Hartmut Hudezeck begeisterte mit Georg Kreisler-Liedern

Hartmut Hudezeck, genialer Kreisler-Interpret, kam nicht zum Tauben vergiften auf die Burg. Foto: Victor van der Saar

Kronberg (aks) – Wie man außer Tauben auch Frauen vergiftet und auf viele Arten um die Ecke bringen kann, davon sang Hartmut Hudezeck mit unbewegter Miene, ab und zu huschte dabei fast unbemerkt ein leichtes Schmunzeln über sein Gesicht. Der geniale Kreisler-Interpret aus München, ausgebildeter Dirigent und ausgezeichneter Liedpianist, der sich selbst am Klavier begleitet, präsentierte sich anlässlich der jüngsten Veranstaltung der Reihe „Texte und Töne zur Teezeit“ als hinreißender Kabarettist, der seinem Vorbild Georg Kreisler in nichts nachstand.

Nicht wenige Besucher fragten die Veranstalterinnen Brigitta Hermann und Dorothea Peukert nach CDs, weil ihnen der Vortrag im Wappensaal so gut gefiel – besser als das Original, wie einige behaupteten, die den echten Kreisler noch erlebt haben. Der „heitere Misanthrop“ hat 350 Lieder hinterlassen, vom kritischen Politgesang bis zur grantigen Satire, von „nicht arischen Arien“ hin zu saukomischen Blödelliedern. In Wien geboren, empfand er keine große Liebe für seine Mitbürger. In einem Lied heißt es „Wie schön wäre Wien ohne Wiener!“, das ließe sich übrigens auch auf andere Städte anwenden, ergänzte Hudezeck mit einem Anflug von Grinsen, etwa Linz: „Wie schön wäre Linz ohne Wiener!“. Weil sie Juden waren, flüchteten die Kreislers nach Hollywood, wo Georg Kreisler Opern korrepitierte. Als amerikanischer Soldat war er 1942 übrigens in Oberursel stationiert, wo er die Truppe mit Musik unterhielt. Nach dem Krieg kehrte er nach Wien zurück, wo er trotz seiner Hassliebe zu dieser Stadt, in der nichts mehr heil war, mit seinem schwarzen beißenden Humor und seinen apokalyptischen Liedern verstanden wurde und endlich Erfolge feierte. Der Walzertakt lädt zwar zum Schunkeln ein, doch ist sein Lied über Wien bitterböse: „Wie schön wäre mein Wien ohne Wiener, die Donau endlich so blau, endlich Ruh und die Geigen werden geschont ...“

Kreisler selbst sagte über sich: „Politisch einzuordnen dürfte ich schwer sein – Heimat habe ich keine“. Viel Chanson-, Lied- und Opernkultur strömen in seiner Musik zusammen, er schöpfte aus dem Vollen. Er kombinierte klassische Instrumentalstücke mit „einem unpassenden Text“, schon war es fertig, das „treffsichere Kabarettlied“. Hudezeck klimperte wie nebenbei und doch virtuos die kleine Nachtmusik von Mozart. Messer, mit denen man schlitzen und schnitzen kann, gehören ebenso zu seinem Repertoire wie Kreislers Protestlied gegen die Umweltverschmutzung in Gelsenkirchen im Nachkriegs-Deutschland, wo die Wäsche wegen des Kohlestaubs grau an der Leine flatterte. „Heute lachen auch die Gelsenkirchener“, gab Hudezeck zum Besten, aber damals lachten die Rundfunkanstalten nicht über Begriffe wie „Brennstoff-Demokratie“ und den „Strand von Anthrazit“. „Ich huste noch heute, weil ich ein Gelsenkirchener bin“. Hudezeck sprach nicht von Evergreens, die der große Kreisler hinterließ, sondern von „Everblacks“. Aber wieso Musik dazu? Das sei doch „wie ein Fremdkörper und viel zu laut“. So bekommt der „Musikkritiker“, der am liebsten das Schöne vernichtet, weil er ausgesprochen unmusikalisch sei, wie er selbst zugibt, sein Fett weg. Die nicht arischen Arien, Chansons mit jiddischem Akzent („Darf man das jetzt?“, wurde Kreisler in den 60er-Jahren gefragt), wo er den jüdischen Witz aufs Korn nimmt, amüsieren die Zuschauer: „Wenn ich meine Frau anschau, ist mir jede recht“. Auch eine Fünf-Minuten-Oper stammt von Kreisler, die eher ein Witz ist und zum Totlachen komisch mit Ritter und Ritterin und einem sprechenden Pferd in drei Akten in atemberaubendem Tempo gesungen und gespielt von Hartmut Hudezeck, der wie ein Conférencier diese Teezeit auf der Burg souverän und gelassen zu einem unvergesslichen Erlebnis machte: Er kann polternd laut und verführerisch leise singen, das komplette Klassik Piano-Repertoire von Bach, Chopin bis zum Boogie Woogie spielt er aus dem Effeff und sein Gedächtnis muss phänomenal sein, liest er doch weder die Lyrik noch die Noten vom Blatt ab. Bravo!

Kreislers lyrische Schaffenslust kannte keine Tabus, auch wenn man als Zuschauer Gänsehaut bekommt, wenn der Pianist heiter gestimmt von einem Blaubart singt, der die Frauen vor allem nach ihrem Ableben verehrte. Die Todesursache ist immer eine andere, aufgeschlitzt, vergiftet „mit Strichnin statt Aspirin“, beim Freitod hilft er gern nach „mit Sensen, Messern, Pistolen und Petroleum“: „Es hat sich noch keine beschwert“. So sei das nun mal mit den Frauen: „Schöne Frauen kosten sehr viel Geld“ – womit deren Beseitigung eher gemeint ist als deren Bespaßung. Der „ausgesprochen schöne Heinrich“ ist ein schönes Blödellied mit skurrilen Reim- und Wortspielen, das Hudezeck mit gelangweilter Contenance und feinem Lächeln darbot. Ein Höhepunkt war die Telefonbuch-Polka, wo er mal eben so aus der Lamäng 50 typisch böhmische Namen, alle Zungenbrecher, zischte und herausspuckte zur beschwingten Polka-Melodie, ohne sich ein einziges Mal zu verhaspeln! Als Zugabe dann endlich das berühmteste Lied „Tauben vergiften im Park“. Ein junges Paar plant bei buntem Frühlingswetter den Massenmord an den Tauben im Park mit Arsen. Die Musik wehte durch den Wappensaal, als ginge es um ein luftigleichtes Liebeslied. Das Publikum erfreute sich klammheimlich an diesem Ausflug in eine bösere Welt, in der nichts heilig ist, mit bestem Wissen und Gewissen in der besten aller Welten zu leben. Dabei stellte man sich unwillkürlich die Frage, wie es um einen derart multi-talentierten Satiriker, der die Dinge schmerzhaft beim Namen nennt und der die „anständigen Bürger“ und ihre Marotten vorführt und ganze Städte teils mit mörderischem Klima verhöhnt, heute in den sozialen Medien stünde. Darüber ließe sich sicher trefflich streiten ... und genau darum geht es Kreisler und seinem genialen Interpreten Hartmut Hudezeck: Mal die eigene Komfort-Zone verlassen – zumindest virtuell.

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