„Wir sind haarscharf an einer Katastrophe vorbeigekommen“

So etwa formulierte es Bürgermeister Albrecht Kündiger einleitend zu einer Pressekonferenz mit dem Thema Rettershof. Und hat man gehört, was der Stadtbrandinspektor, vor allem was Mieter im Rettershof zu dem Ereignis zu sagen hatten, ist verständlich, dass sie davon sprechen, dass sich dieses Ereignis tief bei ihnen eingegraben hat. Der Vater, dessen zehnjährige Tochter mit einer Freundin auf dem Heuboden übernachtete, Paul Thiede, der berichtete wie die Pferde aus den Boxen mit funkenstiebenden Hufeisen in Panik über den Hof jagten, um in Sicherheit zu kommen, Stadtbrandinspektor Alexander Kolata, der über den Einsatz von 360 Mitgliedern von Feuerwehren und THW aus dem ganzen Kreis über Tage hinweg berichtete – sie alle werden an dieses verheerende Feuer auch mit Traumata zurückdenken.

Die Tochter Loki von Marc Fleischer-Pratschke, die mit ihrer Freundin im Heu übernachtete – ein Vergnügen, an das sich der Chronist noch lebhaft erinnert, als er vor Jahrzehnten in dem kleinen Dorf in Südniedersachen lebte, hatte sich in einen Schlafsack eingewickelt, dazu kamen noch Pullover und warme Schlafsachen. Zu warm mit einem Mal, wie es ihr schien. Heiß geradezu. Sie wurde wach, sah einen Feuerschein und suchte mit ihrer Schulfreundin das Weite, nicht durch eine Luke, sondern über die Treppe aus dem Gebäude. Sie lief ihrem Vater sozusagen in die Arme. Der Vater: „Ein Horror, an den man lange denkt.“ Denn die Erinnerung wird immer wieder aufkochen. Auch, dass die Wohnungen verqualmt, wenn auch nicht kontaminiert waren, dass sie dankbar für die Hilfe sind, die es vom Schlosshotel gab, wo sie sogar mit ihren Kaninchen ohne Probleme einquartiert wurden, Hilfe auch von anderer Seite, wie dem Fröhlichen Landmann. Den beiden Bewohnern Paul Thiede und Marc Fleischer-Pratschke ist es zu verdanken, dass die meisten Pferde gerettet werden konnten. Marc Fleischer-Pratschke entdeckte das Feuer kurz vor dem Zubettgehen, jagte barfuß auf den Hof, zerschnitt sich die Fußsohlen, lief in die Ställe, die erst vierzehn Tage vorher nach Erneuerungsarbeiten in Betrieb genommen waren, um die Boxen zu öffnen. Die verängstigten Pferde mussten fast mit Gewalt nach draußen getrieben werden. Auch ihnen wird das Ereignis noch nachhängen und es ist fraglich ob das eine oder andere Pferd noch turniertauglich ist. Immerhin starben zwei Pferde, drei befinden sich noch in einer Klinik, eines musste zu Behandlung nach Norddeutschland in eine Spezialklinik gebracht werden. Der Dank der Reiter gilt nicht nur den Feuerwehren sondern auch der Polizei, die sich beim Regeln des Verkehrs, um die in Panik durch die Landschaft jagenden Tiere zu retten, als wahre Helfer erwiesen hätten.

Wie groß die Leistung der Wehren einzuschätzen ist, geht aus dem Bericht des Stadtbrandinspektors hervor, der sich auch über die „kompetenten Ratschläge freute“, wie man einen solchen Brand bekämpft. Alle Entscheidungen, das Bergen des brennenden Heus, die Sicherung der Mauern, hätten sich als absolut richtig erwiesen. Schließlich ergab sich auch die Frage, inwieweit die Trümmer kontaminiert waren. Riesenbagger ließen sich nicht in den Hof fahren, es sei denn man hätte das Hoftor abgebrochen. Und wenn da gemault wird, dass der Retterser Bach verschmutzt war – Löschwasser nimmt beim Abfließen auch Pferdedung mit.

Als Segen erwies sich übrigens, dass sich die auf Betreiben des früheren Stadtbrandinspektors Willi Hoppe von Hornau aus eingerichtete Wasserleitung bei der Bekämpfung des Feuers besonders hilfreich erwies. Trotzdem mussten die Wehren in der Dunkelheit zwei weitere über je 2,5 Kilometer Leitungen von Fischbach zum Rettershof legen; das war nur mit Unterstützung der Wehren von auswärts möglich.

Der Schaden? Der lässt sich noch nicht genau beziffern, das mag auch Architekt Tobias Gillenkirch nicht tun, der sich mit dem Wiederaufbau des Rettershofes befasst. Aber sechsstellig wird der Schaden sein, er kann auch gut über eine Million gehen. Der Wiederaufbau kann 12 bis 14 Monate und länger dauern, immerhin wird auch der Denkmalschutz mitreden wollen und Versicherungsfragen sind auch zu klären. Bürgermeister Albrecht Kündiger ist sich aber sicher, dass das Erntedankfest im Innenhof stattfinden wird, ein Fest, mit dem immer wieder auch die enge Verbindung der Stadt Kelkheim zu diesem Kleinod dokumentiert wird. Wie sehr sich die Kelkheimer mit dem Rettershof verbunden fühlen zeigt, dass sofort viele Hilfs- und Spendenangebote kamen.

Bleibt noch die Brandursache. Sie ist bisher ungeklärt und in dem Trümmerhaufen besonders schwierig. An der Aufklärung wird weiter gearbeitet, berichtet Oberkommissar Neumann.

Bild links außen unten Albrecht Kündiger mit dem Kreuz vom Taufbecken, das gerettet wurde, wie auch Teile des Taufbeckens. Rechts Marc Fleischer-Pratschek und Paul Thiele.

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