Präsentation über die „Mutter der antiautoritären Kinderläden“

In der Stadtbücherei stellte Prof. Dr. Wilma Aden-Grossmann gemeinsam mit Sabine Eickschen-Hansmann ihre Biografie über Monika Seifert, Gründerin des bundesweit ersten antiautoritären Kindergartens in Frankfurt vor. Foto: Wittkopf

Kronberg (pf) – Neuland betritt Dr. Wilma Aden-Grossmann, bis zu ihrer Emeritierung 2001 Professorin für Sozialpädagogik an den Universitäten Frankfurt, Dortmund und Kassel, mit ihrem Buch „Monika Seifert – Pädagogin der antiautoritären Erziehung“. Denn dieses Thema, das die Kindererziehung revolutionierte, ist bisher – wie sie bei ihren Recherchen entdeckte – noch nirgendwo zusammenhängend dokumentiert oder aufgearbeitet worden. Es gibt zwar, wie sie herausfand, zwei kleinere Forschungszentren in Dresden und Hildesheim, aber das eine beschäftigt sich mit Kinderläden in der Provinz, das andere mit den Berliner Kinderläden. Beide hatten nur für drei Jahre finanzielle Mittel und beide sind inzwischen vergriffen. Ihr Buch, das sie am vergangenen Donnerstag in der Stadtbücherei vorstellte, ist daher wegweisend.

Und es ist die Biografie einer ungewöhnlichen Frau. Monika Seifert, 1932 in Berlin geboren, war die älteste Tochter des Psychoanalytikers Alexander Mitscherlich. Ihre Eltern trennten sich früh. Sie wuchs in Bad Kissingen auf, wo ihr Großvater ein Sanatorium leitete, in dem auch ihre Mutter als Ärztin arbeitete. Mit sechs Jahren erkrankte sie schwer an Kinderlähmung, blieb ihr Leben lang von der Krankheit gezeichnet und behindert. Und sie hatte, wie ihre zwei Jahre jüngere Schwester Barbara Kuhn-Mitscherlich berichtete, als Kind ein heftiges Temperament. Wenn etwas nicht nach ihren Wünschen ging, hat sie getreten, gespuckt und gekratzt. Niemand habe gewagt, sie in irgendeiner Weise zu erziehen. „Sie war in der Wolle gefärbt antiautoritär“, so drückte es Wilma Aden-Grossmann aus.

Weil sie nicht lange sitzen konnte und viel liegen musste, konnte sie keine Schule besuchen und erhielt zu Hause Privatunterricht. Da sie jedoch in einer intellektuellen Familie aufwuchs, hatte sie auf vielen Gebieten ein umfassenderes Wissen als viele Gleichaltrige. Um die Universität besuchen zu können, besuchte sie später die Hochschule für Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven-Rüstersiel, erlangte dort die Hochschulreife und studierte ab 1958 in Frankfurt Soziologie.

„Sie war eine schillernde Persönlichkeit“, so charakterisierte sie Wilma Aden-Grossmann. Sie lernte Monika Mitscherlich und ihren späteren Mann Jürgen Seifert 1959 bei einem Kongress gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr in Berlin kennen. In Frankfurt, wo Wilma und Heinz Grossmann noch im selben Jahr hinzogen, trafen sie sich wieder.

„Wir lernten uns besser kennen und wurden Freundinnen“, schreibt sie in der Einführung zu ihrem Buch. „Uns verband das gemeinsame Interesse an einer fortschrittlichen Pädagogik und die Kritik an der autoritären Erziehung in Familie, Schule und Kindergarten.“ Und als Monika Seifert ihre „Kinderschule“ in Frankfurt gründete, beteiligten sich auch Grossmanns daran. Sie wollten ihrem Sohn, der 1964 im selben Jahr auf die Welt kam wie Monika Seiferts Tochter Anna, die leidvollen Erfahrungen ersparen, die sie mit ihrer 1959 geborenen Tochter mit dem autoritären Erziehungsstil in den Kindergärten gemacht hatten. Für ihr Buch führte Wilma Aden-Grossmann ausführliche Gespräche mit früheren Mitarbeitern, Bekannten, Freunden von Monika Seifert und mit Eltern, deren Kinder ebenfalls die „Kinderschule“ besuchten. Sie las Aufsätze, noch unveröffentlichte Manuskripte und viele weitere Dokumente, die über das Leben und Wirken von Monika Seifert Auskunft geben. Denn sie war nicht nur die „Mutter der antiautoritären Kinderläden“, sondern engagierte sich in der Anti-Atom-Bewegung, war Mitglied im Bundesvorstand des Sozialisten Deutschen Studentenbundes (SDS) und war 1988 Mitbegründerin und Leiterin der Frankfurter Bürgerinitiative 9. November. Gemeinsam mit Sabine Eickschen-Hansmann, Gründerin der Kronberger Elterninitiative Kinderhaus (KEK) und in diesem Jahr mit dem Kronberger Frauenpreis ausgezeichnet, las Wilma Aden-Grossmann ausgewählte Passagen aus ihrem Buch vor. Dabei wurde die Persönlichkeit und das Engagement von Monika Seifert von vielen verschiedenen Seiten beleuchtet, sodass das Bild einer mutigen, kämpferischen und stets für ihre Überzeugungen einstehenden Frau entstand, die es in ihrem Leben niemals leicht hatte.

Als sie beispielsweise im Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt studieren wollte, um Psychoanalytikerin zu werden, lehnte ausgerechnet ihr Vater, der dort Leiter war, sie ab, nicht etwa wegen fehlender intellektueller Voraussetzungen, sondern weil sie behindert war. Sie bewarb sich daraufhin um ein Stipendium für ein Zweitstudium und ging für ein Jahr nach London. Dort studierte sie am renommierten Tavistock-Institut und lernte auf der Suche für eine Betreuung ihrer damals noch kleinen Tochter die Kirkdale School kennen, das Modell einer repressionsfreien Erziehung, in der man sich am Konzept des Pädagogen Alexander S. Neill und seinen Erfahrungen mit der Internatsschule Summerhill orientierte. Was sie dort kennen lernte, floss nach ihrer Rückkehr nach Frankfurt ins Konzept ihrer „Kinderschule“ ein.

Was Monika Seifert mit diesem Experiment anstieß, wirkt bis heute nach. Statt Disziplin, Ordnung und Gehorsam standen die Bedürfnisse der Kinder im Mittelpunkt. „Es hat 40 Jahre gedauert, bis dieses Prinzip der Selbstregulierung zu den heutigen pädagogisch wertvollen Kindertagesstätten geführt hat“, meinte Wilma Aden-Grossmann.

Der Abend in der Stadtbücherei war nicht nur eine Lesung. Er wurde zu einem angeregten und anregenden Gespräch über antiautoritäre Erziehung und was sich daraus ergab. Denn zu den Besuchern gehörten Eltern, die damals ähnliche Erfahrungen gemacht hatten wie Monika Seifert und Wilma Aden-Grossmann, aber auch junge Mütter, deren Kinder heute die damals entstandenen Einrichtungen besuchen und die erzählten, was aus ihnen geworden ist. Zu den Besuchern gehörte auch Peter Stuckenschmidt, der Monika Seifert gut kannte, war sie doch die Frau seines Vetters.

Das Buch „Monika Seifert – Pädagogin der antiautoritären Erziehung“, Wilma Aden-Grossmanns fünftes Buch, ist im Verlag Brandes & Apsel erschienen. Es kostet 19,90 Euro.



X