Zukunft neu verteilen: Wenn verbitterte Manager die Schweigespirale austauschen

„Uns fragt ja keiner“ ist ein Gefühl, das Angst und Verbitterung auslöst. So gesehen dürfte Professor Dr. Heinz Bude wenig schmollen, denn er ist nach wie vor ein gefragter Referent. Angst vor dem Publikum im Königsteiner Forum hatte er jedenfalls nicht. Foto: Friedel

Königstein (hhf) – Mit guten Wünschen zum neuen Jahr eröffnete Moderator Professor Dr. Diether Döring einen weiteren Zyklus im „Königsteiner Forum“, der 2018 unter dem Dachthema „Verunsicherte Gesellschaft. Mutlose Bürger. Destabilisiert sich unsere Demokratie?“ steht und bedankte sich vor allem wieder bei Geschäftsleitung und Angestellten der Frankfurter Volksbank für die „Herstellung des heute recht überfüllten Vortragssaales“. Inhaltlich folgt das Jahresthema logisch auf das Motto des vergangenen, in dem man die „Zeit des Umbruchs“ analysiert hatte. Nun sei es an der Zeit, zu überlegen, wie man damit umgehen solle. Zu diesem Zweck war der erste ein soziologischer Beitrag: „Die Stimmung der Deutschen. Auf dem Weg in die Angstgesellschaft?“

Als „Wunschkandidat für den Startvortrag“ hatte der Beirat Professor Dr. Heinz Bude gewinnen können. Nach einem Studium in Soziologie, Philosophie und Psychologie blieb er bis 1983 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am psychologischen Institut der FU Berlin, promovierte 1986. Seine Habilitation erlangte er 1994 am Hamburger Institut für Sozialforschung und vertrat diverse Professuren, bis er 2000 den Lehrstuhl für Makrosoziologie an der Universität Kassel angeboten bekam. Dort beschäftigt er sich vorrangig mit den Generationen im sozialen Wandel und beobachtet – als „soziale Exklusion“ – neue Formen der gesellschaftlichen Ungleichheit.

Paradoxe Stimmung

Befragt man die Deutschen nach ihrer Stimmung – der Begriff stammt vom Stimmen eines Musikinstrumentes ab – so fühlen sich 80 Prozent mit der persönlichen Situation recht zufrieden, ebenfalls 80 Prozent fühlen sich aber unbehaglich, wenn sie die Situation in der Gesellschaft einschätzen sollen, vor allem die Zukunft bereitet Sorgen. „Unsere Ansprüche haben sich verändert“, damit sind wir selbst schuld an diesem Gefühl, vor allem junge Eltern von heute „machen sich ihren Stress selber“. Generell ist eine Stimmung etwas Greifbares, objektiv, sogar einer der ältesten erforschten in der Wissenschaft. Im Gegensatz zum Affekt („es blitzt etwas auf, wovon man dachte, dass man dazu nicht in der Lage ist“) scheint Stimmung dem Gefühl näher verwandt, hier kann man als Begründung immerhin einzelne Vorgänge anführen. Allerdings kann eine Stimmung auch ebenso unvermittelt verschwinden, wie sie aufgetreten ist, dazwischen läuft dieser „unfokussierte Wertungszustand“ zwingend im Alltag mit, auch wenn es keine Erklärung für dessen Ursprung mehr gibt.

Spätestens seit dem 20. Jahrhundert spielen Medien eine große Rolle in der Stimmungserzeugung innerhalb einer ganzen Gesellschaft, zunächst als Boulevardzeitungen, heute zunehmend im digitalen Bereich. Der Effekt: Nachrichten erreichen nun große Mengen gleichzeitig, die sich daraufhin vor allem die Frage „Was bedeutet das?“ stellen und darüber kommunizieren – schnell nimmt eine solche Stimmung also ein „kollektives Format“ an. In der nun folgenden allgemeinen Diskussion fördern unterschiedliche Meinungen schließlich Polarisierungseffekte, verschiedene Lager bilden sich.

Die Schweigespirale

Als Kanzlerin Angela Merkel 2015 darüber nachdachte, das Abkommen von Schengen punktuell auszusetzen, führten diese Effekte beispielsweise zu einer spürbar gereizten Stimmung in Deutschland, die schließlich nach den Vorfällen in der Silvesternacht kippte. Ein Austausch in der „Schweigespirale“ war dafür verantwortlich, die dadurch entsteht, dass einige die aktuelle Meinung, in dem Fall „Großzügigkeit zeigen als starker Staat“, vorgeben, während andere sich ihre Gegenmeinung verkneifen. Mit dem Gefühl „das habe ich doch immer schon gewusst“ wandte sich dieser stille Teil nun mit seinen Bedenken an die Öffentlichkeit und ließ die bisherigen Wortführer stiller werden. Freilich blieb die Stimmung nach diesem Wechsel, der in vielen westlichen Gesellschaften stattgefunden hat, weiter gereizt, da zum einen dieses Thema noch nicht ausdiskutiert war und zum anderen weitere, vernetzte Themen wie Umgang mit Kapital, Religion oder Globalisierung existierten, zu denen Uneinigkeit bestand.

Der Zorn auf die jeweils anderen „Idioten, die die Welt ruinieren“ kann insbesondere vor dem Hintergrund schwacher Begründungen und fehlender Forschungen zu den einzelnen Meinungen bis zu körperlichen Auseinandersetzungen führen, vor allem aber zu einer Verhärtung der Meinungsfronten und schließlich dazu, dass man Veränderungen schlicht übersieht.

Gewinner und Verlierer

Immerhin muss unter dem Strich ein Faktum festgehalten werden, nämlich, dass Deutschland der Gewinner der Globalisierung in den letzten Jahren ist. Galt noch 1999 die Meinung, das Land habe „die Globalisierung nicht begriffen“, stufte es Barack Obama als das drittwichtigste der Welt ein. Dieser Wandel beruht auf einer „Revolution der Strukturen“ seit rund 20 Jahren, am auffälligsten ist der weltweit einzigartige Facharbeiter, der sogar über die Kompetenz zur eigenverantwortlichen Weiterbildung verfügt. Damit wurde aber ein großer Teil des mittleren Managements überflüssig und entwickelte einen Hass auf diese „agile Organisationsform“, was schließlich zu einem „Millieu der Verbitterten in der Mittelklasse“ führte.

Diese mittlerweile rund zehn Prozent in der deutschen Gesellschaft sind als Protagonisten der Defensiv-Stimmung in der Politik deutlich zu spüren, was kaum ein Problem darstellt, solange sie als Flügel in einer der Volksparteien gebunden bleiben. Wenn in diesem „Kampf der Vernünftigen gegen die Verbitterten“ aber kleinere Parteien „gekapert“ oder neue „Hybrid-Parteien“ gegründet werden und die Verbitterten so die Emotionen schüren, „dann sehen die Vernünftigen oft sehr alt aus“, zumal Kommunikation über Stimmungen sehr schwierig ist.

Freilich lässt sich auch ein „Körnchen Wahrheit im Wahnsinn finden“, die Verbitterten haben nicht völlig unrecht, wenn sie um die Zukunft fürchten, nur ihre Lösungsansätze sind zu sehr auf Rache angelegt. Rache aber droht global, denn nach 150 Jahren holen die Länder der früheren Dritten Welt auf und fordern – vorneweg die Schwellenländer – „ihren Anteil vom Kuchen“, auch rückwirkend. Es ist nicht auszuschließen, dass sich manche dieser Länder sogar deshalb mit radikalen Glaubensbewegungen zusammentun, vor denen der Westen Angst hat, um so ihre Macht zu festigen. Verbitterung oder gar Gewalt werden diese Herausforderung aber nicht meistern, vielmehr ist wieder die Vernunft gefragt und damit einhergehend eine klare Erkenntnis: „Dem Westen ist das Monopol auf Zukunft entgangen – wir müssen Zukunft in der einen Welt teilen, das ist nicht einfach.“



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