Den Fichtegickeln ist „Ein toller Dreh“ gelungen

George Pitt (Steffen Schmidt, Zweiter von rechts) tischt Lady und Sir Lindsay Cooper (Birgit Kühn und Andreas Risse) eine Lüge nach der anderen auf: David Prosser (Christoph Müller) nimmt das alles sichtlich mit ... Fotos: Westenberger

Oberhöchstadt (mw) – „Wenn die Zuschauer für einige Stunden den Alltag mit all seinen großen und kleinen Sorgen vergessen können und den Saal am Ende mit einem Lächeln verlassen, dann haben wir unser Ziel erreicht“, finden die Aktiven der Theatergruppe „Die Fichtegickel vom KV 02. Und genau das ist ihnen gelungen, ihr Einsatz hat sich mehr als gelohnt: Das Publikum verfolgte die Komödie „Ein toller Dreh!“– den Versuch des gewieften Maklers Lockwood, einen absoluten Ladenhüter von Haus zu verkaufen, von der ersten Minute bis zur letzten – und das Stück war lang – äußerst gebannt und unter Strapazen für die Lachmuskeln. Das lag einerseits an der raffiniert aufgebauten Komödie mit immer neuen Verwicklungen, spritzigen Dialogen und viel Dynamik, andererseits an den Amateurschauspielern. Die beherrschten, erfahren oder nicht, allesamt nicht einfach nur ihren Text, sondern legten eine Professionalität in der Lockerheit ihres Spiels an den Tag, dass sich die Zuschauer entspannt in ihren „Theatersessel“ zurücklehnen konnten, um in die Verwicklungen und Verwirrungen der quirligen Komödie abzutauchen, anstatt, wie es bei Amateurtheaterspielern mitunter vorkommen kann, mit ihnen gemeinsam um Sätze zu ringen und die Steifheit ihrer Dialoge zu spüren. Das war bei den Fichtegickeln, die mit Sophia Kulick als Yvonne Wilby und Jan Hartmann als Privatdetektiv auch „Neuzugänge“ auf der Bühne hatten, so gut wie gar nicht der Fall. Dafür durfte sich das treue Oberhöchstädter Publikum gleich über elf verschiedene Mitspielerinnen und Mitspieler freuen, die ganz verschiedene Rollen und Charaktere überzeugend auf die Bühne brachten. Dass die absolut kurzweilige Geschichte über den Verkauf eines avantgardistischen Anwesens, das einfach auch als geschmacklos und heruntergekommen bezeichnet werden könnte, es bei den Fichtegickeln endlich zur Aufführung geschafft hatte, lag an der Gunst der Stunde: Bei der Suche nach Ideen zur Umsetzung des allein vom Bühnenaufbau mit zwei durch eine Treppe miteinander verbundenen Ebenen und sechs Türen schon sehr aufwändigen Stückes stießen die Theaterspieler im Internet auf das „Junge Theater Eschwege“, das das Stück schon einmal gespielt hatte. Orlando Kieser, der die Gäste zur Premiere des neuen Stückes in drei Akten von Anthony Marriott und Alistar Foot im Saal des Haus Altkönig begrüßte, verriet wie es weiterging: Die Theatergruppe hat den Fichtegickeln die Treppe für den Auftritt geliehen! Im September wurde mittels eines Fahrzeugs der Metzgerei Klein die Treppe nach Kronberg geholt und die Firma Hellriegel half zur Unterfütterung der ersten Etage mit Europaletten. Trotzdem sollte es einige Tage mit vielen KV02-Helfern dauern, bis die Bühne stand, berichtete er. Mal ganz abgesehen von den vielen Proben, am Ende waren das vier in der Woche! Das Ergebnis konnte sich sehen, beziehungsweise hören lassen, angefangen bei der leiernden Türklingel, die Makler Bernhard Lockwood (Jörg Kouth) in der ersten Szene ankündigt, bis zum verblüffenden Finale.

Lockwood scheucht seine Angestellte Monica Johnson und die junge Praktikantin Yvonne Wilby nach bester, rein am Profit orientierter Unternehmer-Manier durch das Haus, um alles passend für die große Lüge herzurichten: In diesem Fall soll sein Verkaufsleiter George Pitt (Steffen Schmidt) heute gemeinsam mit der eigens dafür engagierten Schauspielerin Melanie Sinclair (Ulrike Klein), ein glückliches Ehepaar mimen. Die Hoffnung, ein von einer glücklichen Familie bewohntes Haus verkauft sich eher als ein schon viel zu lange leer stehendes, gewöhnungsbedürftiges und dazu noch abgelegenes Anwesen. Davon ahnt der von ihm herbestellte Verkaufsleiter, der eine Politikerkarriere plant und an diesem Abend noch eine Rede als Kandidat halten soll, jedoch noch nichts. Genauso wenig, wie die mit dem Juristen David Prosser (Christoph Müller) verlobte Schauspielerin, die ebenfalls im Haus eintrifft und ein Engagement für einen Werbespot erwartet hatte. Sie wird am selben Abend noch mit ihrem Liebsten bei ihrer angehenden Schwiegermutter zum Abendessen erwartet. Die Diskussionen und Versuche beider mit Lockwood, aus dieser „Nummer“ wieder rechtzeitig rauszukommen, werden jäh durch das Eintreffen von Sir Lindsay Cooper (Andreas Risse) und Lady Cooper (Birgit Kühn) unterbrochen – den Kaufinteressenten für das Ladenhüter-Haus. Die vermeintlichen Hausbesitzer fügen sich in ihre Rollen, ohne sich vorher über ihre „Ehe“ absprechen zu können. Was folgt ist leicht zu vermuten: Die Geschichte ihrer Liebe und ihrer vier Kinder (oder wie viele waren es noch gleich?) muss spontan erfunden werden – und das wird peinlich, weil der eine ständig etwas anderes als der andere erzählt. Doch die engagierte Schauspielerin durchschifft Melanie Sinclair so einige Untiefen, die ihr ihr „Mann“ vorlegt, der eines jedoch wirklich hat: eine blühende Fantasie! Die beiden kommen beim Publikum in ihrer Spielfreude – sie werfen sich die Bälle nur so zu, bis zum „echten“ Ehestreit, der hier nicht fehlen durfte, obwohl sie ja gar kein Paar sind – besonders gut an, gefolgt vom Verlobten David Prosser. Er spielt das auf Recht und Ordnung beharrende und seine Zukünftige als Besitz betrachtende Muttersöhnchen ebenfalls so überzeugend, jammernd und schließlich stark gebeutelt, dass man fast Mitleid mit dem armen Kerl bekommt, als sich hinter seinem Rücken das Beziehungsblatt auch noch zu wenden beginnt ...

Doch auch Melanie Rogwalder ist herrlich komisch, mimisch und gestisch stark und sorgt für viele Lacher, als sie sich vor dem eintreffenden Interessenten-Ehepaar plötzlich als Au pair aus Schweden ausgeben muss, während es Sophia Kulick als Yvonne Wilby zu später Stunde, weil Lockwood sie im Haus vergessen hat, als selbstbewusstem Teenie nicht schwerfällt, plumpe männliche Annäherungsversuche (auch die ganz versehentlichen) mit schallenden (echten) Ohrfeigen zu quittieren.

Doch Sir Lindsay Cooper und Lady Cooper, die wegen aufziehendem Nebel über Nacht bleiben, bekommen von der ganz großen Lüge lange gar nichts mit. Warum nur? Dafür haben sie ihre eigenen Gründe, die auch dazu führen, dass sie an diesem Abend noch auf jemanden warten... Und es kommen noch mehr Gäste, die ebenfalls um eine Übernachtungsmöglichkeit bitten: das sind Audrey Grey (Anneliese Hecking) und Andrew Grey (Ulrich Heinecke). Abgesehen von ihrem Putzfimmel scheint sie eine ziemlich schräge Person zu sein. Zu allem Unglück erkennen sie, selbst in der Politik zuhause, George Pitt als Kandidaten des politischen Gegners wieder. Warum nun aber Sir Lindsay Cooper Andrew Grey gegenüber immer aufdringlicher wird und ihn mitten in der Nacht zum Fototermin aufs Zimmer des vermeintlichen Hausbesitzer-Ehepaars schickt, kann er sich beim besten Willen nicht erklären: Aber eines wird den beiden, die ebenfalls sehr erfrischend schauspielern, schnell klar: In dem Haus scheinen einfach alle zu spinnen! Da sie nach einem Unfall mit dem Auto jedoch nicht wegkönnen, müssen sie noch einige Aufregungen miterleben und den letzten ungebetenen Gast, einen Privatdetektiv (Jan Hartmann) miterleben, der gleich alle Paare nacheinander aufschrickt, auf der Suche nach dem einen Paar, das hier inflagranti ertappt werden soll! Nur, welches ist das wohl von den vielen Gästen?

Den Fichtegickeln ist ein absolut „toller Dreh“ gelungen, für den die Regie mit Jörg Kuschel und seiner Assistentin Yvonne Ruppel-Kulick am Ende gemeinsam mit allen Mitwirkenden (Souffleuse Barbara Falland, Technik Marcel Falland und Steffen Reiter, Bühnenbild, Gerhard Patterer), mit lang anhaltendem Applaus bedacht wurden. Deshalb wird an dieser Stelle auch nicht verraten oder erzählt, wie die Geschichte um den Verkauf des Ladenhüters am Ende ausgeht. Wer mal wieder so richtig lachen möchte, der geht am besten selbst in die Vorstellungen der Fichtegickel, die noch Samstag, 27. Oktober um 20 Uhr, Sonntag, 28. Oktober um 17 Uhr und Samstag, 3. November gespielt werden. Gute Unterhaltung ist garantiert!

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