Werthers Leiden und Oberhöchstadt

Kronberg (war) – Zur Leipziger Herbstmesse im September 1774 machte ein Buch Furore: „Die Leiden des jungen Werthers“. Autor war der damals erst 25 Jahre alte Goethe, der damit auf einen Schlag in ganz Europa berühmt wurde. Sein Weg zum Dichterfürsten war damit geebnet. Bereits ein Jahr zuvor hatte er schon mit seinem Historienschauspiel „Götz von Berlichingen“ einen Bestseller verfasst. „Werther“ handelt von einem Juristen, der sich in eine Frau verliebt hat, die bereits mit einem anderen Mann verlobt und damit diesem versprochen ist. Da die Dame seines Herzens seine Liebe nicht erwidert, sieht er keinen anderen Ausweg, als sich zu suizidieren. In seinem Briefroman verarbeitete Goethe ähnliche Erfahrungen, die er als juristischer Praktikant am Reichskammergericht in Wetzlar im Jahr 1722 gemacht hatte. Er hatte dort eine große Zuneigung zu Charlotte Buff, kurz Lotte genannt, entwickelt. Diese war die Tochter des Rentmeisters und Amtmanns am dortigen Deutschordenshofs. Charlotte war aber bereits Braut von Johann Christian Kestner und bot ihrem Verehrer aus Frankfurt daher „lediglich“ ihre Freundschaft an, Doch Goethe wählte damals nicht den Freitod, sondern verließ aus unerfüllter Liebe in melancholischer Stimmung nach gerade einmal vier Monaten schon wieder Wetzlar, um in seine Heimatstadt Frankfurt zurückzukehren. Immerhin wurde er später Taufpate von Lottes ältestem Sohn. Durch Goethes „Werther“, der zu den Schlüsselwerken der so genannten Sturm- und Drangzeit zählt, ist Lotte bis heute weltberühmt. Die Handlung des Buchs löste zu seiner Zeit einen Skandal aus, da diese den damaligen Moralvorstellungen in keiner Weise entsprach. Insbesondere die katholische Kirche, im 18. Jahrhundert noch eine bedeutende Sittenwächterin, konnte den Selbstmord des Hauptprotagonisten nicht gutheißen. So stieg die Freitodrate unter jüngeren Menschen direkt nach Erscheinen des Buchs in die Höhe. Die so genannte Werther-Tracht – gelbe Weste und blauer Frack aus blauem Tuch – war jetzt en vogue.

Oberhöchstadt

Doch kommen wir nun nach Kronberg oder genauer gesagt in dessen Ortsteil Oberhöchstadt. Dem Buch „Oberhöchstadt in zwölf Jahrhunderten“, das zu diesem bedeutenden Gründungsjubiläum von dem Heimatforscher Helmut Bode im Jahr 1982 herausgegeben wurde, lässt sich entnehmen, dass der „rödelheimsche Rentkammerrath“ Johann Buff einst einigen Ärger in Oberhöchstadt auszuhalten hatte. Dieser geboren 1757, war niemand anderes als Charlottes ältester Bruder. Laut Bode war Johann Buff „der besondere Liebling des jungen Frankfurters Johann Wolfgang Goethe, als dieser Ende Mai 1772 nach Wetzlar kam, um den Reichsprozess am Kammergericht zu studieren“. Buff hatte ebenfalls Jura studiert und danach wie der junge Goethe im Reichskammergericht sein Praktikum absolviert. Danach war er in die Dienste des Grafen von Solms-Rödelheim getreten. Das Solmser Adelsgeschlecht war nach dem Tod von Frank XII. von Kronberg – aufgrund seines großen Vermögens „Frank der Reiche“ genannt – im Jahr 1461 per Erbe an Rödelheim samt der dort befindlichen Burg gelangt. Ein Jahr später belehnte Kaiser Friedrich III. Kuno von Solms-Lich bereits laut einer im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden verwahrten Urkunde mit dem „Kirchenschatz, Pastorat und Dinghof zu Oberhöchstadt.“ Ein Dinghof war ein herrschaftlicher Gutsbetrieb, dem die hörigen Bauern Abgaben zu leisten hatten. Die Verwaltung dieses Dinghofs lag in den Händen von Hans Buff. Dabei machte ihm der Schultheiß namens Kopp, der den Dinghof vor Ort betreute, erhebliche Probleme. Laut Bode beklagte sich Buff in einem Bericht im Dezember 1796 bitterlich über diesen: „Der höfische Schultheiß Kopp ist ein stolzer, maliziöser Mann, der sich gern in alle Handel mischt, seine Verdienste beständig anrühmt, aber gar nichts that, die herrschaftl. Gefaellen in Verfall kommen laeßt, und doch seinen Sack nicht vergißt.“ Soll heißen, Kopp wirtschaftete in die eigene Tasche. Folgende Missstände listet Buff auf: Er behält „von den Hübnern abgeliefertes Korn und Hafer über mehrere Jahre für sich“ und bei den Abrechnungen „macht er immer Abzüge, daß Posten schon bezahlt aber auszuthun vergessen worden seien.“ Außerdem wirft Buff noch eine Reihe weiterer Unterschlagungen vor. „Alls ihm 1790 diese Sachen beim Gericht vorhielt, so wurde er noch so grob gegen mich, daß ich weggehen wollte.“

Dazu passt, dass es in diesen Jahren wohl generell „drunter und drüber“ ging in Oberhöchstadt. Damals waren die Franzosen im Rahmen der französischen Revolution auch in den Vordertaunus einmarschiert. So zitiert Bode den damaligen Ortspfarrer Melchior, dem die „die von Frankreich eindringenden revolutionären Ideen „zu schaffen machten“. In einem Sitzungsprotokoll des Kirchenvorstands vom 22. Dezember 1795 wird dazu passend die Verwilderung der Jugend samt unregelmäßigem Schulbesuch neben Gottlosigkeit der Eltern, damit einhergehend nachlassender Kirchenbesuch, sowie häufige Widersetzlichkeit der Erwachsenen beklagt. Statt sonntags in die Kirche zu gehen, zögen es die jungen Burschen jetzt vor, in Wirts- und Privathäusern Karten zu spielen. Bei Prozessionen würden außerdem die „größten Ungezogenheiten“ verübt und beim Kirchgang kämen sogar Prügeleien vor. Die Eltern sollen daher ermahnt werden, darüber zu wachen, dass „die Unsittlichkeit der Jugend nicht von Tag zu Tag anwachse.“ An einem Adventssonntag wurde Melchior laut Pfarrchronik sogar „ein mit Menschenkot gefüllter Topf durch ein Fenster ins Zimmer geschleudert, sodass der ganze Raum besudelt wurde.“