Gladiatoren und Feen betören die Hexen

Die Schnullerfeen, ein Traum in Zartrosa und Himmelblau, bekommen für ihre Outfits den Kostümpreis verliehen.Foto: agl

Oberursel (agl). „Seid ihr gut drauf, Mädels“, fragt Oberhexe Birgit Zumbroich in den prall gefüllten Saal der Taunushalle. Und ob! Seit 23 Jahren gibt es den Hexenabend an Fastnacht und die rund 300 Karten sind jedes Jahr, kaum auf dem Markt, auch schon wieder weg.

Da schwirren Flamingos in Scharen durch die langen Bänke im Saal. An ihren Füßen Plüsch-Puschen im Mini-Flamingo-Style. Die „Schnullerfeen“ mit rosa Rapunzelhaar schwingen ihr übergroßes Requisit, den Schnuller, statt der Handtasche am Armgelenk und rascheln mit ihren Tutu-Röckchen durch die Gegend. Es erzeugt ein angenehmes Knistern wie Knallbrause in der Hand. Auch die „Domino-Steine“ – vielleicht ein bisschen nüchtern und streng in ihrer Optik im Vergleich zu den romantischen Träumen, die hier so manche auslebt – sind wie so viele heute Abend optisch ein echter Hingucker. „Gönnt euren Handys eine Pause“, rät die Oberhexe in ihrer Begrüßungsrede, die Punkt 20.11 Uhr die Hexensitzung einläutet. Aber das muss sie hier niemandem sagen. Bei Sekt und Salat oder Bier und Chili sind sowieso alle ganz mit ihrer Aufmerksamkeit beim Bühnengeschehen. Denn das bietet einen Abend mit Auftritten der Extraklasse. Das müssen selbst eingefleischte Faschingsmuffel zugeben.

Schunkeln, klatschen, mitsingen

Der Auftakt ist schon mal groß, als die Brass-Band des Vereins „Frohsinn“ einmarschiert in ihren roten Jacketts mit Goldapplikation und ihren alles durchdringenden riesigen Instrumenten. Sie performen „Narcotic“ von Liquido. Und es gelingt tatsächlich, was unmöglich erscheint: Man kommt ganz automatisch in Stimmung und ist versucht, sich fast vertraulich bei der unbekannten Tischnachbarin unterzuhaken, um mit ihr zu schunkeln. Den Auftakt des Bilder- Farb- und Tanzrauschs bildet der Auftritt der Maxis des Club Geselligkeit Humor (CluGeHu) Weißkirchen. In stahlblaues Licht getaucht und mit aufwendig paillettenbestickten Trikots scheinen sie einer André-Heller-Show entstiegen zu sein. Die Capes glitzern in schillernden Grüntönen. Ausgebreitet verwandeln sie mit Leichtigkeit und Anmut die Bühne in einen Traum aus 1001 Nacht.

Die tanzenden Herren

Kontrastprogramm: „Ich bin solo, scheißegal!“, singt der Riesenfroschkönig von seinem Babyschwimmbecken aus. Die „Daalbachnixen“ aus Kronberg waren offensichtlich auf die Idee gekommen, das Märchenthema einfallsreich in die Gegenwart zu versetzen. Der Tanz der Gladiatoren ist ein römischer Männertraum des CluGeHu-Männerballetts „die Bachstelzen“ und zweifelsfrei einer der Höhepunkte des Abends mit den komplizierten Hebefiguren und Kraftakten, die diese Truppe im Repertoire hat. Davor flirten Monika Stenz und Marion Schorr als „Chantal“ und „Clothilde“ probehalber und urkomisch auf der Bühne und tun sich dabei so gar keinen Zwang an: „Wie wär’s mit Sekt in meiner Strandmuschel?“

Als Vampire fliegen die CluGeHu-Showgirls so anmutig über die Bühne, als wäre Graf Dracula persönlich anwesend und als Juror auf der Suche nach dem Next Top-Batgirl. Die „Kalbacher Waschbären“ hingegen scheinen für ihre schrillen Workout-Outfits in der Requisite von Olivia Newton-John erfolgreich gestöbert zu haben. Ihre Nummer „Club- urlaub“ ist ein genial choreographiertes „Grease“-Remake in Dragqueen-Version. Die Mädelstruppe „Hexenplayback“ hat sich Sixpacks „übergestreift“ und bringt als „Backstreet Boys“ die Menge im Saal mit ihren Wet T-Shirts endgültig in eine großartige Stimmung. „Ich seh‘ den Sternenhimmel“, der Neue Deutsche Welle-Hit von Hubert Kah, erobert mit dem Fanfarencorps Bonames schwungvoll den Saal nach einer kurzen Verschnaufpause. Weiter geht es Schlag auf Schlag von Höhepunkt zu Höhepunkt. Die tollen Trolle, die sich leicht irreführend als die „Bulltowngirls“ vom Carnevalverein Stierstadt (CVSt) bezeichnen, haben ihre turmhohen, knallbunten Fürstin-Gloria-von-Thurn-und-Taxis-Perücken stramm auf dem Kopf und geben zum Disco-Hit „Rhytm Is A Dancer“ einfach alles. Mit Regenschirmen bestückt, beweisen auch die „The Ravens“ mit ihrer Nummer „Dancing In The Rain“, dass man mit diesem Accessoire mehr machen kann, als einfach nur zu fliegen wie Mary Poppins.

Lachsalven mit Hiltrud

Und dann ist es Zeit für Hiltrud. Sie ist ein Comedy-Highlight und hat Geschichten aus dem Alltag mit ihrer Freundin Henny auf Lager; das ist die mit dem rekordverdächtigen Haarwuchs und ihrem Mann, dem „Bläh-Boy“, der bei Hiltrud so heißt, weil er seine Verdauung mitunter nur geräuschvoll bewältigen kann. Die Bühne gehört gegen Ende der Show den Maxis des Bommersheimer Carneval Vereins (BCV). In Sekundenschnelle entsteht eine Kulisse mit Kilimandscharo und großem Löwen. Der „Spirit of Africa“ lebt auf, und zu afrikanischen Klängen, wie „Hakuna Matata“ wirbeln die Tänzerinnen in Zebrabustiers mit atemberaubendem Schwung und bewundernswerter Körperbeherrschung enthusiastisch über die Bühne.

Bevor Jürgen Sommer als Andreas Gabalier die Bühne in zünftiger Lederhose mit Biker-Sonnenbrille rockt und dabei das weibliche Publikum vollends von den Stühlen reißt, ist schon längst klar geworden: Starke Frauen! Starker Abend! Hexen haben’s einfach drauf. Die wissen, was gut ist und wie ein erstklassiger unterhaltsamer Abend gelingt. Geniales Hexeneinmaleins.

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