„Aufruf an die Bürger Königsteins betreffend die Bürgermeisterwahl“

Die Wahl des Stadtoberhauptes bewegte schon früher die Gemüter, so zum Beispiel in diesem Flugblatt von 1926, das Lokalhistoriker Rudolf Krönke aus seinem Archiv herausgesucht hat. Aus Platzgründen haben wir es etwas bearbeitet und beschnitten, einen von uns kreierten Titel braucht dieser Beitrag aber nicht mehr – nur für die Online-Version, die ihn sonst nicht erkennt.

Repro: Friedel

Königstein (hhf) – Ein Mann mit religiös-sittlichem Charakter... an dieser Stelle wird es höchste Zeit, den Text zu beschneiden, denn selbstverständlich bemüht sich die KöWo um absolute Neutralität in Sachen Bürgermeisterwahl. Neutralität war 1926 vermutlich auch der Anlass, obiges Flugblatt herauszubringen, denn es beschäftigt sich ausschließlich mit den Eigenschaften der Kandidaten und ermahnt den mündigen Bürger, nicht voreilig seine Stimme abzugeben, sondern die ihm gefälligen Personen vorher genau unter die Lupe zu nehmen, ob diese denn auch wirklich das Gemeinwohl im Auge haben.

Sicherlich hat Rudolf Krönke bei seinem Fund auch einen Clown gefrühstückt, denn wenn etwas in seiner Seele ähnlich großen Stellenwert wie die Heimatgeschichte besitzt, dann ist es die Narretei, und die hat ja – ein Schelm, wer Böses dabei denkt – in etwa parallel zum Wahlkampf ihren Endspurt diesmal. Allerdings müssen sich die Büttenredner nachher nicht noch in einer Stichwahl dem Publikumsgeschmack stellen, schon gar nicht steht ihre berufliche Zukunft zur Debatte, dafür sind die Lacher im Wahlkampf seltener, da sollten inhaltliche Verwechslungen eigentlich ausgeschlossen sein. Dem geneigten Publikum hingegen, das auf Kappensitzungen ebenso wie im Wahllokal mit klarem Trend immer seltener zu sehen ist, darf aber mit Sicherheit ein wenig ins Gewissen geredet werden, auch wenn Königstein mit seinen aktuellen Wahlmöglichkeiten sicherlich ausschließt, dass – supergaumäßig – ein AfD-gesteuerter Donald Erdogan ins Rathaus einzieht (und das Landratsamt droht auch kein nordkoreanisches RAF-Mitglied mit religiösen Absolutheitsansprüchen zu besetzen). Da man aber aus der Geschichte bekanntlich gut lernen kann – erst recht, wenn es die eigene ist – wollen wir Wählern wie zu Wählenden mit einem Augenzwinkern im Folgenden noch einige Ratschläge aus dem Jahr 1926 zuteil werden lassen. Und das nicht ohne einen bodenständigen Hintergrund, denn damals meldeten sich auf die Stellenausschreibung sagenhafte 250 Bewerber, 28 weitere wurden später noch „nachnominiert“ – das Rennen machte schließlich ein gewisser Herr Böhm. Leider war zum Redaktionsschluss noch nicht recht klar, nach welchem Modus die Bewerber seinerzeit ausgewählt worden sind, sicherlich handelte es sich in Zeiten der wieder blühenden Kur und zum Abzug der Besatzungstruppen um ein relativ angenehmes Amt. Die großen Wirtschaftsflauten spülten allerdings auch reichlich Abenteurer auf den Stellenmarkt.

Nochmals: An dieser Stelle soll keinem der aktuellen Kandidat/inn/en auf den Schlips getreten werden, doch da fängt der Spagat zum historischen Zitat schon an, denn alleine die Idee einer weiblichen Besetzung des Bürgermeisteramts lag vor 90 Jahren noch in weiter Ferne. Die Forderung nach religiöser Standhaftigkeit kann in Zeiten der multikulturellen Gesellschaft dagegen heute vielleicht einfach etwas weltoffener gesehen werden, denn deren Begründung entbehrt nicht einer gewissen Wahrhaftigkeit: Je weniger Verehrung ein Bewerber für den Gott besitzt, den er eigentlich anbeten sollte, „um so mehr betreibt er den Cultus von Nebengöttern, unter denen der Mammon nicht der Geringste ist“. Frei nach Luther befürchten die leider ungenannten, aber sicherlich honorigen Verfasser des Flugblattes, vermutlich der damalige Magistrat, dass der künftige Bürgermeister „von Ehrgeiz und Habgier geleitet“ werden könnte.

Gar nicht so unmodern mutet die Idee an, mittels einer Umfrage „Ansichten über die für den Bürgermeisterdienst erforderlichen Eigenschaften“ zu sammeln, das Ergebnis klingt dann aber doch etwas gestrig (oder dürfte heute so nicht mehr ausgedrückt werden?) Der „Kandidat muß ein Mann von imponierendem Aeußerem sein, der die nöthige formelle Bildung besitzt, um eine Gemeinde würdig repräsentiren zu können; er muß bei feierlichen Gelegenheiten durch Beredtsamkeit glänzen und die Kunst verstehen, nach Oben und Unten zu gefallen. Er muß strammer Polizeimann, daneben gewissenhafter und redlicher Verwalter der Gemeindegüter, Vater der ihm unterstellten Familien sein.“

Nun ja, eine Auszählung der Leserbriefe aus den letzten Jahrzehnten, die zum Beispiel mangelnde Ordnungsgewalt und Familienförderung – gerne im Bereich Kinderbetreuung – anprangern, oder den Einfluss bei vorgesetzten Stellen bemängeln und damit gleichzeitig als Leserbriefe ein verschlossenes Ohr der Ratsherren und –frauen für den kleinen Bürger implizieren, würde vermutlich ergeben, dass derartige Forderungen zeitlos sind.

Interessant auch die Einschätzung der Bewerber von 1926: „Allein, wir wissen nur zu gut, daß das Vollkommene am Menschen nicht zu finden ist. Wir wissen aber auch, daß eine mit so herrlichen Gaben geschmückte Persönlichkeit sich sehr bedanken würde, eine Stelle anzunehmen, die viele Mühe und Zeit erfordert und reich ist an Verdrießlichkeiten aller Art; dagegen aber nur eine allzubescheidene Belohnung in Aussicht stellt. Sie wird nur von einem Manne übernommen werden, der von Liebe zur Gemeinde beseelt ist, oder von einem solchen, der Nebenabsichten hat.“ Trifft das gar auf die Koalitionsverhandlungen in Berlin zu? Weiter geht es mit den Warnungen: „Die besonderen Wünsche eines jeden Wählers erspähend, wird eine solche Persönlichkeit Allen, Alles versprechen (...), ohne zu sagen, wie der Ausfall in der Gemeindekasse zu decken ist, den Lehrern ihre Besoldungen aufzubessern, Diesem und Jenem warm die Hände schütteln...“ – Man stelle sich letzteres bei über 250 Bewerbern samstags in der Fußgängerzone vor ... Aber nach der Wahl geht es weiter: „Da ihm bei derartigen Geschäften die Zustimmung des Gemeinderaths oft unentbehrlich ist, wird er zunächst bemüht sein, diese Körperschaft zu ‚säubern‘, oder einzelne Mitglieder, auf welche Art immer für sich zu gewinnen; bei jedem Hauptcoup aber unter großem Geschrei, wie ein Taschenspieler, die Aufmerksamkeit der Bürgerschaft abzulenken suchen.“

Deren größte Ängste lauteten 1926, „daß das Schulgebäude zum Nachtheil der schulpflichtigen Jugend außerhalb Königsteins gebaut wird“ oder dass „in absehbarer Zeit keine Feuerspritze und Rathausuhr mehr anzuschaffen ist“.

Also: Bloß keine Wahlmüdigkeit vortäuschen, es sind ja nur vier Bewerbungen am Laufen: „Darum, Mitbürger, behandelt die bevorstehende Bürgermeisterwahl mit dem der Wichtigkeit der Sache entsprechendem Ernste! Beweist, daß Kopf und Herz bei Euch auf dem rechten Fleck sitzen! Prüfet die in Betracht kommenden Persönlichkeiten allseitig und erwählet die beste.“

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