7. Kurerlebnistag: Von Ärzten, die mit den Elementen heilten

Die Kuren des „Lehmpastors“ Felke erforderten das Schlafen auf dem Erdboden.

Königstein (el) – Die Heilkräfte der Natur – viel ist über sie gesagt und geschrieben worden. Zum Abschluss des siebten Kurerlebnistages in Königstein standen sie noch einmal im Fokus eines Vortrages von Hermann Groß. Dabei stützte er seine Ausführungen zum Thema „Wasser, Luft, Licht und Erde“ auf die Erfolge von bekannten Ärzten, die früher einmal in Königstein und Umgebung praktiziert haben. So hatte sein Vortrag nicht nur etwas mit den heilenden Elementen zu tun, vielmehr stand auch das Kulturhistorische und nicht zuletzt die Stadtgeschichte im Mittelpunkt seiner Schilderungen, die mit dem Amtsarzt Dr. Georg Pingler begannen, der mehr als jeder andere Königstein zu seinem Ruf als Kurstadt verholfen hat.

Der Medizinalrat war vom Land nach Königstein gekommen, wo man eine ähnliche Denkweise hatte. Aus der Ferne bewunderte Pingler die Arbeit eines gewissen Vinzenz Prießnitz. Vor seinem Amtsantritt in Königstein reiste Pingler sogar nach Gräfenberg (heute Tschechien). Hier hatte Prießnitz bereits im Jahr 1822 die erste Wasserheilanstalt der Welt eröffnet. Prießnitz, 1799 geboren, war durch Zufall auf die therapeutische Wirkung des Wassers gestoßen. In Folge eines Arbeitsunfalls – er war vom Pferd gefallen – brach er sich die Rippen. Seine Entdeckung stammt aus der Tierwelt: So beobachtete er, dass Waldtiere das Wasser aufsuchen, wenn sie verletzt sind. Aus dieser Erkenntnis heraus entwickelte Prießnitz über 50 verschiedene Therapien rund um das kühlende Nass – darunter Kompressen, Bäder, Duschen sowie die so genannte „Prießnitz-Kompresse“, die später von Friedrich-Stoltze, der bei Pingler in Königstein zur Kur weilte, „Neptunes Gürtel“ getauft wurde.

In weiser Voraussicht ließ Prießnitz ein Familienwasserbuch über seine Forschungsergebnisse anfertigen, das sogar Skizzen über die Anwendungen von Güssen und Bädern enthielt. Prießnitz selbst war Analphabet. Seine Überzeugung, dass die Wärme, die durch das kalte Wasser im Körper erzeugt wird, Heilung bringt, teilte auch Dr. Georg Pingler. Für beide stellte ein Brunnen die beste Apotheke dar, die es gibt. Pingler ging also in die Lehre bei Prießnitz und ließ später in Königstein mit dem „Prießnitzbad“ seine eigene Wasserheilanstalt errichten. Anscheinend auch mit therapeutischem Erfolg. So wurde festgehalten, dass er in den Jahren 1852/53 an Typhus Erkrankte nur mit kaltem Wasser therapierte. 85 Menschen behandelte er auf diese Weise, nur ein Patient – ein kleines Kind – überlebte die Krankheit nicht. Pingler praktizierte aber nicht nur Medizin in Königstein, er hatte auch ein begründetes Interesse daran, dass die kurbezogene Infrastruktur ausgebaut wird. Er setzte sich für die Gründung eines Kurvereins ein und forderte unter anderem, dass Spazierwege mit Ruhebänken bestückt werden.

Außerdem trug er dafür Sorge, dass die Dernbacher Schwestern nach Königstein kamen, um hier ein Krankenhaus zu gründen. Darüber hinaus plädierte der Arzt dafür, dass sich die Menschen mehr bewegen und vernünftig ernähren. Die reizvolle Landschaft trage seiner Meinung nach auch zur Genesung bei. Um 1870 herum war der Dichterfürst aus Frankfurt auch einer der Hauptkurgäste, der sich jedoch nicht immer mit der ihm durch Pingler verordneten Therapie einverstanden erklärt habe. Laut Hermann Groß sei es schon mal vorgekommen, dass die Herren deswegen diskutiert hätten.

Groß schilderte auf köstliche Weise, dass Stoltze, der zum Kuraufenthalt im Hotel Pfaff weilte, die ersten zwei Nächte nicht zur Ruhe gekommen sei. Die Empfehlung seines Arztes, dass er doch jeden Tag nach Bad Soden laufen sollte, um sich dort einen Schluck von der Wasserquelle Nummer drei zu genehmigen, konnte er nicht ganz nachvollziehen. Immerhin sei er doch zur Kur in Königstein und nicht in Bad Soden, da mache es doch keinen Sinn, dort Wasser zu trinken, empörte sich der Schriftsteller, der die Tatsache völlig außer Acht ließ, dass die Bewegung an der frischen Luft das eigentliche, therapeutische Ziel darstellte. Also zog Stoltze widerwillig mit seinem feuchten „Neptunsgürtel“ nach Bad Soden, bekam jedoch noch eine letzte Anweisung, ehe er abends völlig erschöpft in sein Hotelbett fiel: Bevor er sich zur Nachruhe zurückziehen durfte, galt es noch – laut Anweisung von Pingler – drei Scheite Holz zu zersägen.

Übrigens habe es laut Hermann Groß auch in Falkenstein eine Kaltwasseranstalt gegeben. Dr. Hirsch aus Frankfurt führte die Institution streng nach jüdischen Vorschriften. Später wurde die Anstalt von Dr. Peter Dettweiler übernommen, der wie kein anderer jener Epoche des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Königstein dem Element Luft zuzuordnen ist. Ähnlich wie Pingler eiferte Dettweiler schon als Student einem Vorbild aus der Ferne nach: Dr. Hermann Brehmer, einem schlesischen Arzt, der eigentlich mal Mathematiker werden wollte. Brehmers These war so revolutionär wie umstritten: Tuberkulose sei heilbar, behauptete er, der Mitte des 19. Jahrhunderts in Görbersdorf, Schlesien (heute Polen), praktizierte. Görbersdorf ist für seine Sanatorien bekannt. Bei 1.000 Einwohnern gab es schon damals 1.100 Sanatoriumsplätze. Dettweiler lernte von Brehmer: Bewegen in der Luft, Besteigen von Bergen, Spaziergänge und Wirtshäuser, in denen geraucht und getrunken wird, sind zu meiden. Peter Dettweiler, der Zeit seines Lebens selbst nie ganz gesund war, stammte aus Rheinhessen. Der eigene Vater war an Tuberkulose gestorben. Vermutet wird, dass der junge Dettweiler selbst seine Gesundheit nachhaltig geschädigt hat, als er an einem kalten Wintertag auf dem Eis einbrach.

Es war ein Zufall, der den Lungenfachmann nach Falkenstein führte. Im Frühjahr 1876 sollte Dettweiler die vorübergehende Leitung der dort eröffneten Lungenheilanstalt übernehmen. Daraus sollte sein Lebenswerk werden. Der bisherige Leiter verstarb und der Rheinhesse blieb, der für seine Luft-Liegekuren bekannt werden sollte. Auch ließ Dettweiler die eigens von ihm konstruierten Liegestühle patentieren und erwies sich als Förderer der Vereine vor Ort, wie zum Beispiel des Kur- und Verschönerungsvereins oder aber der Feuerwehr. Damit keine Langeweile bei seinen Patienten aufkam – viele von ihnen hielten sich Wochen und Monate in der Anstalt auf – ließ er in der Anstalt auch Vereine gründen.

Das Nahrungsmittel Milch spielte eine große Rolle in der Behandlung der Lungenkranken, wie Hermann Groß erklärte, der aus historischem Interesse heraus ebenfalls stolzer Besitzer einer ehemals von Dettweiler ausgegebenen Milchmarke ist. Seine Anstalt war international ausgerichtet und zu seinen Klienten gehörten viele Russen, die damals den beschwerlichen Weg von ihrer Heimat nach Falkenstein auf sich nahmen, um sich dort behandeln zu lassen.

Stellvertretend für das Licht steht Dr. Hugo Amelung, der 1890 nach Königstein kam und seinen Patienten Licht- und Luftbäder verordnete. Das nach seinen Vorstellungen konstruierte Luftbad auf einer Wiese auf einem Waldweg in Königstein wurde durch Lufthütten ergänzt, in denen die Kranken in nach Geschlechtern getrennten Abteilungen auch übernachten konnten. Tagsüber hatten sie turnerische Übungen zu absolvieren und mitunter gab sich Spaziergängern auch ein Blick durch den Holzzaun auf unbekleidete Patienten frei – ein Umstand, in dem ein örtlicher Pfarrer eine Gefahr für die Jugend sah. Der Geistliche wurde jedoch eines Besseren belehrt, denn er musste einsehen, dass die Einrichtung von Amelung wichtig für Königstein war.

Pastor Emamuel Felke, ursprünglich aus Bad Sobernheim/Nahe, wurde von Hermann Groß als Letzter in der Reihe der Ärzte und Naturheiler als „Lehmpastor“ vorgestellt. Sein Therapeutikum: Ein Erdbrei aus Wasser und steinfreiem Lehm, das fingerdick auf verschiedenen Körperpartien aufgetragen werden konnte, um seine Wirkung als „braunes Gold“ bei Indikationen wie Abzessen, Furunkeln, Geschwüren, Verbrennungen und dergleichen zu entfalten. Felke ist es zu verdanken, dass Bad Camberg, unweit von Königstein, auch heute noch für seine Moorbäder bekannt ist.

Vinzenz Prießnitz, der Dr. Georg Pingler als Vorbild für seine Wasserkuren in Königstein diente, setzte auf Kaltwasseranwendungen.
Fotos: Archiv Groß

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