Inselparadies wird zum Albtraum: Hilfe aus Königstein und Le Mêle rollt an

Hurrikan Irma hat eine Spur der Verwüstung auf der Insel St. Martin hinterlassen.

Falkenstein (el) – Die Falkensteiner Ortsvorsteherin Lilo Majer-Leonhard sitzt in ihrem Wohnzimmer und ihr Blick schweift für einen Moment in die Ferne. Nicht etwa, um sich die Burg Falkenstein, die in der Ferne zu erkennen ist, vor ihr geistiges Auge zu rufen. Vielmehr gelten ihre Gedanken einer französischen Familie, die schreckliche Stunden fern ihrer Heimat auf den französischen Antillen erlebt hat.

Warum bewegt diese Geschichte der Familie Donal derart die Gemüter in Falkenstein und Königstein, dass man kürzlich während des Cidrefestes in Falkenstein beschlossen hat, für die von Hurrikane Irma gebeutelte Familie ein Spendenkonto einzurichten? Die Ortsvorsteherin bringt den dahinter stehenden Gedanken auf den Punkt, der bestimmt von jedermann nachvollzogen werden kann, der selbst einmal in einer Notsituation gesteckt hat oder jemanden kennt, dem Furchtbares, Existensbedrohendes widerfahren ist: „Wenn wir etwas machen, dann ist es doch bestimmt richtig und naheliegend, dass wir jemanden unterstützen, den wir kennen und dessen Eltern viel für die ‚Jumelage‘ getan haben.“ Jumelage ist die französische Bezeichnung für die Städtepartnerschaft zwischen Falkenstein und Le Mêle, an deren Gründungsstunde vor 50 Jahren übrigens am vergangenen Freitag im Falkensteiner Bürgerhaus mit einer kleinen Feierstunde erinnert wurde. Ein besserer Zeitpunkt, um die Hilfe für die Freunde anlaufen zu lassen, könnte man also gar nicht wählen. Zumal die Hilfe bereits ebenfalls auf französischer Seite sowie von Seiten der englischen Partnerstadt Farrington anrollt. Dies in Form eines Spendenkontos, das man für die Familie eingerichtet hat, sodass Spenden gesammelt werden können, um beim Wiederaufbau ihrer verloren gegangenen Existenz zu helfen.

Verlust der Existenz

Zunächst einmal zur Geschichte, die sich eigentlich wie ein Drehbuch eines Naturkatastrophen-Films liest und letzten Endes ist es das ja auch gewesen, wenn man das Ganze mal mit ein wenig zeitlichem Abstand betrachtet. Der Familie selbst steckt der Schreck über die gerade erst entronnene Katastrophe, und das trotz des Verlustes ihres Hauses und der Habseligkeiten, immer noch stark in den Knochen.

Audrey Donal, ihr Ehemann und zwei Kinder (5 und 9 Jahre alt) haben das Chaos auf der Insel St. Martin (Teil der Französischen Antillen) nach dem Wirbelsturm Irma in der Nacht vom 5. auf den 6. September erlebt. Zurückgeblieben ist eine Spur der Zerstörung sowie viele obdachlose Menschen.

Seitdem der Hurrikan Irma über die Insel fegte, ist zwar einige Zeit verstrichen, aber das Trauma, das von den direkt Betroffenen erlebt wurde, bleibt noch lange in den Köpfen bestehen.

Worüber die Medien weltweit nicht mehr berichten, ist für die Opfer des Sturms zu einer alltäglichen Belastung geworden. Überall herrscht das Chaos. Sogar Schulen wurden zerstört. Die französische Familie Donal, die seit 2006 auf den französischen Antillen lebt, direkt betroffen. Der Ehemann von Audrey, deren Eltern auf französischer Seite viel für die Jumelage getan haben, unterrichtet Sport an der örtlichen High School.

Die beiden Kinder von Audrey und ihrem Mann Erwann wurden auf der Insel geboren. Obwohl ihre Heimat durch den Sturm zerstört wurde, möchte die Familie nicht nur ihr eigenes Haus wieder aufbauen, sondern auch sehen, dass ganz St. Martin wieder auf die Beine kommt. Das erfordert Zeit, viel Arbeit und vor allem Geld.

Und hier kommen die Bürger des Taunus ins Spiel. Die Mitglieder der Partnerschaftskomitees auf beiden Seiten hatten die Idee, ein Spendenkonto einzurichten, damit Spenden an die Familie getätigt werden können, sodass sie ihre Existenz wieder aufbauen kann.

Die 38-jährige Audrey berichtet, dass sie ursprünglich ihren Traum vom Leben in der Sonne verfolgen wollten. Sie fand Arbeit als Assistentin in einem Hotel. Ihr Haus lag am Meer und es war ein bisschen, wie im Paradies zu leben - bis der Sturm einschlug und sich alles über Nacht geändert hat. Das Haus war plötzlich weg. Man hatte geplant, es im folgenden Jahr zu kaufen. Zurückgelassen wurde eine Familie, die alles verloren hat. Aber für immer nach Frankreich zurückzukehren, war keine Option. Audrey kehrte zwei Wochen zurück, um ihre Eltern zu sehen und sich ein bisschen vom Schock zu erholen. Aber ihr Mann und einer ihrer Söhne blieben währenddessen auf der Insel und wollten schon mal mit dem beginnenden Wiederaufbau helfen.

Schlimmer als Hurrikan Luis

Obwohl jeder, der auf der Insel lebt, weiß, dass es so etwas wie eine Hurrikansaison gibt, ist nichts bisher so stark gewesen wie dieser Sturm, der die Insel mit voller Wucht getroffen hat. Audrey sagt, dass sich die Leute ständig über die Wetterlage auf dem Laufenden halten. Dieses Mal kam die Warnung fünf Tage, bevor Irma die Insel erreichte. Sie wussten, dass ein großer Sturm kommen würde. Einige Einwohner erinnerten sich voller Angst an das Chaos, das Hurrikan Luis im Jahr 1995 angerichtet hatte. Jeder ahnte, dass dieser Sturm noch mehr Potenzial hatte, Schaden anzurichten, denn er war in der Kategorie fünf eingestuft worden.

Jetzt ist die Familie glücklich, am Leben zu sein. Aber die Tatsache, dass sie keinen Besitz mehr hat, ist sehr schwer für sie. Es gibt keine Gegenstände, die sie an die vergangenen Jahre auf der Insel erinnern. Audrey sagt, sie war schockiert, als sie den gesamten Umfang des Schadens sah. Als der Sturm traf, schlossen sich Audrey, ihr Ehemann, ihre Kinder sowie eine befreundete Familie im Badezimmer einer Villa des Hotels, in dem sie arbeitet, ein. Sie stopften Matratzen ins Badezimmer, um sich weiter zu schützen. Sie konnten fühlen, wie sich die Villa bewegte. Es waren sehr nervenaufreibende Stunden, vor allem, wenn man bedenkt, dass man stundenlang von der Außenwelt abgeschnitten war, da man noch nicht mal ein Radio besaß.

Als sie endlich nach draußen traten, gab es überall Trümmer. Sie erwarteten viel Schaden, aber nichts war mehr da: Die Dächer waren verschwunden, die Bäume fielen. Das Wichtigste war, dass sie und ihre Freunde am Leben waren.

Aber das war nicht alles, es gab noch mehr schlechte Nachrichten. Alle strömten zum Flughafen und jeder beeilte sich, dorthin zu gelangen, da man die Nachricht erhielt, dass ein weiterer Wirbelsturm der Kategorie 4 in Richtung St. Martin unterwegs war. Sie hatten nicht einmal Zeit, über den Schaden nachzudenken, den der erste Sturm verursacht hatte, und mussten sich sofort mit einem anderen auseinandersetzen.

Spur der Zerstörung

Sie beschlossen, in ihr zerstörtes Haus zurückzukehren, aber dort sahen sie sich der Gefahr ausgesetzt, auf Plünderer zu stoßen. Und schließlich kamen die Soldaten, um ihnen zu sagen, dass „José“ die Insel nicht treffen würde. An diesem Punkt hatten sie seit Tagen kein Auge mehr zugemacht. Plötzlich fühlte man sich innerlich leer und mit mehr Emotionen konfrontiert, als man verkraften konnte. Am Ende kam das Gefühl auf, dass man angesichts dieser Zerstörung nicht aufgeben sollte.

Viele von Audreys Freunden verließen nach Irma die Insel. „Nur Väter blieben, um Plünderungen ihrer Häuser zu vermeiden. Sie beschlossen zu bleiben, da die Insel ihr Zuhause geworden ist. Es wird Zeit brauchen, aber es wird wieder himmlisch werden. Wir wissen nicht, ob wir alle 150 Jahre einen Hurrikan in dieser Größenordnung erleben werden oder ob er in 20 Jahren wieder anfangen wird, aber wir werden durchhalten!

Wir sind alle am Leben. Das ist die Hauptsache. Der Rest ist nur materiell. „Audrey und ihre Familie haben viele mitfühlende Nachrichten von zu Hause erhalten, viele davon über die sozialen Netzwerke. Es gab ihnen Kraft zu wissen, dass da draußen so viele Leute an sie denken und für sie beten. Bevor das Leben wieder zum Normalzustand zurückkehren kann, müssen noch einige Hürden genommen werden. Eines der Hauptprobleme ist, dass es keine Schulen mehr gibt.

Wenigstens konnten sie ihren ältesten Sohn an drei Vormittagen in der Woche an eine Privatschule schicken. Es gibt viele Dinge, die für administrative und versicherungstechnische Probleme wichtig sind. Laut Lilo Majer-Leonhard will man bis Weihnachten für die Familie Geld sammeln und dann zum Königsteiner Weihnachtsmarkt den auf dem Bankkonto zusammengekommenen Betrag den französischen Gästen übergeben, sodass die Freunde ihrerseits das Geld der hilfebedürftigen Familie überreichen können. Hier sind die Bankkontodaten für diejenigen, die der Familie helfen wollen, ihr Leben wieder normal zu gestalten: Spendenkonto „Audrey“ bei der Frankfurter Volksbank, DE33 5019 0000 6700 2145 90.

Dieses Foto der französischen Familie Donal – die Eltern von Audrey Donal stammen aus Le Mêle, der Partnerstadt Falkensteins – wurde vor dem verheerenden Sturm aufgenommen.

Fotos: privat

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