Bad Homburg. „Wir sind glaube ich alle ein bisschen aufgekratzt: Was passiert hier jetzt?“, sagt ein Demonstrant, der sich eine Viertelstunde vor Beginn der Kundgebung „Für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit & Menschenwürde – gegen Hass, Gewalt, Rassismus, Antisemitismus & Rechtspopulismus“ auf dem Bahnhofsvorplatz eingefunden hat. „Vielfalt“ und „Keine Alternative“ steht auf bunten Gasluftballons.
Unter dem Motto „Bad Homburg ist bunt!“ haben der Hochtaunuskreis, die Stadt Bad Homburg, die katholische und evangelische Kirche und das Jüdische Zentrum der Kurstadt als Veranstalter zur Demo aufgerufen, unterstützt von zahlreichen Parteien, Vereinen, religiösen und weltlichen Organisationen und Institutionen. Der Hessische Rundfunk ist live dabei. Der Platz füllt sich mit Menschen allen Alters.
Initiatoren der Kundgebung sind Pfarrer Werner Meuer von der Katholischen Kirche Bad Homburg und der Referent für Gesellschaftliche Verantwortung des Evangelischen Dekanats Hochtaunus, Tobias Krohmer. „Wir haben 1000 Personen angemeldet“, sagt Veranstaltungsleiter Krohmer. Später wird er der Menge der Demonstranten zurufen, dass „‚Fridays for Future‘, sie sind auch hier dabei und haben mehr Erfahrung, gerade über 2000 Teilnehmer geschätzt haben!“.
Auf seinem Megafon klebt der Ausspruch der mittlerweile umstrittenen Greta Thunberg „How dare you?“ (Wie kannst du es wagen?). Gewagt haben es außer bekannten Gesichtern aus Stadt- und Kreispolitik in der Tat viele Bad Homburger und Bürger aus umliegenden Städten, zur Demonstration „gegen rechts“ zu kommen, wie es immer wieder verkürzt heißt. Eine Mutter mit Sohn, der als Dino verkleidet das Motto „Dinos gegen Nazis“ hochhält; eine Dame mit Rollator, die zum ersten Mal in ihrem Leben auf einer Demo mitläuft; Schüler und Studenten, Pfadfinder und Erwachsene mit Regenbogenfahnen und Schildern wie „Die AfD nervt mehr als Hausaufgaben“ oder „Ich will später nicht hören: Wir haben nichts gewusst“ und „Wir lieben sie, die Demokratie“. Mitglieder von Caritas, Diakonie, DGB, der Aktionsgemeinschaft Bad Homburg, viele Christen aus Kirchengemeinden, Vertreter der Ahmadiyya Muslim Jamaat und der Türkisch-Islamischen Ditib-Gemeinde Bad Homburg, eine Gruppe ukrainischer Flüchtlinge aus Ober-Eschbach, Eltern mit Kinderwagen, die Arbeiterwohlfahrt und das DRK sowie Mitglieder der links-progressiven paneuropäischen Partei MERA25 DiEM: Alle setzen sich um 16.36 Uhr in Bewegung.
Empfang mit Musik
Ein stadtbekannter Obdachloser, der in der Menge gestanden hatte, bleibt zurück. Die Meinungen, die auf dem Weg durch die Fußgängerzone im leichten Nieselregen ausgetauscht werden, reichen von Alltagsthemen wie Gesundheit und Schul-Problemen über richtige und falsche politische Gesinnung bis hin zu dem, was die Gesellschaft begreifen und lernen sollte. Was er denn für eine Partei wählen solle, fragt ein Mann im Gehen zweifelnd seine Nachbarin; andere kritisieren „die konservativen Ansichten“ von Ex-Familienministerin Kristina Schröder; vorne im Zug wird kurz „Alle zusammen gegen den Faschismus“ skandiert. Am Kurhaus wird der Demonstrationszug mit Band-Musik empfangen: „What A Wonderful World“ von Louis Armstrong. Das habe ja „Happening-Charakter“, meint einer.
Vor dem Kurhaus stehen die Pfarrer Werner Meuer und Andreas Hannemann, Oberbürgermeister Alexander Hetjes, Rabbiner Shalom Rabinovitz und Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, der Imam der Ahmadiyya, Erster Kreisbeigeordneter Thorsten Schorr und andere Hand in Hand. Alle beginnen zu klatschen. „Eine Gelegenheit, gemeinsam zu feiern und Brücken zu bauen. In den vergangenen Monaten habe ich mich gefragt: Was ist die viel zitierte schweigende Mehrheit im Land? Die Demos zeigen, dass in unserem Land nicht der braune Mob den Ton angibt, sondern Bürger, die für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit einstehen“, sagt OB Hetjes ins Mikrofon.
Initiator Pfarrer Werner Meuer sagt, er stehe hier „zusammen mit allen Menschen guten Willens – gleich welcher Religion und Weltanschauung auch immer – gegen Ausgrenzung und Antisemitismus“. Es gehe nicht um ein Parteienspektrum von rechts bis links, „sondern um Populismus und Angstpropaganda“. Wir müssten auch mit Menschen reden, die uns einfach politisch quer liegen, so Meuer. „Die AfD fungiert als Partei, aber viele ihrer Inhalte sind abzulehnen. In unserer Stadt ist kein Platz für Höckes und Weidels!“ Arthur Iliyav vom Jüdischen Zentrum sagt: „Wir Juden sind multinationaler Herkunft und haben uns mit viel Hingabe in ein tolerantes Deutschland integriert. Nun müssen wir Angst haben vor Judenhass und Hetze.“ Iliyav dankt Stadt und Kreis für deren Solidarität und gibt den Anfang eines Zitats von Viktor E. Frankl wieder: „Es gibt nur zwei Rassen: die Rasse der anständigen Menschen und die Rasse der unanständigen Menschen.“ In ganz Deutschland setzten gerade die Anständigen ein Zeichen, so Iliyav.
Die Vikarinnen der evangelischen Erlöserkirche und der evangelischen Kirche Gonzenheim, Melanie Khalil und Anna-Lena Krieg, „stehen hier für alle Menschen, denen aus Angst die eigene Stimme versagt – und weil wir Angst um unsere eigene Zukunft haben. ‚Nie wieder ist jetzt!‘ ist nicht nur ein Aufruf gegen Antisemitismus, sondern gegen jede Form der Menschenfeindlichkeit. Die Demos können uns Kraft geben, aber wir müssen im Alltag dem Hass entgegentreten. Wer Faschisten wählt, der wählt nicht den Protest – das ist eine Ausrede, die nicht mehr gilt!“ Dafür gibt es lauten Applaus.
Ein Vertreter der der türkischen Religionsbehörde unterstellten Ditib sowie der Imam der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde treten auf die Bühne. Es müssten „systematische Lösungen gefunden werden, man müsse mit anderen reden“, so der Repräsentant der Ditib Ulu Moschee. Ahmadiyya-Imam Sarfraz Kahn erwähnt als einziger Redner auch „die unschuldigen israelischen Opfer des Hamas-Anschlags“ sowie „das skrupellose Bombardieren von Gaza“: Beides sei mit gleicher Härte zu verurteilen. „Wir stehen gegen jede Art von Gewalt!“
Versammlungsleiter Krohmer nutzt die gerade bekannt gewordene Nachricht vom Tod des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny in einem brutalen Straflager im Ural zu einem Schluss-Appell: „Heute kam die Nachricht, dass Alexej Nawalny in der Haft gestorben ist – und das sind Zustände, wo wir alle nicht hinwollen!“
Unter Band-Klängen sagt eine Teilnehmerin, die wie viele der Demonstranten aus der gesellschaftlichen Mittelschicht Bad Homburgs stammt: „Nawalny, das ist der Märtyrer unserer Zeit, da läuft es mir kalt den Rücken runter.“