedeutet so auch, dass diese Botschaft sich gegen immer mehr Gruppen richtet. Terroristinnen und Terroristen sind Sympathisanten der Pegida-Bewegung, der Identitären, der AfD. Sie radikalisieren und vernetzen sich online in Chatgruppen und über Social Media. Die neuen Tätertypen bergen neues Gefahrenpotenzial. Die rechte Gewalt ist allgemein extrem stark angestiegen: Registriert sind 1.140 Gewalttaten wischen 1991 und 2023 exklusive des vermutlich sehr viel größeren Dunkelfelds.
Aufklärungsrate gestiegen
In den vergangenen Jahrzehnten waren die Aufklärungsbemühungen schwach, die politische Motivation von Terror wurde nicht gesehen oder nicht anerkannt, das gesellschaftliche und politische Bewusstsein gegenüber rechtem Terror war gering. Das hat sich geändert. Ausschlaggebend waren der Mord an Landrat Walther Lübcke, die NSU-Mordserie und der Massenmord in Hanau. Gerade in Hessen ist die Aufklärung rechten Terrors gestiegen. Mit Nancy Faeser hat das Bundesinnenministerium erstmals in seiner Geschichte die Gefahr von Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus anerkannt, die Behörden haben bereits mehrere geplante Attentate im Vorfeld aufgeklärt und Razzien durchgeführt. Anschlags- und Umsturzpläne durch Akteure aus Offenbach, Wiesbaden, Glashütten, Spangenberg, Frankfurt und aus dem Limburg-Weilburg-Kreis wurden verhindert. Der Prozess gegen die Reichsbürger-Gruppe um „Prinz Reuß“ ist der größte Terror-Prozess in der Geschichte der Bundesrepublik.
Die Gefahr wächst
Durch den neuen Tätertypus ‚Einzeltäter mit Radikalisierung und Vernetzung im Internet‘ kann rechter Terror jederzeit und überall auftreten. Einzeltäter sind schwerer zu identifizieren und zu überwachen als Gruppen. Eine stärkere und allgemeine Überwachung von Bürgern durch den Staat ist in Deutschland gesellschaftlich und politisch nicht gewollt.
Die Normalisierung rechter und rechtsextremer Aussagen ist heute ein großes Problem. Traffic-getriebene Algorithmen in Social Media fördern extreme Inhalte. Politiker der AfD äußern sich rechtsextrem in Gemeinderäten, Landtagen und im Bundestag. Potenzielle Täter können sich als „Verstrecker des Volkswillens“ ermutigt sehen, Terror anzuwenden.
Rechten Aussagen widersprechen
„Was können wir tun?“ Diese Frage an die Politikwissenschaftler bestimmte die Diskussion. Die Antwort lautet: antizipieren, widersprechen, Haltung zeigen. Yvonne Weyrauch und Sascha Schmidt nannten ein Beispiel aus Frankfurt: Hunderte Bürgerinnen und Bürger hatten sich vor einer Bürgerversammlung, bei der es um ein neues Geflüchtetenwohnheim ging, verabredet und sich in der Versammlung gegen flüchtlingsfeindliche Äußerungen gestellt. Der “L’amour toujours“-Fall bei einem Zeltfest in Burgholzhausen ist ein Beispiel für mangelnde Antizipation. Ein DJ sollte vorher wissen, dass sie/er ein Lied, zu dem bereits häufig menschenfeindliche Zeilen gesungen wurden, gar nicht erst anspielen darf. Wenn Teilnehmer einer Veranstaltung rechten Aussagen laut widersprechen, ist das eine starke Botschaft an das Umfeld. Wenn Bürger, anstatt zu widersprechen, sich aus Situationen mit rechtem Hass zurückziehen, hat der Hass freien Lauf und normalisiert sich weiter. Entscheidend ist aber immer die konkrete Situation. In Gefahr sollte man sich nicht bringen.
Rechte Einstellungen und Gewalt
„Kommt man über das Rechte zur Gewalt oder von der Gewalt zum Rechten?“ war auch eine spannende Frage in der Diskussion. Yvonne Weyrauch und Sascha Schmidt antworteten: ersteres. Denn das rechte Weltbild ist von Gewalt geprägt. Mit der Ideologie eines „Volkskörpers“, des Rechts des Stärkeren und der Einteilung von Menschen in wertig und unwertig. Die SPD Kronberg dankt allen Gästen der Veranstaltung, der Evangelischen Markus-Gemeinde für die freundliche Bereitstellung ihres Kirchraums, Yvonne Weyrauch und Sascha Schmidt für ihren Vortrag sowie Dietmar Mohr vom DGB Main-Taunus-Kreis für seine Einführung ins Thema und die Moderation.