Falkenstein (hhf) – Wenn der Heimatverein Falkenstein zu seinem Herbstvortrag einlädt, für den seit einem drittel Jahrhundert Hermann Groß verantwortlich zeichnet, dann reicht der Platz im kleinen Saal des Bürgerhauses selten aus. Auch diesmal begann der Nachmittag mit einigem Stühlerücken, bis alle rund 80 Zuhörer einen Platz gefunden hatten und mit Salzbrezeln sowie Neuenhainer Äpfeln versorgt waren. Während die Tischreihen langsam in die Sporthalle hineinwuchsen, bekam der Referent noch etwas „über die Ohren gezogen“, denn ohne Mikrofon – beziehungsweise „Headset“ – geht bei solchen Massen gar nichts.
„Wie Falkenstein sich gemacht hat“, wollte Hermann Groß darstellen, musste zunächst aber einiges klarstellen: Es waren nicht etwa ausgestorbene Falkensteiner, sondern „andere Taunusritter, die hier ihr Unwesen trieben“, als die Burg als ein gefürchtetes „Raubritternest“ bekannt war. „Raubritter“ gab es freilich auch nicht, der Begriff wurde erst in der Zeit der Romantik geprägt – Falkenstein war „eher ein Schreckensort“ mit einem tiefen Verlies im Turm. „Früher habe ich versucht, es abzustreiten, heute versuche ich, es zu erklären“ bekannte der Heimatforscher angesichts Überlieferungen wie den Ausspruch „Den Gefangenen geb‘ ich dir nicht, im Turm muss er verfaulen.“
Im 11. Jahrhundert ging wohl noch alles mit rechten Dingen zu, damals besaßen die Grafen von Nürings einen Wohnturm auf dem Noringsberg (Felsenberg). Als das überregional bedeutsame und auch als Förderer des Klosters Retters bekannte Geschlecht ausstarb, erbten zunächst die Ministerialen von Münzenburg und dann die Herren von Bolanden in der Pfalz, die sich nach ihrer Stammburg Falkenstein am Donnersberg nannten. 1364 wird erstmals im Taunus eine Burg „Neu-Falkenstein“ erwähnt, die kurz darauf zerstört wird: Mit einem Reichskrieg wird der rauhbeinige Besitzer Philipp in seinen Expansionswünschen gestoppt.
Allerdings wohnten die Falkensteiner – wenn überhaupt – nicht lange auf dem Noringsberg, denn sie regierten auch in Königstein. Daher wurde die Burg anderen Bewohnern zum Lehen gegeben, „verpachtet“ würde man heute wohl sagen. Als die Burg schließlich an die Herren von Nassau fällt, entsteht auf der „Gan- erbenburg“ eine regelrechte „Ritter-WG“: im Jahr 1453 werden 11 Familien mit 17 Personen aufgelistet, die sich alle in der lukrativen Nähe zu Frankfurt eingemietet haben. Da bedurfte es schon einer strengen Hausordnung, der von einer Kommission überwachte „Burgfrieden“ ist wegen seiner Besonderheiten in die Fachliteratur eingegangen.
Später wurden die Herren von Staffel (bei Limburg) wichtig, zunächst wurde die Eigentümergemeinschaft von Kronbergern und Hattsteinern dominiert. Letztere, ein altes Geschlecht, deren Stammburg im oberen Weiltal seit einer gründlichen Strafexpedition kaum noch als Grundriss im Wald zu erkennen ist, taten sich besonders als Übeltäter auch in Falkenstein hervor, etliche Familienmitglieder standen in Acht und Bann, Cuno wurde 1392 sogar für „vogelfrei“ erklärt: Wer ihn traf, durfte ihn töten. Bertram von Vilbel, der sich sogar als Flussräuber betätigte, wurde vor den Toren der Stadt Frankfurt enthauptet – die Bewohner der Messestadt hatten es gründlich satt, immer wieder Lösegeld für verschleppte Kaufleute, deren Pferde und Ausrüstung zu zahlen oder ihre gestohlenen Schafherden zu suchen, bevor sie dem Metzger in die Hand fielen.
Die Entstehung von „Raubrittertum“ lag vor allem in der veränderten Kriegsführung seit Erfindung der Feuerwaffen begründet, die nicht mehr benötigten Kämpfer des niederen Adels wurden arbeitslos und verarmten. Zu „Edelknechten“ herabgestuft, geben die Hattsteiner dafür ein gutes Beispiel, im Jahr 1373 ist verbucht, dass Katharina von Hattstein „ihr letztes Hemd hergegeben“, also ihre Garderobe bei Frankfurter Juden versetzt hat. Ein Jahrhundert später erbt die Familie bedeutend und sofort finden die Räubereien ein Ende. Während die Hattsteiner fortan wieder ein angesehenes Geschlecht sind, machen die Freiherren von Bettendorf drei Generationen lang als Ortsherren den Falkensteinern das Leben schwer, sie strengen 1679 beim Reichskammergericht sogar einen Prozess wegen „Tyrannei“ an.
In diese Zeit fällt auch das „Falkensteiner Loch“ von 1618 bis 1670, eine Zeit, in der man vom Dorf und seinen Bewohnern überhaupt nichts hört, auch existiert heute kein Gebäude mehr, das älter als 1650 zu datieren ist. Das Aufkommen neuer Familiennamen nach dieser Zeit spricht für ein wie auch immer geartetes Ende des Ortes im 30jährigen Krieg und eine anschließende Neubesiedelung mit Familien aus der Umgebung.
Von Friedrich Stoltze bedichtet („Auf dem Falkenstein“), von Anton Burger und Fritz Wucherer vielfach gemalt, von Schulklassen erwandert und von Ärzten zur Erholung empfohlen: „Im 19. Jahrhundert rückt Falkenstein mehr und mehr in den Blick der Frankfurter“, man sieht die romantische Burgruine ja auch schon von weit her. Romantiker Alexandre Dumas kommt zu Besuch, um 1850 entstehen die ersten Fotos und der Bau der Eisenbahnlinie von Frankfurt nach Kronberg erleichtert den Weg – das hübsch gelegene Bergdorf kommt in Mode, nicht nur bei Ausflüglern. Medizinalrat Dr. Ferdinand Küster, Begründer der Kur im Kronthal, zählt „Falkenstein zu den sieben schönsten Punkten in Deutschland“ und Prof. Dr. Otto Körner erinnerte sich im 20. Jahrhundert an Ausflüge der Studentenzeit: „Falkenstein war unser Elysium“ (die Insel der Glückseligen).
Wer in Frankfurt gesundheitliche Probleme hat, bekommt um 1880 den guten Rat: „Geh‘ doch zum Peter nach Falkenstein“. Geheimrat Dr. Peter Dettweiler führt hier nämlich die Lungenheilanstalt zur Blüte. Nach seinen Lehrjahren bei Tuberkulosespezialist Dr. Hermann Brehmer in Schlesien wollte er eigentlich ein Institut im Schwarzwald eröffnen, springt kurz nach der Gründung der hiesigen Anstalt 1876 für deren erkrankten Leiter ein. „Aus der Vertretung wurde sein Lebenswerk“, Dettweiler erfand nicht nur Liegen oder den „blauen Heinrich“, einen desinfizierenden Spucknapf, die heute noch in berühmten Anstalten wie Davos zum Einsatz kommen, sondern bildete auch die Ärzte dieser und anderer namhafter Kliniken aus. Einige davon wohnten im Ärztehaus in der Limburger Straße 42a in Königstein, in Kronberg steht heute noch der Speisesaal der Heilanstalt mit dem markanten Aussichtsturm. Deren Stadtverwaltung hatte nämlich das Baumaterial für ihre Stadthalle ersteigert, als die „Dettweiler’sche Anstalt“ zu Gunsten des kaiserlichen Offiziers- erholungsheimes abgerissen und als „Hustenburg“ nach Ruppertshain verlegt wurde, da sich wohlhabende Neubürger vor Ansteckung fürchteten. Heute weniger bekannt ist dagegen die streng jüdisch geführte „klimatische Kuranstalt und Kaltwasseranstalt“, die Dr. Hirsch rund zehn Jahre lang etwas unterhalb der christlichen Kollegen betrieb. Mit dem ebenfalls hoch gelobten Institut besaß Falkenstein damit gleich zwei Kliniken von europaweiter Bedeutung und wäre beinahe noch Standort für ein Kreiskrankenhaus geworden. Doch damit sollte es für diesmal genügen, mit seltenen Bildern des „Rest-Home“ der Quäker, die während des Dritten Reichs politisch verfolgte wie Ernst Reuter hier zur Erholung unterbrachten, schloss Hermann Groß: „Ich denke und hoffe, Sie haben die krassen Gegensätze bemerkt und sind wieder etwas schlauer, was unsere Heimatgeschichte angeht.“
Evi Dorn erklärte im Namen des Heimatvereins Falkenstein e.V., wie der traditionelle Herbstvortrag gegliedert ist: Der gut zweistündige Vortrag von Hermann Groß wird durch eine Pause unterbrochen, in der die Gelegenheit besteht, sich die Bilder und Unterlagen an den Stellwänden zu betrachten.
Foto: Friedel