Wir sind ein reiches Land – Wir wollen teilen!

Kronberg. – Gudrun Brand aus Kronberg und Bettina Steinmetz aus Mammolshain sind seit einem Jahr Patinnen für Flüchtlinge aus Syrien und Irak. Im Gespräch mit dem Kronberger Boten haben Sie uns einen Einblick in ihre ehrenamtliche Tätigkeit und ihre Beweggründe geschildert. Das Interview führte Anne-Katrin Sura.

Was war Ihr Schlüsselerlebnis, sich ehrenamtlich zu engagieren?

Gudrun Brand lebte fast 16 Jahre im Ausland, seit fünf Jahren ist sie wieder Deutschland. Als ihre beiden erwachsenen Töchter von zu Hause auszogen, suchte sie nach einer sinnvollen und vor allem erfüllenden ehrenamtlichen Tätigkeit. Das Schlüsselerlebnis für sie war eine Informationsveranstaltung im Haus der Begegnung in Königstein mit Pfarrerin Stoodt-Neuschäfer, die eine flammende Rede hielt und zum Helfen aufrief. „Das hat mich so berührt, dass ich mich gleich, ohne lange zu überlegen, als Freiwillige gemeldet habe.“ Die Pfarrerin hatte von ihrer eigenen Patenschaft für eine somalische Familie berichtet, von der sie so viel zurück bekam. Auch Bettina Steinmetz aus Mammolshain ist seit gut einem Jahr Patin von zwei jungen Syrern und verfolgt voller Stolz, wie gut sich die beiden seit ihrer Ankunft entwickelt haben – mit allen Höhen und Tiefen. Die beiden Frauen gehören zu den 120 ehrenamtlichen Helfern des Freundeskreises Asyl in Königstein, der sich um Deutschkurse und die Betreuung von Flüchtlingen in Königstein bemüht. Zur Zeit werden circa 20 Deutschkurse mit circa 85 Teilnehmern durchgeführt. Gudrun Brand meldete sich als Lehrerin für den Deutschunterricht an. Dass sie dann flugs auch noch Patin von zwei Irakern wurde, ist wohl ihrem großen Herz zu verdanken. Sie erzählt von den jungen Männern, die man ihr vor einem Jahr zuwies und ist immer noch gerührt, wenn sie an die Unsicherheiten auf beiden Seiten denkt und wie die beiden jungen Iraker ihr bei der Ankunft mit gesenktem Kopf gegenüber saßen. „Ich stamme aus einem reinen Frauenhaushalt und da war mir doch etwas mulmig zumute, wer oder was mich da erwartete“, da ist sie ganz ehrlich. Auch Bettina Steinmetz erzählt von diesem Tag, auch sie wusste nicht, was auf sie zukommt. Ihre Freude war dann umso größer, als man ihr den jüngsten Syrer, 19 Jahre alt, und seinen Freund zuteilte. Die beiden verstehen sich auch heute noch wie Brüder und sind ihr sehr ans Herz gewachsen. „Die hätte ich mir auch ausgesucht!“, sie klingt nach einem Jahr immer noch begeistert.

Wie sieht echte Hilfe aus?

Die Einzelschicksale, von denen sie im Laufe der Zeit erfahren haben, sind erschütternd. Die meisten jungen Flüchtlinge mussten ihre Familien in den Kriegsgebieten zurücklassen und sind unter Lebensgefahr, viele in Booten, geflüchtet, tausende von Dollar haben sie dabei an Schlepper bezahlt. Unter ihnen gibt es auch die, die nicht darüber sprechen wollen, was sie erlebt haben: „Ich lebe jetzt hier!“, das war der einzige Kommentar eines Irakers, der vermutlich als Peshmerga Kämpfer desertierte. Als Patinnen sind Brand und Steinmetz vor allem um Integrationsförderung bemüht, sie kümmern sich persönlich und sind für jedes große und kleine Problem ansprechbar, egal ob es sich um einen Arztbesuch oder um Wohnungssuche handelt, um die Vermittlung von Integrationskursen, oder Ausbildungs- und Arbeitsstellen. Immer sind sie im Kontakt mit den Behörden, vor allem dem Jobcenter, auf dessen Mitarbeiter sie nichts kommen lassen. Immer seien sie ausgesprochen freundlich, engagiert und hilfsbereit. Vor ein paar Tagen haben einige Flüchtlinge und ihre Paten gemeinsam Pralinen für den Weihnachtsmarkt vorbereitet. Bei aller Anstrengung und großem zeitlichen Aufwand war es für alle ein Riesenspaß. Bei solchen Aktionen wird oft mit Händen und Füßen gestikuliert, wenn Worte nicht weiterhelfen... Immer siegt die Herzlichkeit.

Wie sieht Integration aus?

Bettina Steinmetz wird den Gottesdienst im letzten Jahr in der Immanuel-Kirche in Königstein nie vergessen, zu dem alle Flüchtlinge eingeladen waren und den die Pfarrerin liebevoll gestaltet hatte. Die Kirche platzte aus allen Nähten, so viele neue Mitbürger aus aller Herren Länder waren gekommen. Das war eine beglückende Demonstration von Frieden und Einigkeit. Für Steinmetz war es ein Bedürfnis, sich für Flüchtlinge einzusetzen. Pegida-Demos, die gegen Ausländer und Flüchtlinge Stimmung machen, versetzen sie in Angst. Auch Gudrun Brand ist überzeugt von ihrem Engagement, das viel Zeit in Anspruch nimmt und viel Geduld erfordert, wenn sich manche Wünsche, wie der nach einer eigenen Wohnung, nicht so leicht erfüllen lassen.

Wie viel Mut gehört zu Ihrem Engagement?

Dass die Stimmung in Deutschland auch umschlagen kann, wissen Brand und Steinmetz und beweisen Mut, wenn sie sich für Flüchtlinge einsetzen. Sie haben beide gespürt, wie wichtig ihre Hilfe ist, ohne die die meisten Flüchtlinge hier nicht zurecht kommen. Sie wollen Partei ergreifen, jede sagt von sich: „Ich positioniere mich!“, auch wenn es einigen in ihrem Freundeskreis nicht passt. Persönliche Angriffe gab es auch schon: „Ihr unterstützt Terroristen!“ Das macht sie wütend: „Denn diese Menschen fliehen zu uns vor den Terroristen des sogenannten Islamischen Staats.“ Aus eigener Erfahrung können sie die Vorurteile gegenüber arabischen Männern oder Muslimen nicht bestätigen. Beide Frauen halten die Flüchtlinge, denen sie tagtäglich begegnen, für sehr respektvoll. Sogar das Wort „Gentlemen“ fällt, die jungen Männer seien sehr um gute Manieren bemüht. „Die berühren einfach dein Herz!“, sagt Brand. Sie bedauert, dass die Berührungsangst in der Bevölkerung so groß sei und dass zu wenige einen Flüchtling persönlich kennen lernen und ihm mal eine Hand reichen. Der Treffpunkt i-Punkt in Königstein sei deshalb eine gute Sache sowie der tägliche Treffpunkt in der Villa Winter in Kronberg. Dort könne man mal gemeinsam eine Tasse trinken und ins Gespräch kommen. Pfarrerin Stoodt-Neuschäfer setzte im Übrigen alle ihre Praktikanten und Praktikantinnen für Kirchenjobs im i-Punkt ein, um den Kontakt zu fördern und so Klischees zu entkräften. So entsteht allmählich Verständnis für die Schicksale dieser Menschen. „Für die junge Generation ist das sehr wichtig!“, davon ist Gudrun Brand überzeugt.

Was ist der Lohn?

Bei so viel tatkräftigem Engagement stellt sich die Frage nach dem, was die Menschen zurück bekommen, die helfen. Steinmetz’ Antwort kommt von Herzen: „Ein gutes Gefühl und viel Dankbarkeit der Flüchtlinge!“ Brand setzt noch einen drauf: „Man kann fast sagen, wir bekommen so etwas wie Zuneigung zurück“. Dabei versuchen die beiden selbst, den Flüchtlingen so etwas wie ein Gefühl von Heimat und Familie zu vermitteln. Ihre Großherzigkeit wird belohnt durch Einladungen der Flüchtlinge, die von Herzen kommen, egal, ob sie in der Flüchtlingsunterkunft alle am Boden sitzen oder in klitzekleinen Wohnungen wie Könige – oder Königinnen – bewirtet werden. Wer diese Gastfreundschaft und die üppigen arabischen Festtafeln einmal erlebt hat, ist tief beeindruckt und manchmal auch beschämt, wenn man bedenkt, dass die Flüchtlinge mit einem Taschengeld von 300 Euro auskommen müssen.

Willkommenskultur als Credo?

Die gelebte Willkommenskultur und unsere Gastfreundschaft seien die beste Voraussetzung für Integration, so Steinmetz und Brand. „In welchem Land wollen wir leben?“, das ist für die beiden Frauen aus dem Taunus die essenzielle Frage. Ihre Antworten sind klar und deutlich und ein Appell an all jene, die nur jammern, aber sich nicht engagieren und die niemandem helfen. Bettina Steinmetz wünscht sich ihr Land „weltoffen, gastfreundlich und menschlich“ und „Wir sind ein reiches Land, wir können teilen“. Gudrun Brand sieht auch die soziale Gerechtigkeit durch die Flüchtlinge nicht gefährdet: „Keiner hat einen Cent weniger bekommen!“ Für sich selbst sagt sie: „Ich habe Glück gehabt, ich habe nichts beigetragen dafür, dass ich hier in Frieden und Sicherheit lebe.“ Obwohl die aktuellen Umfragen recht positiv erscheinen, schließlich sind über 50 Prozent der Deutschen mit der Zuwanderung der Flüchtlinge einverstanden, wünscht sich Brand „mehr Mitgefühl in der Welt und Menschen, die in der Lage sind, sich in andere hineinzuversetzen“. Ihre Hoffnungen setze sie auf die Jugend. Auch Bettina Steinmetz großer Wunsch ist eine „bessere Welt, in der auch die Heimkehr der Flüchtlinge wieder möglich wird.“

Ein Geschenk im Dezember?

Wer jetzt zum Jahresende noch ein Geschenk sucht, für andere oder für sich selbst, der kann selbst im Verein aktiv werden oder spenden. Für weitere Informationen bitte an den Freundeskreis Asyl wenden, per E-Mail an freundeskreisasyl[at]gmx[dot]de und auf der Homepage www.fa-koenigstein.de, telefonisch gibt Anna Basse gerne Auskunft. Für Kronberg ist der Verein Integration.Flüchtlinge.Kronberg zuständig: www.fluechtlingshilfe-kronberg.de. Treffpunkt ist in der Villa Winter täglich von 15 bis 17 Uhr.

Gudrun Brand aus Kronberg und Bettina Steinmetz aus Mammolshain sind seit einem Jahr Patinnen für Flüchtlinge.

Foto: Sura



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