Tucholsky aktueller denn je: Mit der Schreibmaschine gegen Katastrophen

Sie lieben, was sie tun: v.l.n.r. Gabriele Müller (Klavier), Martin und Antje Schneider sprechen, singen und spielen Tucholsky in der Stadtbücherei. Foto: Sura

Königstein (aks) – Wat nu? Das ist die immergleiche Frage, wenn wir mal wieder ratlos in die Zukunft schauen. Martin Schneider, ehemaliger Opernregisseur, und seine Frau Antje kamen am Sonntagnachmittag in die Stadtbibliothek, um ihr Publikum mit Tucholskys Antworten zu unterhalten und zu erhellen. Sie lasen mit Verve die Texte des deutschen Dichters in verteilten Rollen. Seine oft sarkastische Sprache brachten sie in teilweise bestem Berlinerisch auf den Punkt, eine gewisse Verbitterung schwang immer mit.

Die beiden sind bestens aufeinander eingespielt und es ist eine Lust ihnen zuzuhören, am Klavier begleitet von Gabriele Müller, die die Lesung musikalisch unterlegte. Ein Lob gilt der Auswahl der Texte, die ausgesprochen gut auch zu unserer Zeit passen. Tucholsky hatte als Gesellschaftskritiker in den Dreißigerjahren keine bequemen Antworten parat. Als Pazifist und Antimilitarist warnte er schon früh vor der Bedrohung durch den Nationalsozialismus. Im „Gruß nach vorn“ von 1927 fragt er rückblickend: „Was ist geblieben?“ Die Dummheit der Menschen macht auch die Jungen keine Spur besser – „aber gar keine“. Er führt weiter aus: „Du lächelst mich aus, meine Art ist altmodisch – Du lächelst und weißt alles besser.“ Arroganz und Verachtung für vergangene Zeiten sind bezeichnend für den „neuen“ Menschen. Unverständnis entzweit am Ende die Generationen. Ein Denkfehler, denn viel Gutes ist so verloren gegangen. „Vieles ist noch nicht, heute ist vieles nicht mehr.“

Der Erste Weltkrieg hat ihn geprägt, so kehren Themen wie Krieg als „privilegierter Mord“, Patriotismus „für die gerechte Sache“, der letzte Kaiser im „leeren Schloss mit der schlohweißen Frau“, die Untertanen als „verschämte Republikaner“ immer wieder zurück. Seinen Mitbürgern traut er nicht allzu viele Reformen zu, zu bequem und angepasst sind sie – und zu viele Judenhasser unter ihnen – „aber tüchtig, nicht wahr?“. Tucholsky ist immer auf der Hut, mag sich nicht ausruhen auf dem Vulkan. Er wittert die Gefahr aufkommender sozialer Ungerechtigkeit und Kriege. Die Reichen genießen in den Zwanzigerjahren ihren Reichtum, ihre Automobile, „kalten Sekt, heiße Suppe und warmen Rotwein und Frauen aller Wärmegrade“. Ihr Ideal von der „weißen Villa am Meer mit Blick auf die Zugspitze, mit stummen Dienern und einer braven Frau (und einer fürs Wochenende als Reserve) mit famosen Kindern“ – und „noch ner Million!“ kommt uns doch irgendwie bekannt vor, oder? Und doch: „Es stimmt etwas nicht, es fehlt etwas“. Bei dem ganzen „Juchhei“ ist die Lebensfreude nicht echt, sie ist „nachgemacht“.

Den Neureichen fehlen die alten Ideale, kaufen kann man die leider nicht. Man verachtet sich. Und über das Leid der anderen stolpert man hinweg. „Das Weinen klingt unter der Erde, aber sie tanzen“. Viel mehr Verachtung lässt sich in diese kurze Geschichte über die Lebenssphäre der Emporkömmlinge nicht packen – und sie klingt verdammt aktuell. Man trifft sich in Tanzcafés voller praller Lebenslust in Lackschuhen, Biber und Nerz. „Aujuste tanzt“, in breitem Berlinerisch macht Schneider das Milieu der „Nachtlokäler“, der kleinen Nutten und der Möchtegern-Kavaliere lebendig. Prachtbauten der Nachkriegszeit sind die Ortskrankenkassen mit ihren „Akten, Listen und Papierinfanteristen“. Geschafft hat es, wer „dick und groß hockt“ als Abteilungsleiter mit Vorzimmer und Sekretariat – in „geschäftiger Faulheit“. Die Boshaftigkeit dieses typischen Tucholsky-Weltbildes wird schrill untermalt mit der Musik von „Cabaret“: „Money makes the world go around“. Das ist sozusagen die Moral von der Geschichte.

Gabriele Müller am Klavier verleiht der Musik die Leichtigkeit und den Schwung der Zwanzigerjahre. Auch als Begleiterin der sehr temperamentvollen Gesangseinlagen von Martin Schneider ist sie eine einfühlsame Begleiterin. Ihr Repertoire reicht von Friedrich Holländer, Eisler, Eigenkompositionen von Tucholsky, Foxtrott und Charleston und dem schönen Volkslied „Üb immer treu und Redlichkeit“, das Mozarts Zauberflöte entlehnt ist.

Auch mit den „modernen“ Eltern seiner Zeit rechnet Tucholsky ab. „Wie werden die nächsten Kinder?“, fragt er sich 1927. Werden sie freier werden oder sich nach wie vor mit „überflüssigem Zeug“ wie Fibelstrafen und Strafgerichten und den Befehlen der Eltern aufhalten? Es gibt zwei Sorten Eltern: die, die „bisschen viel geschehen lassen...schließlich ist Bequemlichkeit modern“ und die altmodischen, die herumkommandieren: „Lass das! Komm mal her!“ Ein Fortschritt wäre schon, wenn es den Kindern mal besser ginge als ihren geplagten Eltern, ohne Zwangsvorstellungen und ohne Stoßgebet: „Unsere tägliche Selbsttäuschung gib uns heute!“ Den Kindern ruft er zu: „Jetzt seid Ihr dran!“

Dass das Leben auch Enttäuschungen mit sich bringt, davor warnt Tucholsky nicht nur die Jugend eindringlich: „Man möchte immer eine große Lange und dann bekommt man eine kleine Dicke! C’est la vie, cher ami!“

Das Schlusswort stammt von Erich Kästner, der Tucholsky nur einmal begegnete und mehrere Tage im gleichen Hotel am Lago Maggiore mit ihm verbrachte: „Tucho schuftete für fünf (gemeint sind seine Pseudonyme Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobe) mit Florettstichen, Säbelhieben, Frusthieben, er trat gegen das Schienbein... Er wollte mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten.“ Das ist dem Freigeist nicht gelungen, umso mehr verdienen Tucholskys Texte heute unsere Beachtung – seine Worte sollten wir zu Herzen nehmen: Katastrophen lauern überall, wenn wir nicht aufmerksam und kritisch sind.

Das Publikum dankte mit begeistertem Applaus den Künstlern, die offensichtlich das lieben, was sie tun. Neu ist die Gründung eines Fördervereins mit dem Namen „Leselust“, so informierte Sabine Ruoff, der die Stadtbücherei als Treffpunkt und Ort für kulturelle Veranstaltungen etablieren will. So viel sei bereits verraten: Eine Mitgliedschaft ist für 20 Euro im Jahr zu haben.



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