Neujahr mit Hofball-Atmosphäre

Von Petra Pfeifer

Friedrichsdorf. „Wiener Frauen“, „Wien wird bei Nacht erst schön“, „Wiener Blut“ – es war kaum zu überhören, dass das Johann-Strauß-Orchester Frankfurt in seinem Neujahrskonzert einen gewissen Schwerpunkt gesetzt hatte. Dirigent Witolf Werner, der gut gelaunt und mit viel Humor durch das Programm führte, bestätigte jeden in diese Richtung gehenden Verdacht: „Unser Motto lautet in diesem Jahr: www.“

Doch damit sei nicht etwa das weltweite Web gemeint. Auch Witolf Werners Wunschkonzert wäre eine völlig falsche Vermutung gewesen: „Die Buchstaben stehen für die Schwerpunkte Wien, Webber und West Side Story.“ Entsprechend heiter und beschwingt erklangen im ersten Teil des Konzerts somit außerdem bekannte Kompositionen wie „Wien bleibt Wien“, „Frühling in Wien“ oder „’S giebt nur a Kaiserstadt, ’s giebt nur a Wien“.

Ebenso launig gestaltete sich auch die Moderation des bunten Melodienreigens.

„Wien wird zwar vollkommen zu Recht zu den unfreundlichsten Städten der Welt gezählt, aber nichtsdestotrotz kommt aus dieser Stadt wunderschöne Musik“, parlierte der Wahl-Wiener und hob kurz darauf zum großen Vergnügen des Publikums zu einem ausgesprochen individuellen Jahresrückblick an. So habe der vergangene Januar selbstverständlich mit einem Neujahrskonzert begonnen, und im Februar seien wie gewohnt die Oscars verteilt worden. Ein ganz besonderes Event sei die Vorstellung des 55 Millionen Lichtjahre entfernten Schwarzen Lochs im April 2019 gewesen, und mit Blick auf den beabsichtigten Austritt der Briten aus der EU im Oktober frotzelte Witolf Werner: „Das Brexiten ist verwandt mit dem Seehofern.“

Hits aus bekannten Musicals

Auf die Wiener Hofball-Atmosphäre im ersten Teil des Konzerts folgte anschließend mustergültiges Broadway-Feeling. Den Auftakt hierzu machte ein Medley aus Webbers „Jesus Christ Superstar“, das ebenso viel Aufbruchstimmung wie Melancholie verbreitete. Sopranistin Katja Bördner, die zuvor schon bei Klassikern wie „Frühling in Wien“ oder „Ja, so singt man nur in Wien“ mit ihrer bemerkenswerten Stimme geglänzt hatte, konnte anschließend bei dem Hit „Memory“ aus dem Musical „Cats“ ihr Können im Fach der modernen Kompositionen unter Beweis stellen. Das gelang ihr hier ebenso bravourös wie kurz darauf bei „Think Of Me“ aus „Das Phantom der Oper“.

Aus der Welt der Pariser Katakomben wieder auftauchend wagte Witolf Werner unter der Überschrift „Die Zukunft 2020 hat heute begonnen“ einen Blick auf die kommenden Monate. Die erste augenzwinkernde und kaum angezweifelte Prognose lautete: „Es wird am 31. Dezember enden, an einem Donnerstag.“ Darüber hinaus konnte der Leiter des Bühnenorchesters der Wiener Staatsoper voraussehen, dass der Februar im deutsch-dänischen Freundschaftsjahr 29 Tage hat, am 29. März die letzte Folge der Lindenstraße ausgestrahlt und vom 30. April bis 3. Mai das Deutsche Chorfest in Leipzig stattfinden wird. Auch Jahrestage blieben nicht unerwähnt: „Am 12. August 1930, also vor rund 90 Jahren, begleiteten die ersten Stewardessen einen Flug, und am 19. September ist es 75 Jahre her, dass das Bundesland Hessen gegründet wurde.“

Dann aber nahte schon der dritte und letzte Teil des kurzweiligen Konzerts. „1957 schrieb Leonard Bernstein mit der ‚West Side Story‘ seine eigene Fassung des ewigen Konflikts von ‚Romeo und Julia‘“, erläuterte Werner, bevor zunächst ein Medley des Bühnenstücks und anschließend die Titel „One Hand, One Heart“ und „America“ daraus erklangen. Klar, dass ein solcher orchestraler Neujahrsschmaus dann nach mehr verlangte als auf dem offiziellen Programm stand.

Sehr zum Vergnügen des Publikums erklangen beim Finale der „Can Can“ von Jacques Offenbach – wobei Katja Bördner für eine viel beklatschte Tanzeinlage sorgte – und der Klassiker aller Neujahrskonzerte: der Radetzky-Marsch.

Da für einen solchen wohl kaum ein Johann-Strauß-Orchester wirklich einen Dirigenten benötigt, blieb Witolf Werner in dessen Verlauf genügend Zeit, mit Maskeraden zu spielen und mit Hilfe von Pyrotechnik einen glitzernden Schlusspunkt zu setzen.

Sopranistin Katja Bördner glänzt beim Neujahrskonzert mit bemerkenswerter Stimme. Begleitet wird sie vom Johann-Strauß-Orchester Frankfurt. Foto: Pfeifer



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