Weihnachte bei uns dehaam …

„De Winter is komme, ganz leis iwwer Nacht, un hoch uff de Dächer liecht Schnee, des glitzert un funkelt in herrlicher Pracht, gefrorn is im Wäldche de See.“ Mit diesen Zeilen beginnt ein Weihnachtsgedicht von Pfarrer Lothar Zenetti. Pfarrer Zenetti war Mitte der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts mein Religionslehrer. Lange Jahre katholischer Stadtjugendpfarrer in Frankfurt und katholischer Beauftragter beim Hessischen Rundfunk, hat Zenetti die „Weihnachtsgeschicht uff Frankforderisch verzählt“, die unter anderem mit Liesel Christ als Sprecherin auf Tonträger aufgenommen wurde. Zenetti, aus dessen Feder eine Reihe von Kirchenliedern stammt, erhielt 1984 den Preis „Humor in der Kirche“ und 1995 die „Stoltzsche Latern“.

Alle Jahre wieder sind die eingangs zitierten Zeilen Anlass für mich, auf meine Kindheit zurückzublicken. 1941 geboren und nahe des Burghains und der Burg aufgewachsen, setzt mein Erinnern mit der Nachkriegszeit ein. Auf den Dächern lag zu Beginn des Advents häufig der erste Schnee. Das Adventshäuschen, vom Vater gebastelt, wurde aufgehängt. Wie heute die Kinder, habe ich es im Wechsel mit meiner vier Jahre jüngeren Schwester nie versäumt, am frühen Morgen ein Türchen des Kalenders zu öffnen. Allerdings verbargen sich dahinter keine Süßigkeiten, sondern schlichte, einfache Bilder.

Dann kam der mit großer Angst erwartete Nikolausabend. Noch heute höre ich das Kettengeklirr von Knecht Ruprecht oder Hans Muff, der den Nikolaus begleitete. Ich kann es kaum glauben, dass ich selbst nun schon seit mehr als vier Jahrzehnten als heiliger Bischof Nikolaus Kinder in Familien, Kindergärten und Schulen, aber auch ältere Menschen oder behinderte Mitbürger besuche. Das Leuchten in den Augen der Kinder oder die Erinnerung der Älteren an ihre Kindheit fasziniert mich jedes Jahr aufs Neue, zumal die Kinder von einst heute Mütter und Väter sind.

Lothar Zenetti entführt uns dann wieder in die vorweihnachtlichen Tage: „De Opa schmickt haamlich de Tannebaum, die Mutter backt Zimtstern und singt. Da freun sich die Kinner un sehn schon im Traum, was ihne des Christkindche bringt.“ Ja, die Mutter. Ihre Weihnachtsplätzchen sind in der Erinnerung bis heute unerreicht. An den Adventssonntagen saßen wir zum gemeinsamen Singen um den Adventskranz.

Plötzlich sagte die Mutter: „Ich glaube, ein Engel hat eben für euch Plätzchen auf die Fensterbank gelegt.“ Schnell eilten wir zum Fenster, und tatsächlich, da lagen ein paar leckere Kekse. Aber so sehr wir auch unsere kleinen neugierigen Näschen an die hochgefrorenen Fenster mit den wunderschönen Eisblumen drückten, einen Blick auf den Engel konnten wir nicht erhaschen.

Allenfalls sahen wir einen glühend roten Abendhimmel und die Mutter sagte: „Seht ihr, die Engel backen Plätzchen!“ Endlich, endlich war es dann so weit. Das letzte, dass große Türchen unseres Kalenders war geöffnet. Der Heilige Abend stand vor der Tür. Das kleine Gedicht Zenettis lässt uns dann das ganze Geheimnis, den Zauber der Weihnacht erahnen: „Und kommt dann die stille und heiliche Nacht, stehts Krippche am Tisch uffgestellt. De Vatter verzählt, was de Engel gesacht: Geborn is de Heiland der Welt! So gern hat uns Gott, un so sei ihm die Ehr, un Friede soll sei uff de Welt, beschenke mer uns un freue uns sehr, wie’s Gott un uns Mensche gefällt!“

Auch wenn unser Vater zunächst das Weihnachtsevangelium vorlas und gemeinsam Lieder gesungen wurden, der Blick von uns Kindern galt nur dem wunderschön geschmückten Weihnachtsbaum mit seinem warmen, natürlichen Kerzenlicht, den silberfarbenen Kugeln und insbesondere im Geäst dem kleinen lustigen, bunten Vogel mit seinen langen Schwanzfedern. Am Fuße des Baums faszinierte mich die von meinem Vater aus Pappe gebastelte, bunt bemalte und beleuchtete kleine Kapelle mit Glöckchen. Im Mittelpunkt, ich sehe es noch heute vor mir, ein kleines Transparent mit Maria, Josef und dem Kind. Später kam eine Krippe hinzu, die ich noch heute wie einen Schatz bewahre. Und dann, dann wurde endlich das Bettlaken über den Weihnachtsgeschenken weggezogen. Eine kleine Taschenlampe und vom Vater selbst geschreinerte kleine Skier mit Lederriemen als Bindung waren in diesen kärglichen Nachkriegsjahren meine schönsten Geschenke vom Christkind. Natürlich gab es für meine Schwester eine Puppenküche und für mich einen Kaufladen. Alles vom Vater selbst geschreinert und von der Mutter liebevoll hergerichtet. Viel zu schnell waren die für Kinder schönsten Tage im Jahr vorbei. Neujahr wurde gefeiert, die Heiligen Drei Könige lösten die Hirten an der Krippe ab und brachten dem Jesuskind Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Und dann war es auch schon Zeit, mich gespannt auf meinen Geburtstag Mitte Januar zu freuen. Eigentlich findet mein schönstes Weihnachtserlebnis jedes Jahr aufs Neue statt. Die Erinnerung an die Geburt Jesu Christi in der Gestalt eines kleinen hilflosen Kindes im Stall von Bethlehem steht für mich im Mittelpunkt allen Geschehens. Die schlimmen Ereignisse dieser Tage in aller Welt machen deutlich, wie sehr wir uns nach dem von den Engeln auf dem Felde verkündeten Frieden sehnen. Hoffnung gibt mir, dass es in unserer Stadt überall Menschen gibt, die sich engagiert und auf vielfältige Weise für ihre Mitmenschen einsetzen.

Manfred Colloseus

Königsteiner Sternsinger am Dreikönigstag um 1952.

Quelle: Archiv Manfred Colloseus



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