„Heute Fußgängerzone, damals Reichsstraße“ – Hermann Groß arbeitete die B8 historisch auf

Vom „Überfall auf Sammet und Seiden“ berichtete Hermann Groß, Brüsseler Spitze auf dem Weg zur Messe ... doch der Fall mit dem Raubmord für eine Wagenladung Käse traf die lokalen Umstände wohl genauer. Foto: Friedel

Falkenstein (hhf) – „Achtung, auf der Cölner Straße kommt Ihnen am Weiler Glashütten ein Fuhrwerk mit Überbreite entgegen, überholen sie nicht, denn die Gegenfahrbahn versinkt im Matsch und außerdem sind Räuber auf der Fahrbahn...“ Nun ja, die vertreiben dann wenigstens die Gaffer. Hätte es vor 300 Jahren schon Radio gegeben, wäre das wohl eine ganz normale Durchsage gewesen, mangels antiker Verkehrsnachrichten musste sich Hermann Groß dann aber doch durch die Archive arbeiten. Besonders fündig war der Lokalhistoriker dabei in den „Frankfurter Criminalia Acten“ geworden, bis hier hatte es sogar ein Gutachten des Königsteiner Festungsarztes nach einer Schlägerei geschafft, das kurz vor der Sprengung im Jahr 1796 ausgestellt worden war.

Mit diesen Erkenntnissen zu „Überfall auf Sammet und Seiden u.a.“ beschloss Hermann Groß traditionell das Jahresprogramm des Falkensteiner Heimatvereins, bereits zum 36. Mal, darauf wies Evi Dorn hin. Die Chefin des Heimatvereins hatte auch herausgefunden, dass das Bürgerhaus, in dessen kleinem Saal der Vortrag stattfand, nunmehr seit 45 Jahren existiert. Eben dort will Hermann Groß sich im kommenden Jahr allerdings mit dem 100 Jahre zurückliegenden Ende des Ersten Weltkrieges im Ort befassen – selbstverständlich weiterhin im Rahmen des Programms des Heimatvereins, der dann auch 140 Jahre seines Bestehens feiern wird.

Raststätte an der Fernstraße

All diese Zahlen verblassen freilich neben dem Alter der heutigen B8, die sicher schon bevor sie zur Reichsstraße ernannt worden ist eine wichtige Verkehrsverbindung gewesen war. Über rund 2.700 Kilometer verband sie letztendlich Antwerpen mit Konstantinopel, besonders frequentiert war allerdings der Abschnitt Köln-Limburg-Frankfurt, in dem Königstein liegt. Einen Tagesmarsch von der freien Reichs- und Messestadt mit der Mainbrücke entfernt, zwischen den beiden steilen Anstiegen zur Passhöhe des Taunus war Königstein vermutlich früh schon als Raststation gegründet worden. Es ist anzunehmen, dass dazu sogar die Reichsstraße bewusst bis vor das heutige Alte Rathaus verlegt worden ist, der Verkehr lief über Frankfurter, Haupt- und Gerichtsstraße zur Limburger Straße. An diesen Namen sind bis heute die Richtungen zu erkennen, an denen sich frühere Reisende orientierten, man nannte die Route allerdings „Cölner Straße“ nach dem wichtigeren Ziel. Hier befand sich nicht nur ein wichtiger Hafen, sondern auch das Ziel eines Pilgerweges und nicht zuletzt nutzten hohe weltliche Würdenträger die Strecke zwischen Aachen zur Kaiserkrönung und Frankfurt zu dessen Wahl. Hohe Bedeutung hatte aber auch das Örtchen Esch im Hintertaunus, dort kreuzte die Fernstraße die Verbindung vom Rheingau in den Vogelsberg (heute etwa B275).

Natürlich versorgten vor der Einrichtung des Postdienstes von Thurn und Taxis um 1746 reitende und laufende Boten Kleriker, Herrscher und Kaufleute mit wichtigen Nachrichten, sie teilten sich die Straßen mit hoch beladenen Fuhrwerken der Händler, die schon früh ein eigenes Speditionswesen erfunden hatten. Dazwischen reisten einzelne Prominente mit Personenkutschen und hinterließen teils eindrucksvolle Schriftstücke über die Beschwerlichkeiten einer solchen Reise.

Reiseberichte

Schon im Korintherbrief berichtet der allein dreimal schiffbrüchig gewordene Apostel Paulus von den Gefahren des Reisens durch Wüsten, zwischen Räubern und falschen Freunden. Dichterfürst Goethe fehlten die edlen Worte, als er sich beim Herausheben einer steckengebliebenen Kutsche jahrelange Brustschmerzen zuzog und Heinrich Heine fiel unter die Wölfe im Wald, während sein Kutscher ein neues Rad besorgte.

Wenn man denn überhaupt in einer Kutsche reisen durfte, war diese oft überbelegt, so dass einzelne Mitfahrer auf dem Dach (sofern vorhanden) oder auch auf den Kutschpferden Platz nehmen mussten, jeder freie Zwischenraum war mit Gepäck verfüllt. Da musste schon hartgesotten sein, wer unter diesen Umständen noch von dem herrlichen Ausblick im Raum Königstein/Kronberg schwärmen konnte. Die meisten Reisenden schielten wohl eher verhohlen nach den Stundensteinen am Rand des Weges, die wegen der unterschiedlichen Maßeinheiten in Zeiten der Kleinstaaterei die Entfernungen anhand der Zeit angaben. Frankfurt – München bewältigte man in etwa einer Woche, ohne Stau, aber mit reichlich Pferdewechseln. Deutlich langsamer ging es bergauf, wovon die Königsteiner stark profitierten. Hier, an dem steilsten Anstieg bis Köln, hielt man „Vorspanntiere“ bereit, Zugtiere, die wie eine zweite Lok zusätzliche PS verliehen. Vermutlich stammt die Ortsbezeichnung „Eselseck“ daher, dass hier an einer Quelle in der Nähe des höchsten Punktes (damals am Glaskopf) die Zusatz-Tiere bereitstanden, vielleicht aber auch erst aus der Kurstadt-Zeit, in der man von dort aus Ritte zum Feldberg anbot. Das eine schließt aber das andere nicht aus.

Räuber und Mörder

Auf einer Reichsstraße herrschte „freies Geleit“, das muss zwar bezahlt werden, ist aber im Schadensfall auch einklagbar, weshalb reichlich Gerichtsakten überkommen sind. So wurde 1575 ein Konvoi aus sechs Fahrzeugen mit Kutschern und bewaffneten Begleitern in der Nähe von Oberems von 18 Räubern unter anderem „mit Rohrwaff“ bedroht und die Brüsseler Spitze verschwand auf Nimmerwiedersehen. Später ermittelte man einige Reifenberger als Mittäter und verurteilte sie zu Geldstrafen, die Spuren führen über Familie von Staffel bis nach Falkenstein.

1651 verschwand etwa im selben Gebiet eine Wagenladung Seidenstrümpfe und Handschuhe für die Frankfurter Messe. Da sie dort aber doch zum Verkauf angeboten wurden, ermittelte man die Täter schnell. Der Kutscher versuchte noch, zu erklären, dass er zu betrunken gewesen war, um die Tat zu verhindern, wurde aber mit den beiden Komplizen hingerichtet, denn sie hatten den Besitzer der Waren unterwegs ermordet. Ganz ähnlich verhielt es sich im September 1704, als einem Händler am Stadtrand von Königstein eine große Ladung Käse angeboten wurde, vermutlich geruchsintensiver Limburger aus der holländischen Provinz. Von dort stammte nämlich der Kollege, dessen Pferdedecke der Händler bei den Lebensmitteln erkannte. Tatsächlich ermittelte die Stadt Frankfurt daraufhin einen Mord und fasste die beiden Täter.

Natürlich mordeten nicht alle Räuber, so wie die ebenfalls gefassten jungen Frankfurter, die 1671 kurz vor Königstein jüdische Händler aus Hadamar um 40 Reichstaler erleichtert hatten. Gerne aber wurden die Köpfe oder Körper hingerichteter Straftäter in der Nähe der Stadttore an der Landstraße aufgehängt, um reisende Spitzbuben zu warnen.

Auch Poststation unsicher

Selbst die Poststationen, in Königstein zum Beispiel der „Grüne Baum“, in dem auch schon Generalfeldmarschall Blücher nach der Völkerschlacht übernachtet hat, waren nicht davor gefeit, dass sich die Gäste, die hier eigentlich nur übernachten sollten, daneben benahmen. So gibt es Unterlagen über schwere Schlägereien, aber auch Diebstähle, in einem Fall mopsten zwei als Vagabunden bekannte auswärtige Juden 1742 100 Dukaten und einen Vogelkäfig, vielleicht als Transportbehältnis? Sogar der Schinderhannes bediente sich im Grünen Baum, allerdings entwendete er hier nur eine Leiter von der Scheune im Hinterhof, um damit ins nahe Amtshaus einzubrechen.

Ein Beispiel aus dem Jahr 1709 schließlich zeigt, dass auch auf das fahrende Personal nicht immer Verlass war. Fünf namentlich bekannte Postillione hatten die Aktenkoffer eines nassauischen Regierungsbeamten aus Idstein zunächst verschwinden lassen, indem sie die Ledergurte, mit denen sie an der Kutsche befestigt waren, durchschnitten. Später bot man dem Nassauer dann die Wiederbeschaffung der wichtigen Unterlagen für eine gewisse Summe an, der aber meldete die Erpressung.

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