Der vertrauensvolle Untertan ist eine Karikatur, aber ehrenamtliches Engagement das Ur-Element vertrauensvollen Umgangs mit dem Staat

Königstein (hhf) – „Was können wir tun?“ – wenn Moderator Professor Dr. Diether Döring diese Frage stellt, dann befindet sich das Königsteiner Forum traditionell in seiner letzten Phase, nachdem die Stimmung in der Gesellschaft unter dem Aspekt, den das Jahresthema vorgibt, erkundet worden ist.

Die Volksbank und ihre Mitarbeiter jedenfalls haben das ihre beigesteuert, und die Schalterhalle wieder zum Hörsaal umgebaut, sodass sich diesmal Professor Dr. Dr. h. c. mult. Michael Stolleis mit dem Thema „Was schafft eine stabile Beziehung zwischen Bürger und Staat?“ auseinandersetzen konnte.

Bis zur Emeritierung lehrte Stolleis Öffentliches Recht und Neuere Rechtsgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, in der selben Stadt fungierte er von 1992 bis 2009 als Direktor am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte. Die Grundlage dafür bildete ein Studium der Rechtswissenschaft, Germanistik und Kunstgeschichte in Heidelberg gefolgt von der Promotion in München 1967 und der Habilitation 1973.

Stabilität und Angst

„Deutschland ist ein stabiles, wohlhabendes und im Ausland viel beneidetes Land“, unter anderem, weil es seit 1982 nur drei verschiedene Kanzler hatte, so stabil, dass Flüchtlinge besonders gerne hierher kommen wollen. Paradox nur, dass gerade hier die Ängste zunehmen und sich unter anderem in immer gewalttätigerer Sprache manifestieren: „Jeder mischt sich seinen eigenen Angstcocktail“, vielleicht weil Günter Grass recht hatte, als er sinngemäß schrieb: „Angst hatte in Deutschland schon immer guten Zulauf.“

Mittlerweile gibt es reichlich Literatur zum Thema „german Angst“ – vor allem Abstiegsängste sind typisch für ältere und wohlhabende Gesellschaften – und wer die AfD wählt, „gibt der Angst eine Stimme“.

Nicht ganz unschuldig daran ist die mittelmäßige Politik der letzten Jahre, hier muss unbedingt wieder das Vertrauen in demokratische Prozesse gefördert werden und so deren Akzeptanz gefestigt. Der Bürger muss selbst zur politischen Entscheidung kommen, aber auch deren Umsetzung erfahren können. „Alle Gewalt geht vom Volke aus“, heißt es im Grundgesetz, anders ausgedrückt: „Der Staat sind wir alle“, das muss man sich klar machen, verleitet das Abstraktum „Staat“ doch gerne zu der Annahme, es sei ein Gegenüber aus Gebäuden und Beamten. Tatsächlich aber ist der Staat ein so „komplexes Gebilde der Interaktion aller Menschen unter der geltenden Rechtsordnung“, dass sogar Sozialfälle ihn – wenn auch unfreiwillig – mitgestalten oder passive Mitglieder durch Duldung dessen, was die anderen tun.

Freiheitliches Menschenbild

Unter der Voraussetzung eines freiheitlichen Menschenbildes verbindet das Grundgesetz das politische System und die es tragende Gesellschaft zu einer Einheit, fungiert die Verfassung als ein stabiler Rahmen, innerhalb dessen sich sicher leben lässt, solange sich jeder an die Regeln hält. Allein schwammig formulierte Ziele in der Verfassung können das aber schon wieder schwierig machen.

Um so wichtiger, dass das Vertrauen in die Mitmenschen und damit den Staat nicht verloren geht („ohne Vertrauen würde das Leben nicht gelingen, wir würden handlungsunfähig“) und dass die Bürger ihren Staat auch als Entlastung in Sachen Lebensentscheidungen wahrnehmen, selbst, wenn diese Entlastung mit Steuern bezahlt werden muss.

Dennoch ist Kontrolle besser als reines Vertrauen, die Demokratie bedarf regelrecht der kritischen öffentlichen Äußerung, um Fehlleistungen, institutionelles Versagen oder gar Korruption aufzudecken. So weit die Minimalforderung, besser läuft die Identifizierung der Bürger mit dem Staat freilich, wenn dem Einzelnen die Teilhabe und Mitgestaltung an allem, was ihn interessiert, möglich ist: „Was alle angeht, muss von allen abgestimmt werden.“

Entstehung der Parteien

Ein Blick in die Schweiz oder das antike Athen zeigt allerdings, dass auch Volksabstimmungen nicht immer die wahre Lösung sind, insbesondere in heutigen Tagen scheinen sie ein wenig gestrig gegenüber den modernen Medien. Stattdessen entstanden im 19. Jahrhundert die politischen Parteien, um zum Beispiel der arbeitenden Bevölkerung erstmalig die Möglichkeit zu geben, sich in den Staat einzubringen. Erst 1967 wurde dazu ein Parteiengesetz geschaffen, vielleicht zu spät, denn der interne hierarchische Aufbau und wiederholte Skandale um die Finanzierung kosteten nur wenig später viel Vertrauen in diese Variante der Teilhabe. Stattdessen nahmen die 68er die Politik in ihre eigenen Hände, daraus wuchs das rechtlich korrekte Engagement in Bürgerinitiativen, bis derer zu viele wurden, die oft nur noch egoistische Ziele verfolgten.

Das ehrenamtliche Engagement – politisch oder sozial – bleibt aber ein „Urelement vertrauensvollen Umgangs mit dem Staat“, der solche Bürgerbeteiligung allerdings noch immer gerne verkennt – so zum Beispiel 1990, als die Wiedervereinigung bewusst ohne direkte Volksbeteiligung vollzogen wurde. Ein „Misstrauen der Politiker in die Reife des Volkes“ steckt tief in der Bundespolitik – noch weiter vom Bürger entfernt scheint die EU – die Länder machen es schon anders und lassen mehr direkte Demokratie zu, bis hin zu Direktwahlen von Bürgermeistern – nur die Budgethoheit der Parlamente steht bislang nicht zur Debatte.

Identifikationswege

Dagegen wirken aber die Veränderungen in der Form öffentlicher Kommunikation der letzten 20 Jahre. Das Desinteresse an den großen Volksparteien bis hin zum Nichtwählertum ist vergleichbar mit den rückläufigen Zahlen der großen Volkskirchen, hier hat man aber schon eine Erklärung gefunden. Nicht etwa ein Nachlassen der religiösen Grundbedürfnisse ist der Hintergrund, sondern der Traditionsabriss – es fehlt die selbstverständliche Heranführung an diese Einrichtungen, sie müssen erst neu entdeckt werden. Gewerkschaften kennen dasselbe Problem, merkwürdigerweise die Fußballclubs noch nicht.

Ob Werbung, besonders im Internet dagegensteuern kann, ist fraglich, die Mechanismen sind langfristig noch unerforscht. Kurzfristig dagegen steht fest, dass die Macht von sozialen Medien Fake-News zu Wahrheiten erklären kann, die Amtsträger zum Rücktritt zwingen, Beeinflussung von Wahlen durch zehntausende vorformulierte E-Mails ist beinahe alltäglich und die Volksbewegungen, die von dort ausgelöst werden, haben das Potential zur Revolution.

Das Umgehen und Aushöhlen der traditionellen demokratischen Formen – wie die Twitterei eines Präsidenten Trump – aber beschleunigt den Verfall der klassischen Demokratie zugunsten vieler kleiner Privatinteressen. Genau das aber hat schon der Weimarer Republik das Rückgrat gebrochen und heute bietet das Internet noch viel mehr Interessengruppen eine Plattform.

Ein solches Überangebot produziert aber eher Proteste denn Produktives, im Falle Europas lässt sich sogar feststellen, dass hier nicht nur Bürger ihrer Regierung Vorwürfe machen, sondern auch die Regierungen ihren Bürgern. Eine vernünftige Diskussion darüber ist aber nirgends vorgesehen. Gefahr: „Eine vom Staat in Krisensituationen alleingelassene Gesellschaft verrät ihn schnell.“

Vertrauensförderung

Vor allem die Jugend muss frühestmöglich lernen, in dieser Über-Fülle von Nachrichten kritisch Tatsachen von haltlosen Behauptungen zu unterscheiden. Das gilt natürlich auch für die älteren Semester, genauso der Erwerb von Grundinformationen über die Funktionsweise unseres politischen Systems sowie der zugehörigen Rechtslage, hier lassen sich große Wissenslücken bis in Reihen der Kommunalpolitiker (mindestens!) feststellen. Gerade das örtliche Engagement für die Gesellschaft und ihre Ordnung muss sich lohnen, Anerkennung motiviert zum nächsten Ehrenamt. Umgekehrt sollten Bürgerfragestunden in Parlamenten und ähnlichen Institutionen fest verankert sein, die gewählten Volksvertreter dürfen öfter als nur vor der Wahl Rechenschaft ablegen. Hand in Hand damit empfiehlt der Staatsrechtler, die Parteienfinanzierung aus Steuermitteln zu begrenzen, damit die Politiker sich im Wettstreit um private Spenden mehr den Bürgern zuwenden müssen. Ist das auf nationaler Ebene erst einmal gelungen, steigt die Herausforderung noch einmal an, denn dann gilt es, die Beziehung der Bürger auch zu Europa zu verbessern – und das geht kaum über Nationalstaaten und deren egoistische Interessen, sondern eher mit transparenten Entscheidungen und einheitliche europaweite Wahllisten. Über die Nationalstaaten nämlich „sind wir in Europa faktisch weit hinaus, nur in den Köpfen noch nicht.“-

Professor Dr. Dr. h. c. mult. Michael Stolleis legte der Ordnung halber seinem Vortrag im Königsteiner Forum erst einmal zu Grunde, dass man zu einem Abstraktum wie dem Staat überhaupt eine Beziehung haben kann.
Foto: Friedel



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