„Nepra“ gibt Lepra-Betroffenen in Nepal eine neue Lebensperspektive

Lebensfreude trotz Behinderung strahlt diese Bewohnerin aus.

Kronberg (mw) – Kronberg ist um einen Verein reicher. Juliane von Gordon, die mit ihrem Mann und Kind seit Kurzem wieder in Kronberg zuhause ist, hat die Geschäftsstelle von „Nepra e.V.“, mit deren Leitung sie seit August betraut worden ist, kurzerhand nach Kronberg verlegt. Nepra steht für „NEpal und LePRA“, „einer Verknüpfung, die wir mit unserer Arbeit auflösen möchten.“ Der Verein Nepra setzt darauf, den Teufelskreis aus Krankheit, sozialer Ausgrenzung und Armut durch einen ganzheitlichen Ansatz der Lepra-Hilfe zu durchbrechen. „Ja, gibt es die Krankheit denn noch?“ Das ist eine Frage, die Juliane von Gordon öfter gestellt wird, als sie gedacht hat. Zwar gehen die Zahlen der an Lepra-Erkrankten nach wie vor zurück und die Krankheit ist bei Früherkennung längst auch heilbar, doch einen Impfstoff dagegen gibt es bis heute nicht. Viel größer aber als der fehlende Impfstoff ist das Problem, dass die Krankheit, von der die Ärmsten der Armen betroffen sind, in bestimmten Regionen der Welt immer noch nichts von seinem Schrecken verloren hat, weil die Betroffenen Angst haben, mit ihrer Krankheit zum Arzt zu gehen. „In Nepal ist Lepra nach hinduistischem Glauben eine Strafe der Götter für besonders schwere Verfehlungen im vorherigen Leben und somit selbst verschuldet“, erläutert Juliane von Gordon. So beginne mit der Krankheit für die Betroffenen ein Teufelskreis, aus dem sie ohne Hilfe kaum wieder entrinnen können. „Es ist normal, dass die Lepra-Kranken aus den Dörfern verjagt werden und als Bettler auf den Straßen Kathmandus landen“, erzählt sie. „Sogar die eigenen Familien verstoßen ihre Kinder.“ Aus diesem Grund kommen die Menschen, die typische Krankheitssymptome wie dunkle Stellen auf der Haut, die sich taub anfühlen, oftmals erst in die Krankenhäuser, wenn die bakterielle Infektion schon weiter fortgeschritten ist, was größere bleibende Behinderungen nach sich zieht, verstümmelte Gliedmaßen, bis hin zu Amputationen.

„Nepra e.V.“, ein Verein, den es inzwischen seit 18 Jahren gibt, hat sich zur Aufgabe gemacht, den Lepra-betroffenen Menschen, die Chance auf ein neues Leben aufzubauen. Mit vielen Erfolgen, von denen sich Juliane von Gordon auf einer Reise nach Kapan am nordöstlichen Rand von Kathmandu selbst dieses Jahr überzeugen konnte. Seit 2000 arbeitet „Nepra“ vor Ort vertrauensvoll und erfolgreich mit der nepalesischen Organisation „New SADLE“ zusammen. „In all den Jahren wurde eine große Weberei, eine Papierfabrik, eine Batikwerkstatt und eine Näherei aufgebaut“, erzählt sie. Außerdem wird Schmuck gefertigt. Mit der Arbeit in den Werkstätten gelingt es den Verantwortlichen, 70 bis 80 Prozent der nötigen Einnahmen zu generieren, um die Lepra-betroffenen Menschen zu bezahlen und ihnen eine Rente zu sichern. Die Entscheidung, nicht nur ehemals Lepra-Betroffene einzustellen, sondern auch Nicht-Betroffenen dort eine Chance auf Arbeit zu geben, wurde mit Bedacht gewählt: „Es ist eine Form der Aufklärung“, so von Gordon, „wer hier arbeiten will, muss sich mit der Krankheit auseinandersetzen, muss sie akzeptieren.“

Weitaus gravierender: die psychischen Verletzungen der Menschen

Die positiven Erfahrungen, die Freundschaften, ja sogar Ehebündnisse, die auf diesem Weg schon geschlossen worden sind, werden nach außen kommuniziert und sind ein stetiger aufklärender Tropfen gegen die hartnäckige Stigmatisierung der Betroffenen. „Die Behinderungen einiger Mitarbeiter fielen mir erst beim genauen Hinsehen auf: Hier ein Stumpf anstelle eines Fußes, eine verkrampfte Hand, ein eingefallenes Nasenbein.“ Oftmals seien die psychischen Verletzungen der Menschen, die Verlust und Einsamkeit erlebt haben, weitaus gravierender. „Es sind die Geschichten dahinter, die mich sehr berührt haben“, erzählt die Geschäftsstellenleiterin des Vereins. Sie lernte beispielsweise eine junge Frau kennen, die nach ihrer Erkrankung von ihren Eltern verstoßen wurde. „Sie war verzweifelt, aber durch die Liebe zu einem jungen Mann fasste sie wieder Mut.“ Doch nachdem ihr Kind bei der Geburt starb, wandte sich auch ihr Mann von ihr ab, nun doch überzeugt davon, dass sie gesündigt habe und das Kind nicht von ihm sein könne. Mehrmals versuchte sie, sich umzubringen, bis sie im Krankenhaus auf den Vorsitzenden der Partnerorganisation traf. Sie erhält eine neue Chance auf ein selbstbestimmtes Leben, wird Schneiderin und hat sich heute bis zur Rezeptionistin hochgearbeitet. Ihre Familie hat sie bis heute nicht wiedergesehen.

Ein Drittel der Projektkosten müssen durch Spenden generiert werden

4.500 Euro etwa muss der Verein zur Zeit monatlich aufbringen, um die Projektkosten zu decken. „Das klingt vielleicht zunächst einmal gar nicht so hoch, doch wenn sie bedenken, dass ein Spender normalerweise 20 bis 30 Euro gibt, ist das eine hehre Aufgabe, die es kontinuierlich zu stemmen gilt“, weiß von Gordon. „Es ist das Drittel der Projektkosten, das nicht über Einnahmen allein zu stemmen ist, nämlich der soziale Anteil“, erläutert der Vorstandsvorsitzende von Nepra, Rolf Heimann. Die körperlich behinderten Menschen können nicht alle eine gleich hohe Produktivität liefern, außerdem werden die Wunden der Lepra-Betroffenen medizinisch versorgt, es wird Geld in die Bildung der Kinder von Lepra-Betroffenen investiert, der einzige Weg, damit diese später für sich selber sorgen können und es werden die Alten und Schwerstbehinderten, die nicht mehr selbst für sich sorgen können, in einem Altersheim versorgt.

Altenpaten gesucht

„Im Jahr 2014 wurden insgesamt 135 lepra-betroffene Mitarbeiter unterstützt, 17 alte und schwerstbehinderte Menschen versorgt und 85 Kinder in die Schule geschickt“, informiert von Gordon. Alle Produkte werden übrigens nur über den Fairen Handel vertrieben, sodass sichergestellt ist, dass alle am Handel Beteiligten gerecht bezahlt werden. Sie will im nächsten Jahr dabei mithelfen, dass es dem Verein gelingt, sich neuen Herausforderungen zu stellen. „In unserem Altersheim ist Platz für 70 Menschen, wir sehen also auch die Möglichkeit, über Altenpatenschaften, älteren hilfsbedürfigen Menschen in Nepal eine Chance auf eine menschenwürdige Betreuung im Alter zu geben.“ Außerdem will sich der Verein langfristig auch dem Thema HIV stellen und dem Projekt weiter zur Selbstständigkeit verhelfen, wie sich der Vorstandsvorsitzende ausdrückt. Zu diesem Zweck sollen die Häuser und Produktionsstätten vor Ort mit Solardächern versorgt werden. „So werden wir autonom gegenüber ständigen Stromausfällen, die unsere Wirtschaftlichkeit reduzieren und sparen Stromkosten.“

Für die 31-jährige Juliane von Gordon, die selbst schon mit ihren Eltern vor ihrem Studium (Politologie, VWL, Kommunikationswissenschaften) längere Zeit in Belgien, in Bulgarien und in der Slowakei gelebt hat, und deren Praktika sie schon nach Südamerika und Afrika geführt haben, war Nepal mit seiner „überlaufenden Metropole Kathmandu“ ein „echter Kulturschock“, wie sie gesteht. Im Gegensatz dazu erlebte sie Kapan als einen beschaulichen Ort mit offenen freundlichen Menschen, die durch die Hilfe des Vereins Rehabilitation und Resozialisierung erfahren haben. Beflügelt von ihren Erfahrungen vor Ort hat sie sich ihrer neuen Aufgabe zugewandet, den Verein stark für die Zukunft zu machen und freut sich über viele neue Mitglieder in ihrer neuen alten Heimat Kronberg, wo sie den Kindergarten und die Grundschule besucht hat. Denn eines musste sie in Nepal leider bei einem Termin in der deutschen Botschaft auch feststellen: Nepal kämpft mit so vielen grundlegenden Problemen, da sei Lepra nur eine Randerscheinung, erklärte man ihr. Nicht besser sieht es in der Weltöffentlichkeit aus, dachte sie sich und das gilt es zu ändern, findet die sympathische junge Frau, die längst die Ärmel hoch gekrempelt hat, um diesen Zustand mit Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit zu ändern. Weitere Infos über den Verein gibt es unter www.nepra.de oder unter der Telefonnummer 06173-3948669, Spendenkonto: GLS Bank, IBAN DE21 4306 0967 6034 8826 00, BIC GENODEM1GLS.

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