Wolfgang Schneiderhan, Generalinspekteur der Bundeswehr a.D. sprach im Schönberger Forum über die weltweite Sicherheitslage.
Foto: Genthe
Kronberg (gen) – „Ihr habt die Uhren und wir haben die Zeit.“ Diesen Satz hat Wolfgang Schneiderhan aus Afghanistan mitgebracht. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr sprach im Schönberger Forum über die Sicherheitslage in der Welt. Mit dem Satz von den Uhren und der Zeit führte Schneiderhan die fast einhundert Zuhörer im evangelischen Gemeindezentrum an die kulturellen Gräben in einer Welt, die immer näher zusammen rückt. Denn für den heute 65-Jährigen, der von 2002 bis 2009 ranghöchster Offizier der Bundeswehr war, hat das Militärische nicht automatisch den höchsten Stellenwert.
Verwundbar sei die westliche Welt geworden. Schneiderhan sprach von den zahlreichen Nadelstichen gegen die westliche Gesellschaft. Die alten Kriegsregeln der Stärke würden heute durch Terror und asymmetrische Kriegsführung ersetzt. Stark sei, wer Furcht verbreite und Unsicherheit säe. „Unsere große Verletzlichkeit ist im psychischen Bereich angekommen.“ Hier werde ein Kampf mit sehr ungleichen Waffen geführt. „Unsere Lebensweise ist unter Druck geraten.“ Die Wurzeln unserer Gesellschaft müsse man wieder hervorholen. In der Welt achte man nämlich sehr genau darauf, wie wir mit unseren Werten umgehen und was uns unsere Werte wert seien. Verhaltenskataloge abzuschleifen, aus Angst jemand könne sich daran stoßen, sei deshalb nicht der richtige Weg.
Noch nie habe es das gegeben, dass Deutschland ausschließlich von Freunden und Partnern umgeben sei. Während man sich hier sicher fühle, seien auf dem Balkan, im Kaukasus, in Afrika und in Asien jahrhundertealte Konflikte neu ausgebrochen. Mit nie gekannter Brutalität werde um Einfluss gekämpft. „Die Terroristen sind nur Trittbrettfahrer ungelöster Probleme und sie haben die Zeit abzuwarten.“ Mit dem Anschlag auf das World-Trade-Center habe die Weltmacht USA ihre Unverwundbarkeit verloren und ein neues Sicherheitsbedürfnis entwickelt. „Es ist noch nicht genau zu sehen, wie die neue multipolare Welt ausbalanciert ist.“
Deutlich sei aber, dass es die schwachen Staaten sind, die die Probleme bereiten. Länder, die nicht aus eigener Kraft für die Sicherheit ihrer Bürger sorgen könnten. Und innerhalb dieser Länder seien es die nichtstaatlichen Akteure, die Gewalt anwenden und verbreiten. Für diese Gruppierungen lohnten sich die Kriege und brächten Gewinn, während die Lasten sozialisiert würden und das Volk leide.
Die Trennlinie zwischen Terroristen, Fundamentalisten und Kriminellen sei oft nicht zu ziehen. Dass er sich einmal mit Piraten beschäftigen müsse – heute Alltagsgeschäft der Marine - hätte der General auch nie gedacht.
In all diesen schrecklichen Situationen stelle sich die Frage: Eingreifen oder nicht eingreifen? Scheiderhan hat diese Frage unter den Bundeskanzlern Schröder und Merkel immer wieder beraten müssen. „Ist es ein noch größeres Übel, wenn man nichts entgegensetzt?“ fragte Schneiderhan und beklagte die 800.000 Toten 1994 in Ruanda, weil niemand eingegriffen habe. Und er verwies auf die 8.000 Toten von Srebrenica.
Klimawandel und Umweltbelastung hätten in nicht stabilen Ländern eine dynamische Wirkung auf die Bevölkerung. Der Kampf um Rohstoffe, insbesondere um das Wasser nannte Schneiderhan „Konfliktursache Nummer eins“. Während die demografische Entwicklung uns schrumpfen ließe, erzeuge eine genau entgegengesetzte Entwicklung anderswo sehr viele junge Menschen ohne Zukunftsperspektive, von denen eine bisher nie gekannte Anzahl nach Europa strömen würden. „Lampedusa ist nichts dagegen.“ Im Iran seien 32 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre alt, in Afghanistan 47 Prozent und unter den Palästinensern seien es sogar 57 Prozent.
Die neue sicherheitspolitische Lage in der weltweiten Verflechtung erfordere einen „erweiterten Sicherheitsbegiff“. „Die Aufgaben, die vor uns liegen, können nur noch mehrere Staaten im Verbund lösen.“ Schneiderhan forderte eine neue „Risikogemeinschaft“, wie sie im Kalten Krieg bis 1989 wirksam gewesen sei. Heute regierten nur noch die nationalen Interessen, wo die einen das sagen und die anderen anders handelten. Und auch die Bevölkerung der westlichen Länder erlebe die Sicherheitslage nicht mehr hautnah, sondern als Fernsehereignis. Deshalb sei es in Deutschland auch nicht möglich, eine ernsthafte Diskussion um Sicherheitsfragen zu führen, er erlebe nur Formen von Empörung.
„Militärische Mittel allein reichen nicht aus.“ Feuerwehr zu spielen sei ganz einfach, aber man müsse jedem Brand auch Polizei hinterher schicken, damit niemand den Brand wieder entfacht. Das zentrale Thema sei deshalb Krisenprävention. Schneiderhan bezeichnete die Nachsorge als die beste Vorsorge. Deutschland sei Nutznießer der Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen und habe deshalb der Welt etwas anzubieten. Immer müsse man auch um die Erlaubnis zur Intervention streiten. „Interventionen daueren immer länger als man gedacht hat.“ Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan dauere jetzt schon länger als beide Weltkriege zusammen. Und die Nachsorge werde noch einmal so lage dauern. Die Zeit müsse man sich nehmen.