Nachdenken über einen radikalen Pazifismus

Hochtaunus (how). Was sagt die christliche Friedensethik zum Thema Krieg und Frieden? Mit dieser Frage beschäftigte sich der 10. Jahresempfang der Evangelischen Kirche in Wehrheim. Präses Peter Vollrath-Kühne und Dekan Michael Tönges-Braungart hatten als Referenten Dr. Eberhard Pausch von der Evangelischen Akademie Frankfurt eingeladen.

„‚Seit Beginn des Christentums bis heute – und es sieht so aus, auch in Zukunft – ist das Christentum in Kriege verwickelt gewesen“‘, zitierte Pausch den Autor Mirza Bashir du-Din Mahmud Ahmad. „Teilen wir diese Sicht auf unsere Religion? Wie stehen die christlichen Kirchen zu Krieg und Frieden?“, fragte Pausch in die Runde der über 100 Gäste aus Politik, Kirchengemeinden, Diakonie, Kita und Schule und stellte zunächst zwei extreme Positionen vor: den Bellizismus und den radikalen Pazifismus. Für den antiken griechischen Philosophen Heraklit war der Krieg „das höchste Gut“. Ohne Wenn und Aber sollte bei jeder Gelegenheit Krieg geführt werden. Auch der radikale Pazifismus wägt nicht ab: Krieg ist immer verboten. Für die Befürworter eines Heiligen Krieges gibt es lediglich ein Kriterium in dieser Frage: Will Gott den Krieg? „Falls ja, ist dieser Krieg heilig und muss geführt werden“, erklärte Pausch.

Im Gegensatz zum Bellizismus und zum radikalen Pazifismus existiert hier zumindest ein Kriterium, das ein Abwägen zwischen Krieg und Frieden erlaubt. Diese Logik stelle die Grundlage für einen „gerechten Krieg“ und einen „gerechten Frieden“ dar. „Nur für die Lehren vom ,gerechten Krieg‘ und vom ,gerechten Frieden‘ spielt die Kriterienfrage eine Rolle. Der ,gerechte Frieden‘ ist untrennbar mit Recht und Gerechtigkeit verbunden und ist Ziel und Maßstab aller Politik“, sagte Pausch. „Der Krieg ist die ,ultima ratio‘ und ist nur unter ganz bestimmten Kriterien erlaubt. Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!“

Bereits seit der Antike wurde darüber diskutiert, welche Kriterien die Kriegsführung legitimieren könnten. „Systematisiert wurden die Kriterien in der Scholastik bei Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert und danach immer weiter ausdifferenziert.“ Zu diesen Kriterien gehörten zum Beispiel die Fragen, ob der Krieg durch eine legitime Autorität geführt wurde (König), ob es einen gerechten Grund gab (Verteidigung) und ob der Krieg mit der richtigen Absicht geführt wurde (Frieden stiften). Dieser Kriterienkatalog wurde im Laufe der Jahrhunderte immer weiter ausdifferenziert. „Während die ersten Christen nahezu alle Pazifisten waren, galt zwischen der Zeit Kaiser Konstantins bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Lehre vom ,gerechten Krieg‘ als das klassische Paradigma der Christenheit. Diese Lehre wird auch heute noch von der Anglikanischen Kirche vertreten. Grundlage sei die Sichtweise, dass der Krieg gegen Hitler-Deutschland ein gerechter und unvermeidlicher Krieg war: „The war against Hitler was beyond all doubt a just war.“

Gerechter Frieden

Die Schrecken und Gräuel der beiden Weltkriege bewirkten bei anderen Kirchen ein Umdenken und einen friedensethischen ,Quantensprung‘: Der Pazifismus gewann wieder an Stärke, und die Lehre vom ,gerechten Frieden‘ entstand.“ Ein ,gerechter Frieden‘ sei untrennbar mit Demokratie, Völkerrecht und materieller, sozialer Gerechtigkeit verbunden. „Der gerechte Frieden ist als Prozess zu denken, der mindesten vier Dimensionen umfasst: Schutz vor physischer oder psychischer Gewalt, Förderung von Freiheit und Demokratie, Abbau von materieller Not und die Anerkennung kultureller Vielfalt.“ Biblische Begriffe wie „Shalom“ und „Eirene“ machten klar, das „Frieden“ im biblischen Sinne viel mehr sei, als die bloße Abwesenheit von Krieg, führte Pausch aus.

„Es geht heute um die Frage, ob die evangelische Christenheit sich in ihrer Mehrheit für einen radikalen Pazifismus entscheidet“, betonte der Referent. „Das hieße unter anderem, die Arbeit der Militärseelsorge zu beenden; oder aber die Lehre vom gerechten Frieden zu aktualisieren.“ Dies würde bedeuten, sich der Klimaproblematik konsequent zu stellen, die Frage der egoistischen Nationalitätspolitik zu beantworten („America first“ und „Brexit“), dem sich ausbreitenden Rechtspopulismis tragfähige Alternativen entgegenzustellen sowie zivile Einsatzkräfte und Soldaten auf ihren Auslandseinsätzen seelsorgerlich zu begleiten, skizzierte Pausch die Aktualisierung der Kriterien eines „gerechten Friedens“.

Dr. Eberhard Pausch spricht zur Frage: Wie stehen die christlichen Kirchen zu Krieg und Frieden? Foto: J. M. Meier



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