„Meer wissen“ und in Oberhöchstadt abtauchen – Schutz der Ozeane beginnt vor und hinter der eigenen Haustür

v.r.n.l. River Exner vom „Juze“ Oberhöchstadt, Meeresbiologin und Ozeanschützerin Jeannine Fischer und die Schülerin Nika Ristic, die an der Informationsveranstaltung zum Schutz der Meere teilnahm, alle drei ausgestattet mit VR-Brillen Foto: Göllner

Oberhöchstadt (mg) – Die Sommerferien stehen vor der Tür; die eine oder der andere wird ans Meer fahren, an die See. Womöglich auch zum ersten Mal. Es ist für die meisten Menschen jeden Alters ein Sehnsuchtsort, auch verbunden mit geheimnisvollem Unerforschtem. Die Weite, die unendlich erscheinende Wasseroberfläche, der mal sanfte, mal raue Wind, die vermutete Freiheit hinter all dem – alles Gedankenspiele, die man womöglich betreibt, wenn man auf die hohe See hinausschaut und das Salz der Erde riecht und schmeckt – „Seele baumeln lassen“ und „herunter kommen“. Dass man auch in Kronberg, genauer im Jugendzentrum Oberhöchstadt – in der Bevölkerung kurz „Juze“ genannt – an einem durchschnittlichen Nachmittag ans und ins Meer gelangen und dieses sogar bis auf 18 Meter Tiefe erforschen konnte, lag an zwei Faktoren. Zum einen an dem attraktiven Angebot, das der zuständige Fachbereich Soziales, Kultur und Bildung der Stadt Kronberg den Kindern und Jugendlichen vor Ort grundsätzlich ermöglicht und zum anderen an der Meeresbiologin Jeannine Fischer, die im Rahmen ihrer Arbeit für die gemeinnützige Organisation „The Blue Mind“ pädagogisch und anschaulich die Geheimnisse der Meere und deren Bewohner vermittelt. Zur selben Zeit bleibt der Kronbergerin, die im benachbarten Steinbach aufwuchs und an der Altkönigschule ihr Abitur ablegte, aus persönlicher Affinität zu diesem Teil der Natur des Planeten Erde nichts anderes übrig, als auch die bedrohlichen Situationen und Umstände zu schildern, die der mittlerweile stark gefährdete Lebens- und Naturraum Meer aushalten und ertragen muss. Ursache hierfür ist einmal mehr der Primat Mensch, sein Konsum und sein Verhalten.

Einheimische Kosmopolitin

Fischer reiste nach der Schule zunächst für ein Jahr nach und durch Australien. Dort machte sie ihren Tauchschein und entdeckte persönlich das „Great Barrier Reef“. Das Riff liegt vor der Küste Queenslands im Nordosten Australiens und ist die größte von Lebewesen geschaffene Struktur der Erde, die man sogar vom Weltraum aus betrachten kann. Das Ökosystem umfasst auf einer Fläche von 348.700 Quadratkilometern Tausende Riffe und Hunderte Inseln, die aus über 600 verschiedenen Stein- und Weichkorallenarten bestehen. Korallen sind kleine Meerestiere, die sich nicht fortbewegen können und ihr Leben lang an einer Stelle haften bleiben. Sie leben gemeinsam in Kolonien und filtern Nährstoffe aus dem Meerwasser. Neben zahlreichen Arten von Fischen, Weichtieren und Seesternen sind auch Schildkröten, Delfine und Haie am Great Barrier Reef zu Hause. Im Anschluss an ihr Projekt „Work and Travel“, fast am anderen Ende der Welt, entschied sie sich, noch ein Stück weiter zu reisen und wirklich am mehr oder weniger entferntesten Ort, vom Taunus aus betrachtet, Meeresbiologie zu studieren – in Neuseeland. Nach Abschluss ihres Studiums arbeitete sie sieben Jahre lang für die neuseeländische Regierung, vielmehr für das zuständige Ministerium vor Ort, das sich auch um das Thema Biosicherheit kümmert. Konkret beschäftigte sich Jeannine Fischer mit aquatischen Krankheiten bei Lebewesen der Ozeane, registrierte invasive (nicht einheimische) Tiere und Pflanzen im Lebensraum Meer und erstellte in diesem Kontext Notfallpläne. Nebenbei engagierte sich die passionierte Meeresforscherin ehrenamtlich in Meeresschutzprojekten und betrieb in diesem Zusammenhang Aufklärungsarbeit. Aus privaten Gründen zog es Fischer, die mittlerweile auch die neuseeländische Staatsbürgerschaft besitzt und ihre Vorträge bei Wunsch alternativ auch in englischer Sprache hält, dann im Jahr 2019 zurück nach Europa. Sie arbeitete ein Jahr bei der Weltorganisation für Tiergesundheit (World Organisation for Animal Health) in Paris, um dann Kronberger Bürgerin zu werden. Zwischenzeitlich brachte Fischer zwei Kinder zur Welt, gewiss eine weitere Motivation, sich für den Erhalt der Ozeane einzusetzen. Der gemeinnützige Verein „The Blue Mind“ ist nun ihre berufliche Heimat als selbstständige Meeresbiologin, vielmehr die „Zweigstelle Hessen“. Diesen vertritt sie im gesamten Bundesland, klärt leidenschaftlich auf, leistet Bildungsarbeit für Jung und Alt, informiert in verschiedenen Vortragsarten und bemüht sich um Spenden, mit denen sich die Organisation zum Schutz der Meere finanziert.

Außerschulische Bildungsangebote

Im Jugendzentrum Oberhöchstadt waren rund 30 Kinder und Jugendliche zusammengekommen, im Alter zwischen 10 und 16 Jahren, um dem Vortrag der Meeresbiologin Fischer zu folgen, auch anhand einer digitalen Präsentation. Die Mitarbeitenden des „Juze“, River Exner und Alexander Brandt, kümmerten sich vor und während der Präsentation rund um das Thema Meer, Meeresbewohner und Plastikmüll flankierend in gewohnt zugewandter und pädagogischer Manier um die junge Besucherschaft. Das war auch wichtig, denn auf die jungen Menschen warteten nicht nur 360 Grad-Filme, die via „Virtual-Reality-Brillen“ (kurz VR-Brillen) eindrucksvoll angeschaut werden konnten, sondern auch allerhand Informationen, an der einen oder anderen Stelle vermutlich auch länger „zu verdauende“. Exner warf während des Vortrags von Fischer niederschwellig auch immer einmal wieder Fragen in die Runde, die das Umweltbewusstsein jenseits des Meeresthemas schulten.

VR-Brillen

Eine „Virtual-Reality-Brille“ ist eine technologische Konstruktion, die der Nutzer auf dem Kopf wie eine Art Helm und vor den Augen trägt, um damit Einblick in die digital kreierte virtuelle Realität zu bekommen. Genutzt werden kann das Instrument für Computerspiele, gleichzeitig auch wie im Fall des Vereins „The Blue Mind“ für eindrucksvolle Unterwasseraufnahmen, die dem Betrachtenden die Illusion verschaffen, sich direkt in der Unterwasserwelt zu befinden und dort alles beobachten zu können, was geschieht und vor sich geht. Es wird eine realitätsnahe Simulation der Umwelt geschaffen. Eindrücke können nicht nur kognitiv, sondern auch emotional ähnlich dem tatsächlich Erlebten gesammelt werden. „Mittendrin statt nur dabei.“

Bewegt man den eigenen Kopf innerhalb der Simulation, können vollständige 360 Grad Wahrnehmungen erlebt werden. So macht man die Erfahrung, dass über dem eigenen Kopf ein Mantarochen vorbeischwimmt oder man auf einen Schwarm in verschiedenen Farben schillernder Fische nebst Taucher trifft, wenn man „nach links schaut“ – und das alles im Kronberger Stadtteil Oberhöchstadt. Alles ist in Bewegung und man macht einen Ausflug der ganz besonderen Art, während man auf seinem Stuhl bequem sitzen bleiben kann. Seegraswiesen, Korallenriffe, Meeresschildkröten und Haie werden während des Tauchgangs entdeckt. Außer bei Computerspielen werden Virtual-Reality-Headsets, wie angedeutet, auch als Simulationen und digitale Werkzeuge in der Industrie, Wissenschaft und Kunst verwendet.

„Meer wissen“ über Plastik

Rund eineinhalb Stunden hörten und lasen und schauten die Heranwachsenden, die alle schon einmal das Meer hautnah erlebt hatten, Informationen, wie es um die Ozeane auf der Erde bestellt ist, die schließlich 70 Prozent der Fläche des Planeten bedecken. Die dazu gehörende Tiefsee ist der nach wie vor vom Menschen mit Abstand am wenigsten erforschte Naturraum des Planeten. Jeannine Fischer begann mit der Frage: „Warum ist das Meer überhaupt wichtig für die Menschheit?“ Mit den Antworten auf diese Frage drang man zeitgleich auch in Themen wie Klima und Klimaschutz ein. Phytoplankton – marine Mikroalgen – produziert bis zu 80 Prozent des weltweiten Sauerstoffs.

Man muss nicht wie Fischer Meeresbiologie studiert haben, um rasch nachvollziehen zu können, wie essenziell wichtig die Meere beim individuellen Atmen der über acht Milliarden Menschen an jedem geographischen Punkt der Erde sind, folglich auch in Kronberg im Taunus. Wo sich der Mensch auch aufhält – an der Nordsee, in Hessen oder in der ägyptischen Sandwüste des Sinais – er atmet Meeresluft. Den Kindern und Jugendlichen im Jugendzentrum war ziemlich schnell klar, dass es somit auch um die Gesundheit der Menschen geht, wenn man das Thema Ozeane gedanklich durchleuchtet. Die Meere sind von zahlreichen Faktoren bedroht, an diesem Tag widmete sich die Bildungsarbeit von Jeannine Fischer dem Thema und gleichzeitigem Problem Plastik.

Nahrung und Gesundheit

„Im Durchschnitt isst der Mensch wissenschaftlichen Studien zufolge über die Nahrungsaufnahme circa fünf Gramm Plastik jede Woche, das entspricht in etwa dem Material einer Kreditkarte“, formulierte es Jeannine Fischer eindrucksvoll und berief sich auf Studien der Universität Wien. Dass sich das nicht nur nicht nach nahrhaftem Genuss anhört ist das eine, die gesundheitlichen Probleme und Folgen für den Menschen und damit auch die Kinder in Kronberg sind das andere. Winzige Plastikteilchen gelangen in den Magen-Darm Trakt eines Menschen, beispielsweise durch das Absondern kleinster Partikel in Getränken in Plastikflaschen. Nur eines von vielen Beispielen bei der Aufnahme von Nahrung mit angereichertem Plastik. In der Runde mit den 30 Kindern und Jugendlichen wurde im nächsten Moment anschaulich darüber diskutiert, dass in der alltäglichen Kleidung ebenfalls meistens sehr viel Plastik enthalten ist, was wiederum einigen Besuchern des Jugendzentrums bereits bekannt war. Autoreifenabrieb, der in der Luft angereichert wird, Kosmetika, die über die Haut das darin enthaltene Plastik in den Menschen einschleusen und vieles mehr beschäftigten die jungen Gemüter im weiteren Verlauf.

Als Jeannine Fischer dann erklärte, dass die serbische Hauptstadt Belgrad in Europa mit ungefähr 1,3 Millionen Einwohnern keinerlei Klärsystem besäße und große Teile der Fäkalien der Bevölkerung direkt in den Fluss Donau eingeleitet würden, staunten die Kinder und Jugendlichen ein weiteres Mal. Die Donau ist mit 2.850 Kilometern Länge der zweitlängste Fluss in Europa und mündet schlussendlich ins Schwarze Meer. So gelangt der „ganze Dreck“ in die Ozeane. Es sind folglich nicht nur Kreuzfahrtschiffe respektive der anfallende Abfall der Passagiere, illegale Müllentsorger oder andere „Faktoren“ auf den Meeren, die für die starke Verschmutzung der Ozeane durch Müll verantwortlich sind, sondern auch der Umgang auf dem Festland weltweit mit dem in der Produktion sehr günstigen Produkt Plastik.

Ein weiteres Mal ging ein Raunen durch das „Juze“, als Fischer erklärte, dass Plastiktüten der Leibspeise der Meeresschildkröten – Quallen – für die Tiere zum Verwechseln ähnlich sehen, wenn sie an der Wasseroberfläche treiben. Frisst ein solches Meeresreptil eine der nicht mehr zählbaren im Meer entsorgten Plastiktüten, wird diese nicht verdaut und führt früher oder später zum Tod des Tieres. Der jährliche rein häusliche Abfall alleine in der Bundesrepublik Deutschland wäre auf der Fläche eines Fußballfeldes gestapelt 6.000 Meter hoch und damit der höchste Berg Europas, erklärte die Meeresbiologin final noch einmal das private Müllaufkommen hierzulande.

Erwärmung der Meere

Jeannine Fischer sprach im Laufe der Präsentation und der Unterhaltung mit den Kindern und Jugendlichen auch das Thema Klimawandel an. Die Ozeane und deren Beschaffenheit samt natürlicher Kreisläufe regulieren unter anderem das Klima auf der Erde. Viele Meerespflanzen nehmen Kohlenstoffdioxid (CO2) auf, das die Menschheit seit der Industrialisierung durch Nutzung der fossilen Energien in großem Maße freisetzt.

Somit wirken die botanischen Meeresbewohner dem veränderten Treibhauseffekt entgegen, der für die Erderwärmung und somit auch die steigenden Temperaturen der Ozeane verantwortlich ist. Unter anderem sind

Starkregenereignisse und Überschwemmungen weltweit Folge dieses Prozesses. Der dadurch zustande gekommene Klimawandel und seine negativen Auswirkungen auf die Spezies Mensch wurde den jugendlichen Zuschauern an diesem Nachmittag in Oberhöchstadt noch einmal deutlicher.

In naher Vergangenheit wurde das Seegras wissenschaftlich medial zum Thema gemacht. Durch Abbau, Sammlung und Speicherung von Kohlenstoff trägt Seegras zur Bekämpfung des Klimawandels bei. Es ist dabei bemerkenswert effizient, da es Kohlenstoff 30 bis 50 Mal schneller im Boden speichert als die Wälder an Land, wie beispielsweise die subtropischen und tropischen Regenwälder Süd- und Mittelamerikas, Afrikas, Südostasiens und Ozeaniens. Die Seegraswiesen in der deutschen Ostsee haben zum Beispiel auf einer Fläche von 285 Quadratkilometern rund 8,14 Millionen Tonnen CO2-Emissionen gespeichert. Sie verhindern, dass dieses CO2 in Zukunft wieder in die Luft gelangt (Quelle: Helmholtz-Klima-Initiative).

Projekt und Finanzierung

„The Blue Mind“ ist eine Gruppe leidenschaftlicher und engagierter Meeresbiologinnen mit langjähriger und internationaler Berufserfahrung in Forschung, Bildungs-, Öffentlichkeits- und Regierungsarbeit. Meeresbiologische Themen, wie Klimawandel und Belastung der Ozeane durch Plastikmüll von Gewässern, werden in Klassenzimmern, Firmen, Vereinen, Gesellschaften oder Organisationen unter anderem im gesamten Bundesland Hessen angeboten. Die theoretischen und praktischen Lerneinheiten sind altersgerecht und an das jeweilige Wissensniveau der Teilnehmenden angepasst. Ziel ist es, zu einem nachhaltigen Handeln anzuregen und mit dem Schutz der Meere bereits zu Hause anzufangen. Mit dem Projekt „MeerWissen für Hessen“ möchte Jeannine Fischer mit ihren Kolleginnen Meeresschutz im Inland verankern und Menschen durch eigene persönliche Erfahrungen und hochwertige Bildung zum Schutz unserer Ozeane anregen. Durch die bildenden Informationen setzen sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit den zuvor genannten Themen auseinander, erarbeiten mit den Meeresforscherinnen praxisnahe, nachhaltige Lösungen für den Alltag und engagieren sich so aktiv beim Schutz der Ozeane. Die virtuellen Tauchgänge sind nicht nur eindrucksvoll, sondern auch inklusiv und bleiben somit auch sozial oder körperlich benachteiligten Menschen nachhaltig im Gedächtnis.

Mehr Informationen sind auf der Internetseite www.thebluemind.org zu entdecken. Der Verein betreibt auch ein Konto auf dem sozialen Netzwerk Instagram. Via E-Mail an hessen[at]thebluemind[dot]org kann man Jeannine Fischer direkt kontaktieren und erreichen. Spenden können gleichzeitig auch unmittelbar auf folgendes Konto überwiesen werden, um das Projekt zum Schutz der Ozeane zu unterstützen: GLS Gemeinschaftsbank eG, THE BLUE MIND e.V., IBAN: DE63 4306 0967 6054 8297 00, BIC: GENODEM1GLS, Verwendungszweck: Hessen.

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