370 Seiten geballte und bewegte Geschichte – HGV präsentiert die Schloßborner Ortschronik

Martin Pritz und Christoph Klomann führten als Duett kurzweilig durch die Gemeindechronik. Foto: Schramm

Schloßborn (kw) – Der Heimat- und Geschichtsverein Schloßborn (HGV) hat sich zum Anlass seines 25-jährigen Bestehens selbst das größte Geschenk gemacht. 18 Jahre nach Beginn der Arbeit mit den Aufzeichnungen des früheren Bürgermeisters Johann Friedrich Marx (1881–1955) konnte der Verein die „Chronik der Gemeinde Schloßborn“ endlich vorstellen. Es ist ein 370 Euro starker Wälzer, der Marx’ gesammeltes Wissen über die Gemeinde vom Beginn der Besiedlung noch im ersten Jahrtausend, über die erste Erwähnung in der Bardo-Urkunde im Jahr 1043 und von dort über neun Jahrhunderte bis nach den Zweiten Weltkrieg nachzeichnet.

Christoph Klomann hatte im Auftrag des Heimat- und Geschichtsvereins die in Sütterlin-Schrift verfassten, 400 Seiten und 128.000 Wörter umfassenden Aufzeichnungen des langjährigen Bürgermeisters Marx aus den Jahren 1946/47, ergänzt bis 1952, final transkribiert, digitalisiert, in die Druckfassung gebracht und somit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es handele sich aber um eine „gemeinschaftliche Kraftanstrengung“, so Christoph Klomann, der sich seit seinem Vereinseintritt im Jahr 2015 dieser Arbeit gewidmet hatte. Wenn man früher die Großeltern fragte, woher sie all die Ortgeschichten wüssten, so erzählt er, dann hätten diese ,Ja, vom Altbürgermeister Marx‘ geantwortet. Das Wissen kursierte also durchaus in der Ortsbevölkerung, es war aber bisher noch nie veröffentlicht worden.

Die inhaltlichen und rechtlichen Fragen auf diesem Weg konnten auch nur schrittweise gelöst werden und sind der Hauptgrund, warum die Chronik nicht wie einst beabsichtigt bereits zum zehnten Jubiläum des Vereins fertig werden konnte. Zunächst mussten alle Teile der Aufzeichnungen, die an unterschiedlichen Orten verwahrt waren, zusammengefügt werden. Der Durchbruch gelang schließlich durch den Kontakt zu Gabriele Geisbüsch, der Enkelin von Johann Friedrich Marx, die den ersten, größeren Teil der Aufzeichnungen im Original in ihrem Besitz hatte. Erst durch diese konnten Unklarheiten in der bereits unter dem ersten Geschichtsvereinsvorsitzenden Benno Hoffmann im Jahr 2006 begonnenen Transkription beseitigt werden. Aber erst nach dem Tod des zweiten Vorsitzenden Joachim Frankenbach Ende 2023 konnte in dessen Nachlass in einer Schublade der für verschollen gehaltene und noch nicht transkribierte zweite Teil der Marx’schen Aufzeichnungen gefunden werden. Der endgültige Startschuss für rund 400 Stunden Arbeit, die Klomann in die Vollendung des Buchprojekts steckte und in das er auch noch Erkenntnisse der Kirchenchronik hat einfließen lassen.

Festakt

Die Präsentation des Buchs – samt der Originalaufzeichnungen in einer Vitrine – standen im Mittelpunkt einer Feierstunde mit rund 80 Mitgliedern und Freunden im katholischen Gemeindehaus, an der auch die aus Worms angereiste Gabriele Geisbüsch mit ihrer Familie teilnahm. Der amtierende HGV-Vorsitzende Peter Frankenbach würdigte zunächst die Gründungsmitglieder, die den Verein aufgebaut hätten und ohne die der Betrieb des Heimatmuseums nicht zu machen sei. „Wir brauchen Leute, die die Ortsgemeinschaft leben.“ Vereinsmitglied Martin Kunz stellte sodann die fast vollständig erschienenen Jubilare und ihre jeweiligen Verdienste für den Verein vor, für die sie verdientermaßen als erste die Chronik überreicht bekamen: Alwin Klomann, Linda und Julia Godry, die frühere Bürgermeisterin Jutta Nothacker, Manfred Kunz, Erich Lange, Peter Hofmann, Karlheinz Würfel, Friede Conrady, Richard Schmitt, Herrmann Gossenauer, Dieter Paul sowie Hannelore und Berthold Schwandt.

In seinem Grußwort zeichnete Glashüttens Bürgermeister Thomas Ciesielski die wichtigsten Stationen und Errungenschaften des Heimat- und Geschichtsvereins nach. Er erinnerte an die Gründung am 26. März 1999 unter dem ersten Vorsitzenden Benno Hoffmann und gleich im zweiten Jahr an die Teilnahme am Umzug mit dem Karnevalsverein – damals mit dem mittlerweile restaurierten letzten Wachturm der Stadtbefestigung als Holzmodell auf einem Wagen, was ein sich über 15 Jahre erstreckendes Hauptprojekt des Vereins werden sollte. Er erinnerte an die Bildung des Arbeitskreises „Museum“ im Jahr 2003, dessen Krönung die Übergabe des alten Schulgebäudes an den HGV zwei Jahre später werden sollte. Oder an die Beschäftigung mit dem Thema Ringmauer, deren originalgetreues Modell der Verein nach Wiedererwachen der Aktivitäten nach der Corona-Pause dann 2021 vorstellen konnte und das einen Höhepunkt des Museumsbesuchs in Schloßborn darstellt. Ciesielski würdigte aber auch das „beispielhafte Engagement“ des Vereins für die Ortsgemeinschaft – etwa eine Einkehrmöglichkeit samt Versorgung für die Teilnehmer bei den Müllsammel­aktionen zur Verfügung zu stellen.

Gregor Maier, als Fachbereichsleiter Kultur im Hochtaunuskreis und Kreisarchivar auf vielen geschichtlichen Pfaden unterwegs, zeigte sich ob des breiten Engagements des HGV „überrascht, dass er erst 25 Jahre alt ist“. Der Verein habe in dieser Zeit „große Räder gedreht“ und sei ein „Aktivposten in der Orts- und Regionalgeschichte im Taunus“. Mit der Chronik mache der Verein der Öffentlichkeit ein „großes Geschenk“.

Launige und spannende Passagen

Und dann wurde an diesem Abend das Geschenk endlich ausgepackt. In einem launigen Dialog streiften Martin Pritz und Christoph Klomann durch bald 1000 Jahre Ortsgeschichte aus der Feder von Johann Friedrich Marx. Alles hatte damit begonnen, dass die Brüder des Mainzer Stephansstifts in Brunnon, zu deutsch „Born“ eine Kirche bauen und weihen ließen. Es war eine der ersten Siedlungen im westlichen Taunus, weshalb die viel später (1674) an den Glasöfen gegründete Siedlung Glashütten von den Schloßborner Bürgern (rund 160 zu dieser Zeit) auch argwöhnisch beäugt wurde und über den Zugang der Glashüttener zur Bardo-Kirche auch häufig herzhaft gestritten wurde.

Zu „Schloßborn“ war der Flecken quasi im 14. Jahrhundert geworden, als die Herren zu Eppstein ein Jagdschloss bauen und es von einer Ringmauer schützen ließen. Der heutige Ortsname selbst ist aber erst durch Gerichtsprotokolle Mitte des 18. Jahrhunderts amtlich geworden. Eine bedeutende Rolle hatte über Jahrhunderte der Ober-Schultheiß („Schuldheischer“) als Vertreter der Landeshoheit, der aber bis 1764 stets von auswärts kam und der auch die öffentlichen Gerichtstage führte (und damit nur bedingt als Vorläufer des heutigen Bürgermeisters gelten kann). Für Lacher bei der Buchvorstellung sorgte, dass für kleinere Vergehen die Bürger – und die mit weniger Rechten ausgestatteten Beisassen – häufig alkoholische Getränke wie Obstwein, Branntwein und Bier liefern mussten, die die Obrigkeit dann noch vor Ort verzehrte.

Beim Gang durch die Geschichte kamen die beiden Erzähler auch bald am Schloßborner See an, der fünf Morgen (etwa 12.500 Quadratmeter) groß war und sich über den heutigen Caromber Platz, die Feuerwehr und das Schwimmbadgelände erstreckte. Wegen des störenden Gequakes der Frösche wurde er 1874 trockengelegt.

Marx entgeht Erschießung

Je näher man der Gegenwart kommt, desto detailreicher werden die Marx’schen Schilderungen. Insbesondere an den Irrungen und Wirrungen der beiden Weltkriege interessierte Leser kommen hier auf ihre Kosten. So wurde ein Jungenstreich kurz nach dem Ersten Weltkrieg, der auf die Straße nach Ehlhalten – das noch zum rechtsrheinischen Brückenkopf der Franzosen gehörte – eine gefundene Granate legte, diplomatisch ebenso glücklich gelöst wie eine Situation, in die Marx höchstselbst verwickelt war. Der war zwar als Bürgermeister gezwungenermaßen NSDAP-Mitglied, aber ein Kritiker. So ist auch seine Aussage „Hitler lässt jeden edel gestimmten Bürger beiseite schaffen“ genauso in dem Buch zu finden wie die Beschreibung „weitschauende Männer“ für die gescheiterten Attentäter des 20. Juli 1944.

Dramatische Eindrücke von Augen- und Zeitzeugin Helma Mayer, mit 92 Jahren ebenfalls bei der Präsentation anwesend, sind in der Chronik wiedergegeben. Im März 1945 veranlasste Marx ein frühzeitiges Entfernen der Panzersperren und begann mit Jospeh Conrady selbst damit, die Straßenschilder mit Namen der Nazigrößen abzumontieren. Zufällig vorbeikommende Feldgendarmen wollten Conrady und den zu Hilfe eilenden Bürgermeister direkt an die Wand stellen und erschießen und hatten schon die Gewehre im Anschlag, doch eine Menschenmenge stellte sich vor das Erschießungskommando („Seid ihr verrückt? Sehr ihr dann nit, dass der Kriesch fast aus is?“), wodurch es die Gendarmen mit der Aufnahme der Personalien beließen und abzogen.

Ein Bild, das symbolhaft für den unverbrüchlichen Zusammenhalt der Schloßborner steht und letztlich dafür gesorgt hat, dass ihr Heimat- und Geschichtsverein 79 Jahre später überhaupt in der Lage war, diese großartige Ortschronik vorzulegen.

Die ersten 200 Exemplare der Chronik der Gemeinde Schloßborn sind durch eine Spende der NASPA-Stiftung für 20 Euro beim Heimat- und Geschichtsverein erhältlich, danach wird dieses in jeder Hinsicht geschichtsträchtige Werk 25 Euro kosten. ISBN 978-3-75974-393-0

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