Der Pianist mit den flinken Händen – Hardy Rittner spielt Chopin im HdB

Königstein – Manfred Colloseus begrüßte an diesem sonnigen Oktobersonntag die Ehrengäste im Haus der Begegnung: Ehrenbürgerin Annemarie Ramm, Bürgermeister Leonhard Helm und Stadtverordnetenvorsteher Robert Rohr mit Gattin, die alle schon das Abo des Fördervereins des Hauses der Begegnung für die neue Saison in den Händen hielten. Auch die Eltern von Hardy Rittner waren unter den Zuschauern. Das Ehepaar ist seit Jahren sehr mit der Städtepartnerschaft Le Cannet verbunden. Von dort übermittelte Colloseus viele gute Wünsche und ließ ausrichten, wie unvergesslich Hardy Rittners Auftritt dort 2008 war. Man lauscht immer noch gern den damals erstandenen CDs.

Colloseus erinnerte sich an das Denkmal Frédéric Chopins im Lazienki Park in Warschau, wo er 1810 geboren wurde. 1849 starb er in Paris und wurde auch dort begraben – sein Herz allerdings hat man auf seinen Wunsch in Warschau in eine Säule in der Herz-Jesu Kirche eingemauert.

Dann betritt Hardy Rittner die Bühne und mit dem ersten der vier Impromptus As-Dur op. 29 zählen nur noch die herrlichen Klänge, die er dem Flügel entlockt. Impromptus greifen den augenblicklichen Gemütszustand auf. Sie sind hoch emotional, ausladend und träumerisch, vergleichbar mit Improvisationen, in denen Chopin jede seiner spontanen Ideen und Inspirationen aufnehmen konnte, ohne sich an allzu starre Vorgaben zu halten. Die Impromptus – alle mit dem Schwierigkeitsgrad schwer – op. 29., op. 36 und op. 51 spielt Hardy Rittner in größter Konzentration und tief bewegt. Die Tonarten gehen von leicht, verspielt bis verhalten und marschartig mit energischen Schlussakkorden, dann wieder leicht wie ein Lied, jede Note tief empfunden und so erreicht die Musik im Nu die Seelen aller Anwesenden.

Die Fantasie Impromptu ist die bekannteste und wurde erst nach Chopins Tod 1855 veröffentlicht – die Komposition ein Geschenk an die Baronesse d’Este 1834. Die Musik ist temporeich und von dichter Struktur, emotional und stilistisch gehaltvoll. Die anfänglichen Klangkaskaden leiten über zu einem lyrischen und romantischen zweiten Teil.

Die Ähnlichkeit zur Mondschein-Sonate von Beethoven, beschreibt Ernst Oster so: „Das Fantasie-Impromptu ist vielleicht der einzige Fall, in dem ein genialer Komponist uns – wenn auch nur mittels eines eigenen Werkes – offenlegt, was er tatsächlich im Werk eines anderen Genies hört.“

Expressiv sind auch die Mazurken op. 6,1 und 6,2, die erste verhaltener, störrischer als die zweite, die in cis-Moll verführerisch, leicht und beschwingt daher kommt. Das begeisterte Klatschen der Zuschauer holt Rittner für Sekunden aus seiner Musik-Trance, so tief durchdringt er die Musik Chopins.

Die Nocturnes sind eine klangliche Weiterentwicklung der Impromptus als Salonmusik. Eher schwermütig hat ihn die Gesanglichkeit – das „cantabile“ wie im Belcanto beschäftigt.

Nocturnes sind bei Chopin nicht in direkte Beziehung zur Natur zu setzen, vielmehr geht es um die Gefühle, die nachts entstehen können. Die Nocturnes cis-Moll op. Posth. und die Nocturne g-Moll schweben mit der untergehenden Sonne durch den Saal, sie sind einfach wunderschön. Da klingt die Musik beruhigend wie ein Wiegen-Gesang, nie banal oder leichtfertig, sondern ernsthaft und erhaben. Vor allem die berühmte Nocturne op. 27,2, die Rittner im ersten Teil „unterschlagen“ hat, wie er sich ausdrückt, spielt er dann nach der Pause in bester Laune. Umso zauberhafter kommt Chopins bekannte Weise an – so schön, dass einem die Tränen kommen. Rittner spielt mit Bedacht, ohne Attitüden und große Gesten, eher verhalten und leise. Es trillert und trällert, oft ganz ganz leise, dass es eine Freude ist und unter die Haut geht.

„Immer rückt er (Chopin) in den Nocturnes einen Menschen oder dessen Gestimmtheit in den Vordergrund; die Nacht der Natur jedoch wird zum Hintergrund, dient zum Einfärben und Abschatten. So wirken diese Tondichtungen auf den Deutschen tatsächlich als Nocturnes, nicht aber als Nachtstücke.“ So beschreibt es Otto Schumann.

Die Ballade Nr. 1 gehört zum Schönsten, was ein Pianist zu Gehör bringen kann und auch dieses Meisterwerk Chopins meistert Rittner präzise, aber temperamentvoll, da donnern die Töne majestätisch bis prunkvoll orgiastisch durch den Saal, vom pianissimo steigert sich die Ballade zum presto con fuoco. Das reine Zuhören lässt den Puls anschwellen. Die Ballade wurde 1835 in Paris fertig gestellt und wird oft als Nationalmusik gesehen. Berühmt ist diese Komposition auch durch Polanskis Film „Der Pianist“ nach einer wahren Geschichte, in dem Wladyslaw Szpilman einem deutschen Offizier in einer bewegenden Szene die Ballade im Warschauer Ghetto vorführt – und überlebt.

Die 24 Préludes, die in den Jahren 1838 und 1839 auf Mallorca entstanden, sind das Gipfelwerk Chopins Schaffens. Mit ihnen knüpfte der Komponist an das wohltemperierte Klavier des von ihm verehrten Johann Sebastian Bach an, der in den beiden Teilen 48 Präludien und Fugen systematisch durch alle Dur- und Molltonarten geführt hatte. Die 24 Préludes spielt Rittner in 20 Minuten hintereinander weg, die kürzeste dauert nur 20 Sekunden. Die Tempi sind lento bis agitato, allegro und sostenuto, immer abwechselnd in Dur und Moll. Die Prélude 15, auch Regentropfen Prélude genannt, von der Arie „O Haupt voll Blut und Wunden“ aus der Matthäus-Passion von Bach inspiriert, ist ein Genuss.

Bei der Prélude b-Moll con fuoco bekommt Rittner, der atemberaubend schnell und akzentuiert spielt spontanen Applaus. Den Schlusspunkt bildet die Prélude d-Moll allegro appassionato, die den Pianisten mit Kopf, Herz und Seele – und in aller seiner Fingerfertigkeit – fordert. Sie ist das Finale und der Höhepunkt – Rittner spielt con molto emozione. Das Publikum erklatscht sich begeistert zwei Zugaben von Scriabin, die Rittner witzelnd ankündigt: „Man hört, dass viel los ist“ und so haut er noch mal richtig in die Tasten – so voller Spielfreude ist er. Wer sich einen beschaulichen netten Chopin-Abend versprochen hatte, wurde von den HdB-Sitzen gerissen – und das war gut so!

Hardy Rittner meistert Chopin – con molto emozione
Foto: Sura



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