Er wollte leben – Eugen Friede als einer der letzten Zeitzeugen

hr-Moderatorin Waia Stavrianos mit Eugen Herman-Friede (links) und dessen Sohn Frank Friede auf dem Podium im Kino Fotos: privat

Kronberg (aks) – Bei der Vorführung des Films „Die Unsichtbaren – wir wollen leben“ von Claus Räfle in den Kronberger Lichtspielen war Eugen Herman-Friede ziemlich sichtbar. Der 91-Jährige, einer der letzten Zeitzeugen des Holocaust, saß dort auf dem Podium mit der Moderatorin Waia Stavrianos vom Hessischen Rundfunk und seinem Sohn Dr. Frank Friede: Eine stolze Erscheinung. Der Film erzählt die Geschichte von vier Jugendlichen, die sich jahrelang in Berlin versteckten, um den Holocaust zu überleben. Mit Beginn der Judenverfolgung 1941 tauchten 7.000 Juden in Berlin unter, sie nannten sich U-Boote. Das Regime erklärte Berlin 1943 für „judenfrei“. 1.700 erlebten das Ende des Zweiten Weltkriegs 1945. Die Live-Interviews mit den letzten Überlebenden, darunter Eugen Friede, dieses wohl dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, unterbrechen den Handlungsfluss des Spielfilms nicht, im Gegenteil, sie erzeugen eine zusätzliche Spannung. Der Film kam aufgrund der Befragung von vier Zeitzeugen, die wahrscheinlich die letzten sind, zustande. Hier erzählen alte Menschen, wie sie sich vor der grausamen Judenjagd der Nationalsozialisten in der Hauptstadt Berlin retten konnten, vor allem auch dank der selbstlosen Hilfe von vielen Bürgern Berlins, die selbst nichts zu essen hatten und diese Hilfe, die unter Todesstrafe stand, leisteten. Die Arbeit an diesem Doku-Drama begann bereits 2007 und war ein Wettkampf gegen die Zeit, die hochbetagten Zeitzeugen sollten sich an ihre schwersten Jugendjahre erinnern und dies auch vor der Kamera aussagen. Räfle hatte gut daran getan, denn 2012 verstarb Ruth Arndt, verheiratete Gumpel in San Francisco und Cioma Schönhaus in der Schweiz. Nur zwei der vier Protagonisten leben heute noch: die 93-jährige Hanni Levy in Paris, eine quirlige alte Dame, die schon bei Spiegel TV auftrat und am 23. November bei Markus Lanz, sowie Eugen Friede in Kronberg. Ihm zu Ehren lud die Stadt Kronberg zur Vorführung des Films „Die Unsichtbaren“ in die Kronberger Lichtspiele ein.

Sichtlich bewegt folgten nicht nur der Ehrengast, der sich heute nicht mehr erinnern kann, aber durchaus „ein Gefühl für die emotionale Seite hat“, sein Sohn Frank und die Moderatorin der Handlung auf der Leinwand, sondern auch das zahlreich erschienene Publikum. Eugen Herman-Friede beteiligte sich nicht mehr aktiv an der Podiumsdiskussion, die sehr herzlich und empathisch von Waia Stavrianos mit dessen Sohn Frank geführt wurde. „Wir sind sehr dankbar. Der Film hat mir meinen Vater noch näher gebracht.“ In seiner Familie hätte man lange nichts über dieses düstere Kapitel gehört. Sein Vater habe nie über seine Emotionen gesprochen. Das habe ihm sicherlich geholfen weiterzuleben, indem er die Vergangenheit nicht zu sehr an sich herankommen ließ. Gleichwohl war es Eugen Friede immer ein Anliegen, sich mit dieser Zeit auseinanderzusetzen und junge Menschen dafür zu interessieren. Über hundert Lesungen hielt er in Schulen. Frank Friede: „Das kann er heute nicht mehr, das braucht er jetzt auch nicht mehr.“ Die Geschichte des heutigen Kronberger Bürgers ist nicht zu fassen. Er lernte nicht nur die Grausamkeiten der Nazis und des Zweiten Weltkriegs kennen, sondern musste viele persönliche Schicksalsschläge verwinden. Er war als Jude im Potsdamer Gefängnis und später, als vermeintlicher Kollaborateur von den Kommunisten festgenommen, saß er im selben Gefängnis ein. Dabei hatte sich Friede ab 1943 für den Widerstand eingesetzt, wo er in Luckenwalde mit Juden und Nicht-Juden Flugblätter verteilte.

Eugen Herman-Friede verlor seine drei Väter. Seine Mutter ließ sich von seinem leiblichen Vater Herman scheiden, sein Stiefvater Friede starb kurz vor seiner Deportation in das Konzentrationslager Theresienstadt, das die Mutter überlebte, an seiner eigenen Medikamentenmischung. In Theresienstadt lernte Friedes Mutter Wilkan kennen, der nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager unschuldig als Kollaborateur verhaftet wurde und sich in Potsdam im Gefängnis erhängte, wo auch Eugen Friede inhaftiert war. Ein Satz von Eugen Friede im Film geht unter die Haut: „Wer hätte geglaubt, dass so viele unschuldige Menschen in Deutschland sterben müssen.“ Auch eine Warnung an zukünftige Generationen, damit sich Fremdenhass und religiös motivierte Hetzjagden niemals wiederholen. Es ist ein Wunder, dass diese vier blutjungen Menschen, die einfach nur leben wollten, der nationalsozialistischen Kriegs- und Todesmaschinerie nicht zum Opfer gefallen sind. Dazu gehörte ein übermenschlicher Mut und viel Tapferkeit, all die Entbehrungen auszuhalten. Vor allem aber rettete sie die Nächstenliebe ihrer Mitmenschen, die ihnen ihre Hand reichten, ein warmes Bett und Essen anboten. In den Kriegsjahren herrschte die blanke Not und kalte Todesangst: „Nie konnten wir uns satt essen und immer froren wir“, so Ruth Arndt in ihrem Interview, wo sie beschreibt, wie sie im Winter eine ganze Nacht auf den Straßen Berlins herumlief, um nicht von der Gestapo geschnappt zu werden.

Die Nachkriegsjahre bescherten Eugen Friede und seiner jungen Familie ein besseres Leben: Nach seinem Studium an der Berliner Hochschule für Bildende Kunst in Berlin und in Rostock, eröffnete er in Toronto ein deutsches Café. 1956 kehrten die Friedes nach Deutschland zurück, wo Eugen Friede zunächst in der Textilbranche eine internationale Karriere machte. Über Düsseldorf, Stuttgart und Mailand ging es 1966 nach Kronberg, wo er die amerikanischen „Farah Jeans“ vermarktete. Vielen Kronbergern ist vielleicht noch der „Jeans Keller“ in der Eichenstraße Ecke Friedrich-Ebert-Straße in Erinnerung, den er mit seiner Ehefrau betrieb. Ein bewegtes Leben, das hoffentlich Frieden geschlossen hat mit den Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten, die man ihm im Leben angetan hatte, neigt sich nun dem Ende. Sein Anliegen war, dass man niemals vergessen dürfe, was damals geschah. Welch ein Glück, einem der letzten Zeitzeugen zu begegnen, der trotz aller Widerstände Freiheit und Sicherheit gefunden hat, von der so viele seiner Zeitgenossen immer geträumt haben und die diese Hoffnung am Leben erhielt.

Sicher lesenswert ist Regisseur Claus Räfles Buch zum Film „Die Unsichtbaren: Untertauchen, um zu überleben. Eine wahre Geschichte“ sowie die Biografie von Eugen Herman-Friede „Abgetaucht! Als U-Boot im Widerstand“. Der Film soll besonders in Schulen und auch im Ausland gezeigt werden.



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