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Königstein (hhf) – „Ich habe vollkommen überzogen, aber sie haben so wenig protestiert ...“ Nun ja, bei einem Gewalt- und Konfliktforscher fällt das wohl unter angewandtes Fachwissen und dem Publikum war es recht. Und das, obwohl der Referent zunächst mauerte: Als Konflikt- und Gewaltforscher sei er ein „Spaßverderber“, der immer dann eingeladen werde, wenn es um das Böse gehe.

Letzterem konnte Professor Dr. Andreas Zick allerdings durchaus Paroli bieten, was sicherlich auch mit der Mischung aus Psychologie und evangelischer Theologie in Zusammenhang steht, mit der er sein Studium einst an der Ruhruniversität Bochum begonnen hatte. 1996 folgte die Promotion an der Philipps-Universität Marburg, 2008 dann die Habilitation an der Martin-Luther-Universität von Halle-Wittenberg, Thema: „Psychologie der Akkulturation“.

Seit dem gleichen Jahr ist Dr. Zick als Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld tätig und leitet dort als Direktor das „Zentrum für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG)“, das sich mit der fachübergreifenden Analyse von Gewalt und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit beschäftigt. Dazu gehören vor allem reichlich empirische Forschungen, deren Ergebnisse der Referent im Gepäck hatte: „Bielefeld arbeitet möglichst öffentlich.“

Das Gehirn schlägt Schnippchen

Am Beispiel eines weißen Schachbrettfeldes, das im Spiel zwischen Licht und Schatten die gleiche Graustufe wie ein schwarzes erreichte („ein klassisches Wahrnehmungsexperiment“) führte der Psychologe dem Publikum zunächst vor Augen, wie schnell der Mensch sich täuschen lässt. „Stereotype Wahrnehmungsverzerrung entsteht so ähnlich“, also auch die Selbsteinschätzung und schließlich die politische Meinung der Menschen, was besonders im Internet immer wieder zu erbittertem Streit führt. Vermutlich wäre hier viel Frieden zu schaffen, wenn den Beteiligten klar wäre, dass sich zum Beispiel 80 Prozent wissenschaftlich befragter Personen zwar als offen und tolerant einschätzen, über 50 Prozent aber gleichzeitig orientierungslos fühlen und 69 Prozent der Demokratie misstrauen.

Genau derartige Unsicherheiten machen sich vor allem rechtspopulistische Gruppierungen zunutze, und zwar am erfolgreichsten dort, wo öffentlicher Widerspruch fehlt, nämlich im Internet.

Ein bekanntes Beispiel dafür ist „Pegida“, die Organisation hatte zunächst im Internet reichlich „Follower“, bevor sie den Gang auf die Straße zu „Kundgebungen“ wagte. Das führt in der heutigen Gesellschaft schließlich zu einem großen Problem: „Wo Extremismus und Popularismus stark sind, ist Demokratie am stärksten gefährdet“, warnte Konfliktforscher Zick und legte dann den Fokus auf den Entstehungsmechanismus.

Menschen teilen gerne andere Menschen in Gruppen ein, bedenklich wird es aber, wenn diese als minder- oder höherwertig klassifiziert werden. Daraus entsteht schließlich, zum Beispiel bei den „neurechten Einstellungen“, eine „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Ohne zu realisieren, dass ein jeder auch einer solchen Gruppe angehören könnte, gegen die er Vorurteile hegt, wenden sich rechte Organisationen oft zum Beispiel auch gegen Obdachlose, Behinderte oder Arbeitslose. Bekannt ist auch die „Mischung“ des Ku-Klux-Klan in den USA, die sich gleichzeitig gegen Schwarze, Homosexualität und Gleichstellung der Frauen wendete.

Vorurteile hängen zusammen

Die psychologische Forschung zeigt: Wer ein Vorurteil akzeptiert, der vertritt höchstwahrscheinlich auch noch andere, eine Interkorrelation, die medizinisch als „Syndrom“ eingeordnet wird. Der Kern, der diese Vorurteile zusammenhält, ist dabei die „Ideologie von Ungleichwertigkeit“. Sie kann schon im Fußballstadion Früchte tragen, wirkt gegen Flüchtlinge oder fremde Religionen aber längst weltweit. „Vorurteile reduzieren“ wäre hiergegen die richtige Medizin, was aber nur bedingt gelingt. Tatsächlich geraten aus Sicht der Trendforscher einzelne Vorurteile in Vergessenheit, meist entstehen aber strikte Gegenmeinungen, wie die Willkommenskultur als Reaktion auf Fremdenhass. Eine solche Polarisierung ist zwar per se nicht demokratiegefährdend, es tut sich aber zunehmend eine Schere zwischen „ja“ und „nein“ auf, während ein reflektierter Kompromiss im Mittelfeld immer seltener wird.

Wo aber Polarisierung herrscht, haben es mäßigende Kräfte schwer, wenn zum Beispiel die Kanzlerin verspricht „wir schaffen das“, nutzt es nichts, das anzunehmen oder abzulehnen, vielmehr will eine Meinung dazu anhand von Fakten diskutiert sein. Während aber Journalisten, die dies versuchen, schnell als „Lügenpresse“ (wieder ohne Begründung) abgestempelt werden, bedienen sich die Extremisten unter weitgehendem Ausschluss anderer Ansichten auf ihren Homepages und Facebook-Seiten selbst einer ausgiebigen Zensur: „(Rechts-)Populismus grenzt sich gegen andere Gruppen und deren Argumente ab!“

Mit einem gut ausgefeilten Zusammenspiel von Organisation, Überzeugungen und Kommunikation haben Extremisten zwar schon immer gearbeitet, in der digitalen Welt nimmt dieser Erfolg aber nun Ausmaße an, die Wissenschaftler für bedenklich halten. Insbesondere die Kultivierung von Gewaltphantasien und Wut lassen fragen, ob es denn kein staatliches Gewaltmonopol im Internet gibt?

Natürlich sind Gefühle nicht messbar, „aber sie gehen deutlich mit dem Anstieg von Gewalt zusammen“, es besteht die Gefahr, dass Gewalt „zu einem Moment der Regulation in der Demokratie“ wird. Bedenklich ist dabei vor allem, dass die Verkünder von Wut, Hass, Nationalismus oder tiefem Misstrauen gegen die Demokratie zunehmend Zustimmungen im Internet erhalten oder auch die Vertreter eines „marktförmigen Extremismus“, die vorrechnen: „Menschen, die weniger nützlich sind, kann sich die Gesellschaft nicht leisten.“

Immer wieder fangen die Ideologen Menschen, bei denen sie zuvor ein „diffuses Gefühl der Ohnmacht“ oder gar Ängste erzeugt haben mit der Erklärung von einfachen Feindbildern ein und fordern dann auf, dagegen klare Maßnahmen zu ergreifen. Wenn solche Extremisten schließlich Aussagen wie „Wir sagen die Wahrheit“ oder „Wir sind das Volk“ benutzen, ist das Ende nah, wie in den USA: „Sie brauchen nicht so viel, um eine Demokratie ins Unglück zu stürzen“. Um sich dagegen zu wehren, bleibt der Gesellschaft nur die konsequente Verfolgung ihrer ursprünglichen Werte, denn die „Demokratie lebt davon, dass ein Teil der Kontrolle abgegeben wird.“

Ähnlich dem Vorleben dieser Werte in der „Unternehmenskultur“ müssen die Mitglieder der Gesellschaft unbeirrt „die Kriterien einer guten Zivilgesellschaft einhalten“ – und gleichzeitig versuchen, die neuen Mechanismen der digitalen Kommunikation zu verstehen.

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