Stell dir vor es ist Europa und keiner geht hin – Frieden – Euro – Erasmus

Kronberg (aks) – Die neunte Europawahl findet vom 23. bis 26. Mai 2019 in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union statt, in Deutschland und Österreich am 26. Mai 2019. Beim Verbleib des Vereinigten Königreich in der EU würden voraussichtlich 751 Abgeordnete gewählt, sonst 704. Die Europäische Union hat 28 Mitgliedsstaaten. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt ist der EU-Binnenmarkt der größte gemeinsame Wirtschaftsraum der Erde.

„Quartiersgespräch“ als Dialog

Hildegard Klär, die Vorsitzende der Europa-Union Hochtaunus, hatte in die Stadthalle zu einem „Quartiersgespräch“ geladen, wie das neue Format des Bürgerdialogs in lockerer Atmosphäre nun heißt – Brezeln, Wasser und sogar Bier inklusive. Ein reger Schlagabtausch sollte nicht an den falschen Getränken scheitern, so Klär schmunzelnd. Ebenfalls verteilte sie Bierdeckel, ganz nach Stammtischmanier, damit jeder Teilnehmer seine Meinung anonym und schriftlich kundtun konnte. An einem Montagabend waren die Reihen nur überschaubar besetzt. Gefühlt sind immer die gleichen da und von jungen Leuten leider gar keine Spur. Das Thema Europa hat gerade keine Hochkonjunktur, wie es scheint. Das mag an der Selbstverständlichkeit der Europäischen Union und mit allen damit verbundenen Vorteilen liegen: es macht sich Trägheit breit im Paradies!

Europamüdigkeit

„70 Jahre Frieden – da kommt Langeweile auf“, resümierte kurz und knapp Prof. Dr. Otto Schmuck, der Referent dieses Abends, noch bevor es pünktlich losging. Viele negative Schlagzeilen durch den erstarkten Rechtspopulismus in vielen europäischen Ländern und den Brexit dominierten heute das Bild von Europa. Die Zustimmung unterliege starken Schwankungen. So weise auch das Euro-Baromoter im Vergleich zu den 70er- 80er-Jahren leicht nach unten.

Vor allem Jüngere und besser Ausgebildete würden die Leistungen Europas anerkennen. Der Euro habe sich als Einheitswährung durchgesetzt und sei unumstritten. Die Älteren empfänden den Frieden als positiv, die Mittleren die Grenzöffnung und den grenzenlosen Austausch und die Jüngeren europäische Austauschprogramme wie „Erasmus“, deren Budget noch verdoppelt werden solle, damit auch Nicht-Akademiker davon profitierten. Die Deutschen seien in besonderer Weise Nutznießer der Europäischen Einigung durch ihre geografische Lage, die Exportorientierung und Rohstoffabhängigkeit – „und sie wissen das“. Es sei schließlich besser von Freunden als von Feinden umgeben zu sein, davon profitiere unser allgemeiner Wohlstand – günstige Urlaubsreisen und Garantien inklusive.

Mehr oder weniger Europa?

„Europa vor der Wahl – warum wir zur Wahl gehen müssen“, so lautete das Thema des Abends. Schmucks Antwort lässt keine Zweifel: „Wir müssen zur Wahl gehen, wenn Europa weiter funktionieren soll.“ Otto Schmuck ist profunder Kenner in allen Europafragen, war er doch viele Jahre Europa-Abgeordneter von Rheinland-Pfalz. Er hat einen Lehrstuhl in Speyer und ist in Berlin, Mainz und Brüssel zuhause. Nebenberuflich engagiert er sich für die Europa-Union. „Die europäische Idee verbindet die Menschen; die europäische Einigung hat unserem Kontinent mehr als 70 Jahre Frieden gebracht. Europa entsteht ,von unten‘, durch die Begegnung“, so Schmuck. Als Bürger Europas fühlten sich in Deutschland immerhin 86 Prozent.

Europa bzw. die Europäische Union verfüge über ein glänzendes Gerüst, das bei näherem Betrachten allerdings nicht ohne Bruchstellen und Komplikationen sei. So sehr die Vorstellung sei, alle Entscheidungen unter die Europa-Fahne zu stellen, so komplex sei es auch dies zu realisieren. Beispiel Energiepolitik: alle Mitgliedstaaten waren für die Kernenergie mit Ausnahme Deutschlands. Auch Themen wie Migrations- und Sozialpolitik oder Energie- und Umweltpolitik, für die aktuell deutsche Schüler mobil machen, ließen sich nicht immer über einen Kamm scheren, dafür seien die Voraussetzungen und Vorstellungen zu heterogen. Schmuck betont: „EU-Reformen, das heißt eine Änderung des EU-Vertrags, gibt es nur mit der Zustimmung aller Parteien, das ist eine große Hürde!“.

EU-Parlament keine Schwatzbude

Es stimme einfach nicht, dass das Europa-Parlament nichts zu sagen habe und die Wahl daher keine Relevanz habe. „Das Europa-Parlament ist keine Schwatzbude“. Es liege an jedem einzelnen Wähler (in Deutschland ist das jeder über 18 Jahre), ob die 28 einzelnen Länder wieder zurück ins Nationale fallen wie vor 1950 (so wie es der Brexit für GB vorsieht), oder ob wir als Wertegemeinschaft weitergehen und mehr Reformen wagen. Die Spitzenkandidaten würden vor der Wahl in Fernsehduellen zu sehen sein. Allen voran Manfred Weber, der die CDU und CSU in der EVP-Fraktion im Europaparlament seit 2014 vertritt. Auch Katharina Barley und Udo Bullmann (SPD) seien im Gespräch sowie Vertreter aller anderen Parteien. Da die 5-Prozent-Hürde abgeschafft wurde, schafften es nun auch Parteien wie die Piraten ins Europa-Parlament.

Gefahr von Fake News

Während ältere Menschen noch Zeitungen abonnierten, orientierten sich junge Menschen fast ausschließlich an den Sozialen Medien: Fake News inklusive! Nicht jedes komplexe Thema könne medial wirksam in 1,5 Minuten kommuniziert werden: so entstehe eine Blase, „die sich selbst bestätigt.“ Schmuck bedauerte, dass Presseberichte aus anderen Ländern und Europa-Themen viele Hürden überwinden müssten – nur wenige Informationen kämen bei der Bevölkerung an: „Europa kommt nicht an!“ Das bedauerten auch viele Journalisten, die direkt aus Brüssel berichteten.

Dass Menschen allgemein nicht abgeholt werden, wie eine Teilnehmerin behauptete, ließen weder Klär noch Schmuck so stehen, schließlich könne sich jeder bei Interesse informieren. Eine bessere Kommunikation der Europa-Politik in den Schulen hält Schmuck für wesentlich für die politische Bildung: „Nur die Hälfte der Schüler hat von Europa gehört!“.

Die Wahl lohnt sich

Gut zu wissen: „Das Europa-Parlament ist heute bei der Gesetzgebung gleichberechtigt mit dem Rat und die Wahl entscheidet über den Kommissionspräsidenten.“ Das Europa-Parlament sei Anwalt der Bürgerinnen und Bürger, siehe dessen Einsatz für Verbraucherschutz, Austauschprogramme, Bürger- und Menschenrechte. Es seien nach wie vor wichtige Impulse notwendig, die müssten bei der Wahl „von unten“ kommen, so wie es demokratischen Wahlen vorsehen.

Der anschließende Dialog zeigte viele Kontroversen auf. Das Kern-Europa sei doch ein ziemliches Chaos, so sahen es einige, die sich zu Wort meldeten, Reformen seien notwendig. Mehr oder weniger Europa, das sei hier die Frage. Ob eine Europäische Republik darauf eine Antwort sei, wollte eine französische Mitbürgerin wissen. Die Europäische Union werde wohl immer die Summe dessen sein, was unten ist: „Das Paradies kommt von unten!“, so wird Schmuck es nicht müde zu verkünden. „Brüssel sind wir!“.

Die Europa-Union

Die Europa-Union ist ein Verband mit 16.000 Mitgliedern, gegründet 1946. Sie ist der deutsche Zweig der Union Europäischer Föderalisten und nimmt sich vielfältiger pro-europäischer Themen an mit dem Ziel eines Europäischen Bundesstaats auf Grundlage einer Verfassung, die Demokratie, Freiheit und Chancengleichheit sichert.

Für jeden, der mehr erfahren möchte: Website der Europäischen Kommission, Vertretung in Berlin: www. ec.europa.eu/germany/services/publications_ und die des Europäischen Parlaments www.europarl.europa.eu/portal/de oder einfach anrufen: 00800-67891011.

Am 26. Mai ist die Wahl für das Europa-Parlament: Hildegard Klär und Dr. Otto Schmuck von der Europa-Union sind sich einig: „Wir müssen zur Wahl gehen, wenn Europa weiter funktionieren soll.“
Foto: Sura



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