„Das Gegebene war das Gottgegebene“

Angelika Schlüter erinnert mit dem Hörspiel an das Leben ihres Großvaters.

Fotos: Schaller

Lebensbild in Hörfassung eines bäuerlichen Lebens im 19.Jahrhundert

Bad Soden (es) – Es gibt Momente die möchte man anhalten. Eine seltsame Stille ergriff die leider kleine Zuhörerschaft im Festsaal des Augustinum Neuenhain beim Hören des Hörspiels „Anton fällt in den Himmel“.

Auf Einladung der Kulturreferentin Sandra Zechiel stellte die vielseitige Künstlerin Angelika Schlüter das tragische Lebensbild ihres Großvaters Anton (1873-1930) in einer Hörfassung und einer filmischen Dokumentation vor. In ihrer klaren Sprache und in eindringlichen Bildern beschreibt sie die Selbstverständlichkeit einer Zeit, in der „das Gegebene das Gottgegebene“ war.

Anton ist „ein Kind der Schande“. Die Mutter begibt sich mit dem Säugling als Magd auf den Hof eines Herrn. Von morgens bis abends schuften war ihr Los. Anton wurde im düsteren Stall tagsüber angeschnallt. Weder die Wärme der Kühe noch das kalte Herz der Mutter spendeten Trost. Nur ein Eichenbaum, den er durch die Stalltür erblickte wurde für ihn zum Symbol der Beständigkeit.

Mit sechs Jahren wurde Anton angewiesen, die Kühe zu hüten. In dieser Welt des stundenlangen Alleinseins verbindet er sich mit der Natur, lernt die Sprache der Vögel, erblickt sich zum ersten Mal im ruhenden Gewässer.

Als uneheliches Kind ist sein Dasein in der Schule von Boshaftigkeit seiner Mitschüler und der Lehrer geprägt. Das Leben bedeutet Schufterei auf den Äckern, im Stall und beim Wasser und Holz holen.

Die Natur mit ihren Jahreszeiten bestimmt sein Gefühlsleben. Der Zug der Wildgänse erfüllt ihn mit trauriger Verlassenheit, das Schlafen zwischen Beeren und Moos einen Moment der Ruhe, heftige Stürme im Herbst lehren ihn das Fürchten, der dunkle, kalte Winter bringt frostige Hände und Füße und wird nur an dem einen Tag erhellt, wenn an Weihnachten sich doch Nüsse und Äpfel bei wenig Kerzenlicht im Tannengrün zeigen. Ausgeschlossen von den Nachbarn, die stumme Mutter, führen bei Anton zu Visionen von Gespenstern und beängstigenden Fantasien. Der stete Hunger ist darüber hinaus sein Begleiter. Diese Ängste werden auch nicht gelöscht, wenn das Kind am Sonntag in der Kirche „Großer Gott wir loben dich“ und das „Lass uns nicht verloren sein“ singt. Die Schande schwebt über Mutter und Sohn und findet auch kein Mitleid beim Pfarrer.

In dieser Welt der Ausweglosigkeit wächst Anton heran. Die Mutter erliegt der Schwindsucht, Anton muss ihre bisherige Arbeit dazu erledigen und die Verlassenheit ohne die Mutter überwältigt ihn. Täglich flüchtet er sich nun in den Baum, der ihm Treue verspricht. Im Geäst hört er eines Tages den Gesang einer jungen Frau. Ihre sanfte Stimme erfüllt sein Herz. Es begegnen sich zwei Seelenverwandte, die das gleiche Leid teilen, die gemeinsam die Natur betrachten und ein wenig den Zauber der Welt miteinander erleben.

Eine schlichte Hochzeit ist die Folge. Beide leben nun weiterhin auf dem Hof und arbeiten für den Besitzer. Vier Kinder empfängt Lene in den Jahren 1898-1907. Ihr besonderes Wesen führt zu weiterer Ausgeschlossenheit der Familie, da die Menschen im Dorf sie für eine Hexe halten.

Als auch sie früh stirbt, lebt Anton sein trauriges Leben weiter – einziger Halt bleibt für ihn sein Baum. Als dieser durch einen Blitz im Jahr 1930 gespalten wird, versucht Anton den Ast mit der Axt abzuschlagen, stürzt dabei, „fällt in den Himmel“, wird von der Axt erschlagen und stirbt.

Alles ist heute noch da, berichtet Angelika Schlüter. Das alte Haus, die Eiche und die Erinnerungen an Anton. Im dokumentarischen filmischen Beiprogramm berichtet der 95-jährige damalige Nachbar Ludwig (1923-2019) mit ganzer Überzeugung davon, dass Lene eine Hexe war, seiner Mutter die „Läuse auf den Buckel schickte“ sowie vom tragischen Ende Antons.

Ein beeindruckendes und erschütterndes Stück Zeit- und Lebensgeschichte hat Angelika Schlüter mit dem Hörspiel (einfühlsam gelesen von dem Autor und Hörspielregisseur Georg Bühren) und einer DVD-Bilddokumentation für die Nachwelt aufbereitet. Ein Kleinod, das es sich lohnt zu erwerben und zu verschenken. Das Hörspiel mit DVD und bebildertem Booklet kann für 15 Euro bei www.angelikaschlueter.de bestellt werden.

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