Hochspannung in St. Johann mit Brahms und Berg

Christian Tetzlaff und seine 17 Junior-Streicher versetzten am Sonntagabend die Zuhörer in St. Johann mit der Musik von Alban Berg in extatische Verzückung.

Foto: P. Truchsess

Kronberg (aks) – In St. Johann wurden am Sonntagabend mit Vorfreude und Spannung die beiden weltberühmten Musiker Christian Tetzlaff und Sir András Schiff mit ihren Eleven, den „Juniors“ der Kronberg Academy erwartet, die in nur wenigen Tagen ein anspruchsvolles Musikprogramm erarbeitet hatten. Die Kronberg Academy hatte bereits zum zehnten Mal 21 junge Künstler aus 16 Ländern ins malerische Kronberg eingeladen, der „Welthauptstadt des Cello“, um sich unter der virtuosen Leitung weltberühmter Künstler wie Gidon Kremer, Steven Isserlis, Christian Tetzlaff und Sir Andràs Schiff, kennen zu lernen, gemeinsam zu proben und zu konzertieren. „Chamber Music connects the World“ ist ein ehrgeiziges Projekt der Kronberg Academy, das sich der Kammermusik widmet und in der Musikwelt inzwischen allergrößte Beachtung findet. Das Konzert in St. Johann widmete sich den zwei Komponisten Alban Berg (1885-1935) und Johannes Brahms (1845-1924). In nur wenigen Proben hatten sich die „Juniors“ und „Seniors“ gemeinsam insgesamt 14 Kammermusik-Werke erarbeitet.

Abenteuer in wechselnder Besetzung

Ein Abenteuer in wechselnder Besetzung, von dem anfangs keiner wusste, wie es ausgeht, das aber wie immer gut endete. Entsprechend wurden die Musiker gleich zu Anfang in der voll besetzten Kirche von ihrer „Fangemeinde“ fast freundschaftlich beklatscht. Der weltberühmte Geiger mit dem Pferdeschwanz, Christian Tetzlaff, einer der „Seniors“ erzählte im Plauderton die Geschichte der lyrischen Suite von Alban Berg, 1927 arrangiert für Streichorchester, und wies auf verschiedene Spieltechniken hin, die die Unmöglichkeit dieser Liebe in ungewöhnliche Klänge umsetzt. „Der Kontext ist erschütternd“ – er handelt von Bergs unerfüllter Liebe zu Franz Werfels Schwester Hanna Fuchs. Die Geschichte ist so kurz wie tragisch: Ein Mann verliebt sich unsterblich in die Frau seines besten Freundes, und so lautet der erste Satz entsprechend: Andante amoroso. Der lyrische Held ist überwältigt vom Mysterium der Liebe. Seine Gefühlswirrungen entladen sich anschließend im Allegro misterioso. Die Luft ist energiegeladen, es herrscht Hochspannung in St. Johann, wenn 18 Streicher ihre Instrumente zum Singen, Flirren und Wehklagen bringen. Im Adagio appassionato gesteht er seine Liebe, ist hin- und hergerissen, diese Frau besitzen zu wollen, um schließlich zu entsagen: „Vergessen sie es!“ Die Musik ist ekstatisch, die Celli und der Kontrabass vertiefen dieses gewaltige Klangerlebnis als Ausdruck einer verzweifelten Liebe. Tetzlaff verleiht den Liebenden mit seiner Violine eine zarte eindringliche Stimme, die nach dem hinreißenden Crescendo wieder „zurück gespielt wird“, sozusagen als „Zeichen der Entsagung“, wie es Tetzlaff vorher erläuterte. Diese Komposition ließ niemanden kalt, da fegte ein wahrer Gefühlssturm durch die voll besetzte Kirche und als die Zuhörer wieder Atem holten, folgte begeisterter Applaus für Christian Tetzlaff und seine jungen Musiker aus der ganzen Welt: Anna Engholm, Anne Luisa Kramb, Christel Lee, JiYoung Lim, Carla Marrero Martinez, Kaoru Oe, Cosima Soulez Larivière, Diana Tishchenko, Stephen Waarts (alle Violine), Luosha Fang, Wenhong Luo, Sindy Mohamed, Sào Soulez Larivière (Viola), Santiago Canón Valencia, Christine Lee, Jonathan Roozeman (Violoncello), Alexander Edelmann (Kontrabass).

Auch Sir András Schiff, der Grandseigneur am Piano und selbst leidenschaftlicher Kammermusiker, wird von herzlichem Applaus begrüßt mit seinen drei „Juniors“: JiYoung Lim (Violine), Timothy Ridout (Viola) und Erica Piccotti (Violoncello). Schiff schlägt eine Note an und das Streichertrio antwortet ihm heiter gestimmt. Das Allegro ist anfangs leicht und verhalten und steigert sich zu großer Emotionalität. Auch dem Klavierquartett Nr. 3 c-Moll op. 60 von Johannes Brahms, das er 1855 begann und erst 1875 beendete, liegt die unglückliche Liebe des 22-jährigen Komponisten zu Clara Schumann zugrunde, die in der rastlosen Verzweiflung des Scherzo noch hörbar ist, im versöhnlichen und traumwandlerisch schönen Andante aber ein friedliches Ende findet. Der für seinen sanften Anschlag berühmte Pianist András Schiff hat sein Streicher-Trio stets im Blick. Er ist bei ihnen, hat sie im Blick. Missverständnisse scheint es nicht zu geben. Jeder einzelne wirkt beflügelt vom anderen und spielt mit Leidenschaft und Verve diese wunderbare Musik. Die Zuhörer in St. Johann sind sichtlich bewegt von der Leistung der jungen Musiker und von der Bescheidenheit des großen Pianisten, der sich einfügt und dessen glänzendes Spiel die Johanniskirche noch ein wenig mehr erhellt. Das Finale geht als Sturm der Emotion zu Ende und die Musiker werden mit lauten Bravo-Rufen belohnt. Wieder einmal hat die Musik Menschen verbunden und glücklich gemacht – und wieder einmal geht der Ruf der Exzellenz aus Kronberg hinaus in die Welt.

Sir András Schiff am Piano erhellte den Kirchenraum mit Brahms’ Klavierquartett, musikalisch leidenschaftlich begleitet von JiYoung Lim (Violine), Timothy Ridout (Viola) und Erica Piccotti (Violoncello).
Foto: P. Truchsess

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