Königstein – Anlässlich einer Führung der ALK durch das Woogtal kamen bei der Besichtigung des Freiheitsfelsens viele Fragen nach seiner eigentlichen Geschichte und Erhaltung unter den Teilnehmern auf, die doch so langsam durch Generationswechsel in Vergessenheit gerät und ihre Aussagekraft zu verlieren droht. Dabei stellt Geschichtsexpertin Ellengard Jung seine Bedeutung auf die gleiche Stufe wie den Fall der Mauer 1989.
Worum aber ging es damals, was hat die Königsteiner Bevölkerung zu der Aussage an diesem Felsen „Wir sind frei!“ bewogen?
Die alliierte Rheinlandbesetzung war eine Folge des 1. Weltkriegs, in dem das Deutsche Reich gegen die alliierten und assoziierten Mächte eine militärische Niederlage erlitten hatte. Mit dem Waffenstillstand im November 1918 musste die provisorische Reichsregierung einwilligen, dass Truppen der Siegermächte die linksrheinischen und vier rechtsrheinischen „Brückenköpfe“ mit je 30 Kilometer Radius um Mainz besetzten.
Der Versailler Vertrag befristete die Anwesenheit der fremden Truppen auf 15 Jahre. Damit wollte Frankreich sich eine Sicherheit vor neuen deutschen Angriffen sichern, aber auch eine Bürgschaft für die zu erbringenden deutschen Reparationsverpflichtungen haben.
Damit begann die Besatzungszeit ab Januar 1919 mit Beteiligung von französischen, britischen, belgischen und anfänglich auch amerikanischen Truppen. Weil aber die USA den Versailler Vertrag nicht ratifiziert hatten, wurde ihre Besatzungszone ab dem 24. Januar 1919 von den Franzosen übernommen. Königstein gehörte der dritten Mainzer Zone an.
Nachdem das Deutsche Reich aber seine Einwilligung gegeben hatte, die Reparationszahlungen bis 1988 zu leisten, sahen die Franzosen, Briten und Belgier keine Notwendigkeit mehr in der Rheinlandbesetzung.
Damit zogen die Besatzungstruppen am 30. Juni 1930, fünf Jahre früher als im Versailler Vertrag vorgesehen, aus dem Rheinland ab. Bereits im März 1930 trafen sich Vereinsdelegierte, die Kur- und Verkehrskommission sowie städtische Vertreter zu einer Besprechung über eine Rheinlandbefreiung zusammen. Ein Festausschuss unter der Leitung von Bürgermeister Böhm, Gottfried Ohlenschläger und G.Völker sowie weiterer Personen aus Kirchenvorstand, Schulen, Verkehrsunternehmen und städtischen Körperschaften wurde gebildet.
Für die Feier wurde der Abend des 30. Juni auf den 1. Juli festgesetzt. Weiter wurde beschlossen, Einladungen an den Herrn Reichspräsidenten und die Reichs- und Staatsregierung zu senden. Auch Straßennamensänderungen sollten an die Rheinlandräumung verdienter Personen, wie Stresemann, Wirth etc. vorgenommen werden. Das aufgestellte Programm lautete „Befreiungsfeier der Stadt Königstein am 30. Juni 1930“ mit folgendem Ablauf
23.40 Uhr: Fackelzug,
0 Uhr: Befreiungsfeier,
5 Uhr: Weckruf
6 Uhr: Choralblasen von der Burgruine
10 Uhr: Enthüllung des Krieger-Ehrenmals
13 Uhr: Familienfeier am heimischen Herd
15 Uhr: Festzug
16 Uhr: Volksfeier im Kurhause, Kinderfest in den Kuranlagen
20.30 Uhr: Abendfeier im Kurhause (gesangliche und turnerische Darbietungen, Gartenfeuerwerk, Illumination)
Die Einwohner Königsteins wurden freundlich gebeten, die ganze Feier durch reichen Flaggenschmuck verschönern zu helfen und am Abend des 1. Juli möglichst zu illuminieren. Mit diesem Programm warb die städtische Kurverwaltung nochmals am 27. Juni in der Taunus-Zeitung und einem Kinderfest in der Kuranlage in der Limburger Straße. Dem Aufruf kam die Einwohnerschaft nach, denn die Straßen, Plätze und Häuser waren mit Fahnen in alten und neuen Reichs- und Landesfarben geschmückt. Zur Mitternachtsstunde zog sich ein Fackelzug mit tausenden Einwohnern und Gästen durch die illuminierten Straßen hin zum Woogtal. Unter dem Glockengeläute beider Kirchen und Kanonendonner loderte das Freiheitsfeuer auf dem „Befreiungsfelsen“.
Auch auf den umliegenden Höhen bis hinunter zum Rhein loderten die Freiheitsfeuer bis tief in die Nacht. Der Tag war gekommen, das Rheinland und Königstein waren frei!
Von der Feuerwehrkapelle wurde das niederländische Dankgebet intoniert und vom Männergesangverein Concordia erklang „Flamme empor“. Bürgermeister Böhm hielt die Befreiungs- und Weiherede. Hier einige Auszüge: „Noch hört unser geistiges Ohr den Räderschlag des letzten fortrollenden Truppentransportzuges jenseits der Grenze und den Marschtritt der in das Standquartier einziehenden Truppen, sie sind abgezogen, sie kehren heim. Unser geistiges Auge sieht auch deren Freude und neidet sie ihnen nicht. Endlich heimgezogen sind sie aus deutschem Land, vom deutschen Rhein, hinüber nach Frankreich, Belgien, England. Sie waren hier, gegebener Befehle Pflicht zu tun. Wir haben das Auf- und Ab im Leid elf lange Jahre getragen und gefühlt. Ihrem Abzug und ihrer Heimkehr folget unsere schmerzliche Erinnerung an vergangene Leide. So lasset sie ziehen und entschwinden Eurem geistigen Auge und führt zurück Eure Gedanken, hier in unseren Kreis zurück, in unser Woogtal. Zur Weihestunde sind wir hier herausgezogen aus unseren Mauern zu unseren schönen Taunuswäldern, deren Wasser hinab eilen in den befreiten Rhein. Hier haben die städtischen Körperschaften auf die sinnvolle Anregung eines geistreichen Freundes der Natur, des Herrn Regierungsbaurats Haas aus Offenbach, einen eindrucksvollen Zeugen dieser Stunde bestellt, verbunden mit urdeutschem Boden, herausgewachsen seit Jahrtausenden, den ‚Freiheitsfelsen‘. Er soll uns und den kommenden Geschlechtern die Erinnerung an die jetzige Stunde unverwischbar erhalten, zu gemeindlicher Eintracht ermahnen, die Kraft deutscher Treue versinnbilden und die Freiheit unserer Stadt von fremder Besatzung verkünden – darum seine Aufschrift ‚Wir sind frei!‘ Wir schwören am leuchtenden Stein, Deutsche zu sein! Lasset uns in kurzem Gedenken an diese Bedeutung dem Freiheitsfelsen gemeinsam die Weihe geben!“
Noch einmal spielte die Feuerwehrkapelle Mozarts Andante. Dann zogen sie wie eine feurige Schlange unter der Begleitung der Musikkapelle und vaterländischen Liedern vorbei am Pulverbrunnen, dem Ölmühlweg, Theresen- ,Limburger-, Kirch-, Haupt- und Frankfurter Straße, Dingweg (heute Bischof-Kaller-Straße) und zurück zum Parkplatz. Von der Burg, dem Feldberg, Altkönig und anderen Höhen loderte immer noch das Freudenfeuer. Mit dem Lied „Großer Gott wir loben Dich“ schloss der Tag der gewonnenen Freiheit.
Die Ausarbeitung der Pläne für den Freiheitsfelsen wurde vom Stadtbaumeister Jäger angefertigt und die Ausführung der Baufirma Johann Kowald Söhne übertragen. Die Buchstaben hatten eine Größe von zirka 25 Zentimetern und waren aus Kupfer gearbeitet. Nach 1956 wurden sie langsam, aber sicher entwendet.
Glückwünsche überbrachte der Bad Homburger Gymnasiast Füllkrug der Stadt: „Am ersten Tage der Freiheit, 1. Juli 1930, überbringen wir der Stadt Königstein herzliche Glückwünsche durch Stafettenlauf der Schüler von Gymnasium und Realschule; der Bürgermeister Eberlein, der Landrat van Erckelens,
der Oberstudiendirektor Bunnemann, Staatliches Kaiserin-Friedrich-Gymnasium nebst Realschule. Auch an hiesigen Schulen fanden die vom Kultusminister angeordneten Befreiungsfeiern statt. Als besondere Freude wurde an alle Kinder gestiftete Brezeln verteilt; der Unterricht fiel natürlich aus.
Der erste Freiheitstag wurde mit Böllerschüssen, Weckruf und Choralblasen von der Burg auch eingeleitet, denn nun fand die feierliche Enthüllung und Weihe des Krieger-Ehrenmals für die Kriegsopfer des 1. Weltkrieges 1914 bis 1918 in der Krieger-Gedächtnis-Anlage (Hubert-Fassbender-Anlage) statt.
Aber während der Besatzungszeit hatte nicht nur die Bevölkerung zu leiden, sondern auch der Wildbestand im Taunus war schwer betroffen. Der Hirsch war um den Altkönig zu finden, der Rehbestand ging in die Tausende und in den Lahnwäldern fand das Schwarzwild sicheren Schutz. Kurz vor dem Krieg hatte man aus Sardinien das Mufflonwild (Bergschaf) eingeführt.
Der Krieg 1914 bis 1918 brachte eine jähe Unterbrechung in der Pflege des Wildbestandes und der Hege; so manches Stück fiel den Wilderern zum Opfer. Aber in den Jahren 1919 bis 1926 wurde der Rehbestand von den Besatzungstruppen, voran die Franzosen, fast vollständig vernichtet. Forstbehörden beklagten im Lahngebiet, dass nachweislich rund 6.000 Rehe durch Schlingenlegen getötet wurden. Die Offiziere schossen das Wild ab, wo immer es vor die Flinte kam, ungeachtet der Schonzeiten!
1925 galt der Rehbestand im besetzten Taunus als vernichtet. Erst durch sorgfältige Hege und strenge Abschussverbote konnte sich das Wild langsam erholen, man verpflichtete sich sogar in vielen Orten, auf Jahre kein Stück Wild abzuschießen. Auch der Dachs wurde geschont und erholte sich wieder langsam.
Vielleicht finden sich nach dem Lesen dieser Zeilen Sponsoren, mit deren Hilfe die entwendeten elf Buchstaben sowie eine Hinweistafel seiner Geschichte angebracht werden könnten, um dem „Freiheitsfelsen“ seine Aussage wieder zurückzugeben. Wer sich dafür interessiert, der möge Ellengard Jung unter Telefon 06174/21861 kontaktieren.
Gedicht zur Befreiungsfeier
Die Glocken läuten‘s von allen Türmen,
des Rheinstroms Wellen rauschen‘s ins Land:
In Not und Bedrängnis, in allen Stürmen
Blieb uns das Deutschtum ein heilig Pfand.
Ein eiserner Wille bricht Ketten entzwei;
Die besetzten Gebiete, sie wurden frei!
Zwar drücken schwer uns die Fesseln und Lasten, die man gemeinsam uns tragen heißt;
Doch eins bleibt Gewissheit: Wir werden nicht rasten, bis ganz uns frei macht der deutsch Geist. Denn deutsch sein heißt kämpfen. Partei, sei Partei, das deutsche Volk macht nur Einigkeit frei!
Drum sei es ein heilig Gelöbnis der Stunde, es soll uns durchdringen in schwerster Zeit: Gemeinsames Denken sei mit uns im Bunde,
es sei stets einer für alle bereits; das Joch zu zerbrechen der Tyrannei: Verbundenheit nur macht uns stark und frei!
Eppstein, Juni 1930, Emil Heymer
Am Tag der Einweihung war der Fels unterhalb der Schrift mit doppelten Girlanden geschmückt.
Foto: Schilling