Müll macht Mut – und Musik: Los Reciclados zu Gast in der Stadthalle

Für die Herstellung dieser Gitarre hatten zwei Süßigkeitsdosen gedient. Foto: Pfeifer

Kronberg (pit) – Es war wohl eines der ungewöhnlichsten Musikereignisse, das seit Bestehen der Stadthalle mit Los Reciclados einherging. 20 junge Menschen aus Paraguay gaben im ausverkauften Haus ein Konzert auf besonders individuell angefertigten Instrumenten. Es ist eine außergewöhnliche Geschichte, die das Ensemble zusammengebracht hat und gehört somit wohl zu den ungewöhnlichsten und kreativsten Ereignissen, die bisher in der Musikgeschichte stattgefunden haben.

Begonnen hat diese Gründung vor fünf Jahren im wahrsten Sinne des Wortes auf einer Müllhalde, in Cateura, einem Slum nahe Paraguays Hauptstadt Asunción.

Der Musiklehrer Favio Chávez war im Auftrag einer Wohltätigkeitsorganisation dorthin gekommen, um interessierten Kindern Unterricht zu geben. Allein: Es gab mehr Kinder als Instrumente, denn mittlerweile kommen 120 Schüler in Cateura in den Genuss einer musikalischen Ausbildung und zum Beispiel eine Violine ist teurer als eine der Hütten, in denen die Menschen dort leben.

Mit viel Phantasie wurde somit aus der Not eine Tugend gemacht und mit Hilfe eines besonders hilfsbereiten Müllsammlers alle möglichen Teile zusammengetragen, aus denen schließlich von allen Beteiligten recycelte Musikinstrumente in Eigenarbeit konstruiert wurden. Mit viel Kreativität, Talent und Glauben an die Sache entstanden auf diese Weise aus Plastik, Ölkannen, Holz und vielen anderen Materialien Celli, Geigen, ein Schlagzeug und Gitarren.

Nach ihrem Auftritt auf einem Festival in Oslo gastierten die jungen Musiker nun in der Burgstadt und durften sich über jede Menge Beifall freuen. Für die Moderation sorgte Orchesterleiter Favio Chávez, die Übersetzung übernahm Konstantin Kovarbasic, der mit seiner Frau Florence für die Organisation dieses einzigartigen Ereignisses zuständig war. Immerhin galt es nicht nur, die Stadthalle für das Konzert zu buchen, sondern auch die Kinder und Jugendlichen bei Kronberger Familien unterzubringen. Deren Aufenthalt in Kronberg währte nicht allein für den Tag des Auftritts, sondern eine ganze Woche.

Viel Informatives zur Entstehung der Instrumente gab Favio Chávez hierbei preis, die wiederum zur Entstehung eines überaus eigenwilligen Klangkörpers gesorgt haben – nicht ohne Grund merkte Konstantin Kovarbasic an: „Dieses Konzert gibt uns Anlass zu überdenken, wie gut es uns geht.“ Mit ihrem Ehrgeiz hätten die jungen Orchestermitglieder gezeigt, was man in einer „brutalen Gegenwart“ leisten kann, dass man auch in bitterer Armut musikalische Träume realisieren kann. Und nachdem die „Kleine Nachtmusik“ erklang, lautete der erfrischende Kommentar: „Was Sie gerade gehört haben, war Müll. Die Musik allerdings war Mozart.“ Eine Anmerkung, die man unter anderen Umständen als mehr als despektierlich beurteilt hätte, die jedoch in diesem Zusammenhang voller Anerkennung war – und auch so vom Publikum verstanden und honoriert wurde.

Informatives gab es obendrein, zum Beispiel, aus welchen Materialien die Violine von der 15-jährigen Anna entstanden ist: „Das Blech stammt von einer Farb- und einer typischen Suppendose.“ Allzu passend der anschließend erklingende Frank-Sinatra-Titel „I did it my way“. Das Cello von Victor war so ähnlich aufgebaut wie Annas Violine Als Konstruktionsmittel waren hierbei aber noch unter anderem Holzlöffel und ein Ölfass hinzugekommen. Für die Herstellung einer Gitarre wiederum hatten unter anderem zwei Süßigkeitsdosen gedient und daher „hat die Gitarre Brauchbarkeitsdaten“, erfuhr das gespannt lauschende Publikum. Dieses Instrument diente wiederum bei „Freude schöner Götterfunken“ als Ersatz für einen Dirigentenstab. Selbstverständlich kamen neben den klassischen Kompositionen oder arabischen Klängen auch die traditionellen Lieder aus dem Heimatland von „Los Reciclados“ nicht zu kurz und so konnten die beiden Moderatoren schließlich feststellen: „Wir haben nun viele Musikarten gehört und das Fazit lautet: Müll eignet sich eigentlich für alle.“ Der stehende Applaus, den die Ausführenden dann ernteten, gab letztendlich nur einen Schluss zu: Die jungen Menschen aus Paraguay, die mit ihrem Kreativität und Musik eine große Portion von ihres täglichen Elend hinter sich lassen konnten, hatten die uneingeschränkte Sympathie ihres Publikums erobert.

Der Erlös des Konzertes kommt übrigens ausschließlich dem Orchester zugute. Darüber hinaus können sich dessen Mitglieder darüber freuen, dass es nach Bekanntgabe ihrer Auftritte in Europa noch Sachspenden in nicht unbeträchtlicher Höhe gab: Ein Instrumentenbauer aus der Schweiz stiftete jeweils fünf gebrauchte Geigen und Celli.



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