Oberhöchstadt (kb) – Rund 40 Interessierte waren kürzlich in den Gemeindesaal von St. Vitus in Oberhöchstadt gekommen, um der 87-jährigen Erna Tischler zuzuhören, die einen Einblick in ihr Leben gab. Den Rahmen bildete das Erzählcafé von Heckstadt Freunde Oberhöchstadts, dessen Konzept es ist, bei Kaffee und Kuchen interessante Lebensgeschichten zu erzählen. Wie immer hatten sich die vielen Spender übertroffen und eine reiche Auswahl an selbst gebackenen Kuchen mitgebracht, die großen Anklang bei den Besuchern fand.
Eine ganz besondere Torte hatte die „Erzählerin“ selbst gebacken. Die Dobos-Torte, so berichtete sie, sei eigentlich ungarischen Ursprungs, aber in ihrer Siebenbürger Heimat die traditionelle Torte, die anlässlich großer Festlichkeiten gebacken wird. Die Zutatenliste des köstlichen Gebäcks, von dem alle Teilnehmer ein kleines Stück probieren konnten, hat es in sich: 17 Eier, jede Menge Butter, Schokolade, Zucker und Rum werden für die aus neun Böden bestehende Torte verarbeitet. Keine „leichte“ Torte, doch alle Besucher waren sich einig, noch nie so viele wohlschmeckende Kalorien in so kleinen Mengen gegessen zu haben.
Aber die Torte stand nur als Symbol für ein Leben, das die Erzählerin 62 Jahre in Siebenbürgen in Rumänien führte und das endete, als sie 1990 nach Oberhöchstadt kam. Vorher lebte sie in einer Gemeinschaft von Siebenbürger Sachsen in Neustadt, dem heutigen Noiştat. Deren Leben war und ist stark geprägt von Traditionen, zu denen auch die deutsche Sprache und der evangelische Glaube gehören. Frau Tischler trug im Erzählcafé erstmals seit 1974 ihre traditionelle Siebenbürger Tracht. Die wurde aufgrund der kunstvollen Stick- und Häkelarbeiten von den Anwesenden sehr bewundert.
Das Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen liegt im zentralrumänischen Hochland zwischen den West-, Ost- und Südkarpaten. Es ist ein fruchtbares Land, in denen die deutschen Siedler seit dem 12. Jahrhundert auf Einladung des damaligen ungarischen Königs lebten. In der jüngeren Geschichte ist das Schicksal der Gemeinschaft von den beiden Weltkriegen geprägt. Erna Tischler berichtete, dass ihr Vater, wie viele andere Männer und Frauen, nach dem Zweiten Weltkrieg in Russland Zwangsarbeit leisten musste. Nur aufgrund einer Typhus-Erkrankung wurde er früher entlassen. Rund die Hälfte der Zwangsarbeiter starben, und viele der Überlebenden kamen erst 1952 aus Russland zurück.
Aber auch nach dieser Zeit gestaltete sich das Leben für die Siebenbürger Sachsen unter der kommunistischen Herrschaft sehr schwer. So konnte es nicht verwundern, dass gerade die Jüngeren versuchten das Land zu verlassen. Da die Bundesregierung zwischen 1967 und 1989 Rumäniendeutsche „freikaufte“, lebten auch schon zwei der drei Söhne von Erna Tischler mit ihren Familien in Deutschland, als sie 1990 aussiedelte. Die Söhne waren es, die nach dem Fall der Mauer die Erzählerin, ihren Mann und ihre Mutter ermutigten, nach Deutschland zu kommen. Da die Familie bereits in den 1970er-Jahren einen Ausreiseantrag gestellt hatte, der aber nicht genehmigt wurde, reisten sie schließlich 1990 heimlich über die nun offene DDR-Grenze aus.
Durch ein Arbeitsangebot kamen sie nach Oberhöchstadt. Nachdem sie aufgrund ihres Alters die Arbeit reduzieren mussten, verloren sie jedoch ihre kleine Wohnung. Insbesondere der Oberhöchstädter Günter Budelski setzte sich dafür ein, dass die Familie eine neue Bleibe in der Friedensstraße fand. Nach dem Tod ihrer Mutter und ihres Mannes hat sie in ihrer Nachbarin Renate Kuczka eine treue Freundin gefunden. Frau Kuczka unterstützte die sehbehinderte Erzählerin auch an diesem Tag tatkräftig und las ergänzende Gedichte und Gesangstexte vor. Sie war es auch, die Erna Tischler 2013 bewegte, gemeinsam deren alte Heimat zu besuchen. Keine leichte Reise, aber die Möglichkeit, ihr altes mit ihrem neuen Leben in Einklang zu bringen. Das neue, nicht unbedingt einfache Leben, für das Erna Tischler sehr dankbar ist.