Charlotte Link liest aus ihrem Bestseller „Die Entscheidung“

Marie-Charlotte Siepenkort (Leselust e.V.) bedankt sich bei Charlotte Link mit einem wunderschönen Blumenstrauß für ihre spannende Lesung aus ihrem aktuellen Kriminalroman „Die Entscheidung“.

Foto: Scholl

Königstein (gs) – Eine wohlige Spannung lag über dem großen Saal des Hauses der Begegnung in Königstein. Im Foyer – bereits zur Begrüßung der Gäste in dramaturgisch fein abgestimmtes Rot getaucht – hatten sich viele, größtenteils weibliche, Krimifans mit einem Glas Sekt versorgt und warteten gespannt auf das Erscheinen der wohl erfolgreichsten deutschen Autorin der Gegenwart und somit des Literaturstars dieses Abends. Keine geringere als Charlotte Link, Deutschlands meistgelesene und bekannteste Krimiautorin, gab sich persönlich die Ehre und las auf Einladung des Vereins „Leselust e.V.“ aus ihrem aktuellen Roman „Die Entscheidung“. Voller Spannung erwarteten ihre Gäste die Auswahl der Textpassagen, die Charlotte Link vorstellen würde, um ihrem Publikum einen Einblick in das Thema des Romans und die Gefühlswelt ihrer Protagonisten zu geben. Als eine der großen deutschen Geschichtenerzählerinnen der Gegenwart (26 Romane, davon 16 Krimis und 26 Millionen verkaufte Bücher) gilt der psychologische Kriminalroman als ihr Markenzeichen, geschrieben in wunderbarer englischer Erzähltradition, mit einem tiefen Blick in die Seelenwelt ihrer Protagonisten und verflochten mit einem Blick auf den Moment, der manchmal, wie im Falle ihres Romans „Die Entscheidung“, durchaus sozialkritisch sein darf.

In ihrem aktuellen Kriminalroman hat sich Charlotte Link die Themen Armut, Migration, Ausbeutung und Menschenhandel zum Grundthema erkoren und daraus eine Geschichte „gestrickt“, die hoch spannend, temporeich und einfühlsam den Leser fesselt und ihn an einer Reise durch halb Frankreich teilhaben lässt. Eine Erzählung, die immer wieder überraschende Wendungen vollzieht und die den Leser wegen des traurigen Grundthemas auch ein wenig nachdenklich stimmt.

Begleitet wurde Charlotte Link an diesem Abend von Marie-Charlotte Siepenkort, die mit ihr gemeinsam Platz in den gemütlichen Lesesesseln auf der Bühne des HdB nahm und mit freundlichem Smalltalk dafür Sorge trug, dass das belesene Publikum auch Wissenswertes über die Person der Autorin, ihr Leben, ihre Inspirationen und ihre Hobbys erfuhr. Somit erschloss sich dem Gast, dass jedem ihrer Romane eine umfangreiche persönliche Recherche vorausgeht. Charlotte Link besucht die Orte ihrer Handlungen persönlich, sodass interessierte Fans ihre Bücher durchaus als „Reiseführer“ nutzen können und dies wohl gelegentlich auch tatsächlich tun. Befragt nach den Motiven für einen Kriminalroman zum Thema „Menschenhandel“, der zudem auch noch in Frankreich spielt (und nicht, wie die meisten ihrer bisherigen Bücher in England) nimmt Link Bezug auf den Rotlichtskandal, der vor einigen Jahren in Frankreich aufgedeckt wurde und bei dem sich zeigte, dass bei dieser Thematik Verstrickungen bis in die höchsten politischen Ebenen vorhanden waren. Dieser Skandal wurde zum Ideengeber für ihren aktuellen Roman. Da ihre Kriminalgeschichten in England oder Frankreich beheimatet sind, liegt nahe, dass Charlotte Link zu diesen beiden Ländern eine besondere Beziehung hat, was sie auch gerne bestätigte. So spielten ihre ersten Kriminalromane in England, da sie sich bereits als Jugendliche viel dort aufgehalten hat. Frankreich ist als Handlungsort der Geschichten relativ neu. Dort hat Charlotte Link eine neue Heimat gefunden, besitzt ein Ferienhaus und genießt das südländische Flair. Allerdings bleibt ihr neben dem Schreiben bedauerlicherweise nicht viel Zeit, um sich mit Hobbys zu beschäftigen. Ihre große Leidenschaft gilt dem Tierschutz, wo sie sich für alte und kranke Hunde einsetzt, denen sie teilweise ein neues Zuhause gibt und die ihr dieses mit großer Treue danken. Marie-Charlotte Siepenkort führte außerordentlich charmant durch diesen interessanten Abend und ließ die Lesung dadurch zu einem kurzweiligen Literaturausflug für die Gäste werden. Und was haben wir über den Inhalt des Romans erfahren? Die von Charlotte Link ausgewählten und von ihr persönlich vorgelesenen Textauszüge ermöglichten es dem Publikum, wie durch kleine Fenster in eine komplexe Geschichte zu sehen, wobei diese Momentaufnahmen durchaus den Ablauf der Geschichte widerspiegelten. Mit der intensiven Schilderung der Flucht ihrer Hauptfigur Celina, einer jungen Frau aus Bulgarien vor Menschenhändlern begann Charlotte Link ihre Lesung. Ihre Einblicke in die Seelenverfassung und die Ängste dieser jungen Frau ergriffen die Zuhörer umgehend. Angst, Panik und Trostlosigkeit hat Link hervorragend psychologisch verarbeitet, ihre Schilderung der hastigen Flucht ging unter die Haut und hinterließ sichtlich betroffene Zuhörer. Nachfolgend erfuhr der Zuhörer von den Ängsten und Nöten einer bulgarischen Familie, die ihre Tochter, ohne es zu wissen, in die Hände von Menschenhändlern gegeben hat, um ihr vermeintlich ein besseres Leben zu ermöglichen. Die Unfassbarkeit dieses Umstands schildert Link mittels eines Gespräches des Vaters mit der Polizei, die jedoch nicht helfen kann. Die Verzweiflung und die Selbstvorwürfe des Vaters treffen hier auf das Mitgefühl und das vollkommene Unverständnis der Leser, die sich die Frage stellen: „Wie können Eltern so etwas tun?“ Beweggründe gibt es viele – zum Beispiel Armut und Perspektivlosigkeit ganzer Generationen in ärmeren europäischen Staaten. Hier verarbeitet Charlotte Link in ihrer Geschichte durchaus eine Sozialkritik, die sehr gut eingebunden ist, jedoch nicht im Vordergrund steht. Außerdem erfährt der Gast von der erzwungenen Flucht einer weiteren, eigentlich unbeteiligten jungen Frau, die in die Geschichte „hineinrutscht“ und Hals über Kopf ihr bisheriges, bürgerliches Leben aufgeben muss, an die falschen Menschen gerät und der Überzeugung ist, einen Mord begangen zu haben – an den Ort des vermeintlichen Mordes zurückkehren muss, um festzustellen, dass das Opfer zwar tot ist, augenscheinlich aber ein anderer der Mörder war.

Der junge Mann, der dieser jungen Frau Hilfe anbietet, muss dazu eine schicksalhafte Entscheidung treffen – diese Entscheidung ist es, die dem Kriminalroman seinen Titel gibt.

Mehr hat Charlotte Link nicht verraten, natürlich auch nicht das Ende – wäre ja auch langweilig gewesen und hätte die Lesefreude derjenigen geschmälert, die am Tisch der Buchhandlung Millennium ein druckfrisches Exemplar erstanden hatten. Ob Paperback oder Hardcover, zum Ende der Lesung signierte Charlotte Link die neu erworbenen Bücher auf Wunsch persönlich. Angesichts der langen Menschenschlange dürfte es ein langer Abend geworden sein.



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