Bahn-Bypässe und Radautobahnen: In der Nahmobilität sind die Belastungsgrenzen erreicht

Ministerialdirigent Bernhard Maßberg mahnte im Offenen Treff für jedermann: „Wir müssen uns etwas einfallen lassen, wenn wir den Verkehr in der Region neu und nachhaltig gestalten wollen“, dazu gehört auch, kleinere Strecken per Rad oder per Pedes zurückzulegen. Foto: Friedel

Schneidhain (hhf) – Schon zur vorletzten Veranstaltung im laufenden Jahr begrüßte Wolfgang Preiß die Zuhörer des Offenen Treffs für jedermann im evangelischen Gemeindehaus am Hohlberg. Eingeweihte wissen: Nach dem letzten Termin besteht traditionsgemäß die Möglichkeit, bei einem Glas Wein über die vergangenen Vorträge, aber auch über das kommende Jahresthema zu diskutieren. Diesmal aber ging es unter dem alten Motto „Leben in der Metropolregion Frankfurt-Rhein-Main“ ganz nüchtern um die Mobilität im Rhein-Main-Gebiet: „Alles was uns wichtig ist – der größere Blick auf die Metropolregion FRM.“

Zwar hätten „alle ihre Erfahrungen“ mit Nah- und Fernverkehr in Beruf und Freizeit, doch erinnerte der Moderator gezielt noch einmal an die jüngsten Belastungen der Schneidhainer rund um die Fahrbahnerneuerung ihrer Lebensader Wiesbadener Straße und die etwas länger zurückliegende Sanierung des Kreisels. Dies sind freilich keine Einzelfälle, fast täglich ist in den Nachrichten von Fluglärm oder Zuglärm – vor allem im Mittelrheintal – zu hören, an Neubauprojekten für Bahn und Straße basteln landesweit „viele Akteure“, die wiederum alle unter einen Hut gebracht werden müssen, vor allem auch mit den zunehmenden Bürgerinitiativen.

Vor diesem Hintergrund freuten sich die Organisatoren der Vortragsreihe besonders, als mit Bernhard Maßberg ein „ausgewiesener Fachmann“ zusagte, das Thema „aus Sicht der Landesregierung zu entfalten.“

1965 in Bad Hersfeld geboren und in Fulda aufgewachsen, studierte der Reserveoffizier ab 1987 Jura und Politikwissenschaften in Bamberg, um danach als Referent des Oberbürgermeisters von Fulda die politische Laufbahn einzuschlagen. Seit 2003 arbeitet der heutige Ministerialdirigent im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung, bis 2007 als Leiter des Ministerbüros. Derzeit ist Bernhard Maßberg Abteilungsleiter im Verkehrsbereich und Referatsleiter für Straße, Verkehrs- und Bauwesen. Damit ist er zuständig für Binnenschifffahrt, Eisenbahn und Luftverkehr, verbunden mit den Aufgabengebieten ÖPNV, Logistik und Mobilität.

„Vor vier Jahren habe ich die Verantwortung für den Straßenbau abgegeben“, darüber schien Referent Maßberg nicht besonders unglücklich zu sein, denn „es ist doch sehr viel Leben in der Region“, und das bedeutet auch viel Verkehr. „Panta Rhei“, alles fließt. Um dieser Ströme Herr zu werden, haben die betroffenen Landräte und Bürgermeister 2015 die „Metropolregion Frankfurt-Rhein- Main“ definiert (Königstein zählt sich ebenso dazu wie zum Beispiel Fulda), ein Landtagsbeschluss aus dem selben Jahr fordert, die Entwicklung der Region als eine der dynamischsten Europas weiter zu stärken. Dazu zählt auch der Kontakt zu großen Nachbarn wie Mannheim (Baden-Württemberg), Aschaffenburg (Bayern) und Mainz (Rheinland-Pfalz).

Ein Blick auf den Verkehr zeigt hier aber schon erste Probleme auf: „Die Infrastruktur Schiene ist in weiten Bereichen überlastet“ und „die Grenzen der Belastung des Systems Straße sind erreicht“, was keineswegs als ideologische Einschätzung gelten soll: „32 Fahrstreifen nebeneinander“ am Flughafen belegen dies eindrucksvoll. 350.000 Fahrzeuge muss das Frankfurter Kreuz täglich verkraften und gehört damit zu den am stärksten genutzten Verkehrswegen Deutschlands, ähnliche Spitzenplätze belegen Flughafen und der Hauptbahnhof in Frankfurt. „Wo fangen wir denn am besten an?“ fragen sich die Politiker, die ihre Aufgabe darin sehen, den Verkehr ebenso nachhaltig wie umweltverträglich zu organisieren, aber weder private noch wirtschaftliche Mobilität einschränken zu wollen. In diesem Zusammenhang begrüßt Bernhard Maßberg es ausdrücklich, das das Ressort Verkehr dem Wirtschaftsministerium angegliedert ist, unter einem umtriebigen Minister Tarek al-Wazir lasse sich viel kreativer arbeiten als in der Rolle eines Polizeibüttels, die entsteht, wenn der Verkehr im Innenministerium angesiedelt wird.

Viel Kreativität ist aber auch nötig, wenn man dem Bürger erklären will, dass er Fahrrad und Füße wieder öfter nutzen soll. „Fahrradfahren dient auch der Gesundheit“, erinnerte der Verkehrsfachmann angesichts interessanter Zahlen: „Die meisten Wege im Ballungsraum liegen unter zehn, oft sogar unter fünf Kilometern.“ Hier sind zwar vor allem die Kommunen gefragt, doch unterstützt diese das Land seit März mit der „AG Nahmobilität Hessen“ als eine Plattform zum Austausch. Auch hier ist Königstein wieder mit im Boot, bastelt unter anderem mit an Ideen zur „fahrradfreundlichen Kommune“, die gleichzeitig ihre Attraktivität erhöhen und den Verkehr in den Griff bekommen will. Vor allem auf Verknüpfungen wie zum Beispiel Busse, die auch Fahrräder mitnehmen, setzt man hier derzeit, landesweit ist aber auch die Einführung von Tempo 30 in Ballungsräumen generell ein Thema.

Überörtlich setzt Hessen vor allem auf „Radautobahnen“, zum Beispiel zwischen Frankfurt und Darmstadt, aber auch Frankfurt und Hanau, doch ebenso wie beim Straßenbau „gilt das deutsche Planungsrecht auch hier, es geht nicht schnell“. Für die Vernetzung der kommunalen Radwege zwischen Frankfurt und Darmstadt hat das Land bisher immerhin 8,5 Millionen Euro ausgegeben.

Das Fahrrad kann selbstverständlich in den wichtigen Bereich „Elektromobilität“ mit einbezogen werden, ein Blick auf Busse und (Straßen-) Bahnen zeigt, dass hier kaum neue Erfindungen nötig sind, eher muss man alte Konzepte wieder aus der Klamottenkiste holen. Dabei helfen die Bemühungen der Autoindustrie zwar sehr, zum Beispiel am Flughafen hat man aber auch entdeckt, dass das Rangieren von Fliegern mit Elektrokarren statt Triebwerkskraft auch einiges an Lärm einspart.

Ein Sonderfall im Rhein-Main-Gebiet sind die S-Bahnen, 80 Prozent ihrer Fahrten verläuft auf Gleisen, die auch dem Güter- und Fernverkehr dienen. „Ohne Ausbau werden wir hier tatsächlich einen Kollaps erleben“, denn Hessen ist ohnehin schon ein Transitland im Fernverkehr. Viel Geld und Zeit („20 Jahre sind für die Umsetzung bei der deutschen Bahn schon üblich“) werden hier künftig zur Überarbeitung der „Streckenführung aus dem 19. Jahrhundert“ benötigt, Umfahrungen und Tangenten müssen her. Spätestens aber, wenn es mit der „Ertüchtigung“ einer Strecke, also dem Anbau parallel laufender Gleise, nicht mehr getan ist, kommen auch Grundstücksbesitzer und Naturschutzinitiativen oder andere Interessengruppen mit an den Verhandlungstisch, doch sieht Bernhard Maßberg hier künftig weniger Probleme dank neuer Strategien. Man muss „aus Betroffenen Beteiligte machen“, die Bürger frühzeitig in politische und planerische Entscheidungen einbinden, dann wächst das Verständnis. Aber auch die Planer kommen dabei auf neue Ideen, so werden durchaus stillgelegte Strecken auf mögliche Reaktivierung geprüft oder die Verlegung von Streckenabschnitten „U-Bahn-artig“ in Tunnels, um bebaute Gebiete zu queren.

Viel Hoffnung setzt das Verkehrsministerium auch in technische Neuerungen, vor allem bei Flugzeugen zur Lärmvermeidung, aber auch in leisere Räder bei der Bahn. Für letztere wirkt die öffentliche Hand derzeit sogar als „weißer Ritter“ und renoviert im Rahmen des „Bahnhofsmodernisierungsprogrammes“ 93 Immobilien, die eigentlich der Deutschen Bahn gehören – „denn nur, wenn ein ordentlicher Zugang gegeben ist, ist die Voraussetzung geschaffen, dass der ÖPNV attraktiver wird.“

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